Junge Leute:"Das Problem hat sich verschärft"

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Der Kreisjugendring klagt, die Interessen der Jugendlichen kämen zu kurz - gerade jetzt, in der Corona-Pandemie

Interview von Kathrin Aldenhoff

Judith Greil ist Vorsitzende des Kreisjugendrings München. Der KJR ist eine Arbeitsgemeinschaft von knapp 70 Jugendverbänden und auch Träger der meisten Freizeittreffs für Kinder und Jugendliche in der Stadt. (Foto: KJR)

Auch ohne Corona, ohne Beschränkungen und Ausgangssperren, gab es für Jugendliche schon zu wenig Raum, zu wenige Orte und Treffpunkte. Der Kreisjugendring (KJR) hatte zur Kommunalwahl politische Forderungen gestellt. Die Vorsitzende des KJR, Judith Greil, darüber, was seitdem geschehen ist.

SZ: Frau Greil, vor einem Jahr sah es so aus, als würde sich was tun beim Thema Freiräume für Jugendliche.

Judith Greil: Ja, wir waren vor Corona sehr zuversichtlich, dass etwas vorangeht. Aber Corona hat uns sehr stark zurückgeworfen. Dazu kommt, dass Jugendzentren und Räume von Jugendverbänden zeitweise geschlossen waren. Damit sind Orte, wo sich junge Menschen ohne Konsumzwang treffen können, einfach weggefallen. Das Problem hat sich verschärft.

Es gibt also im Moment eher noch weniger Freiräume als vor einem Jahr?

Ja. Es gibt ein paar Ideen in der Stadtpolitik und von uns, wie man das Thema wieder voranbringen kann. Wie man öffentliche Plätze so gestalten kann, dass Jugendliche sich dort gern aufhalten. Ein Beispiel ist der Königsplatz mit den neu gestalteten Sitzflächen. Man könnte Flächen überdachen, wo Jugendliche sich bei schlechterem Wetter aufhalten können, ohne Konsumzwang, mit Abstand. Bis jetzt ist allerdings kaum etwas umgesetzt worden, andere Themen werden vorrangig behandelt.

Wie hat die Pandemie das Leben von Jugendlichen verändert?

Junge Menschen sind sehr stark von Corona betroffen, Schulen wurden geschlossen, Freizeiteinrichtungen ebenso, Jugendverbände durften von Dezember bis vor drei Wochen nur digitale Angebote machen. Für junge Menschen gab es keine Möglichkeit, zusammenzukommen, außer im Digitalen oder mal spazieren zu gehen.

Das ging ja fast allen so.

Die Jugendphase ist aber eine sehr vulnerable Lebensphase. Eine, die begrenzt ist, die man nicht nachholen oder verlängern kann. Und diese Phase hat zentrale Entwicklungsaufgaben, die nur erfolgreich gemeistert werden können, wenn junge Menschen sich mit Gleichaltrigen treffen, sich ausprobieren und Neues erleben können. Und das ist momentan nicht möglich.

Stattdessen sitzen sie zu Hause.

Sie sitzen zu Hause vor einem Laptop, wenn sie überhaupt einen haben. Sitzen im Kinderzimmer, vielleicht noch mit ihren Geschwistern zusammen, und müssen versuchen, Schule, Ausbildung oder Studium abzuschließen.

Wie geht es den Jugendlichen denn jenseits von Schule und Ausbildung?

Es gibt drei zentrale Entwicklungsaufgaben in der Jugend: Qualifizierung, Selbstpositionierung und Verselbständigung. In Schule und Ausbildung läuft es nicht gut, aber darüber wird zumindest noch diskutiert. Was komplett vernachlässigt wird, sind die Bereiche Selbstpositionierung und Verselbständigung. Jugendliche sitzen nur zu Hause am Rechner. Die anderen Bereiche fallen nahezu vollständig weg. Die jungen Menschen haben den Eindruck, dass ihre Interessen in der Pandemie keine Rolle spielen. Und man stellt jetzt schon fest, dass die Einschränkungen Einfluss auf ihre psychische Gesundheit haben. Das macht mir große Sorgen.

Wie gehen Jugendliche damit um?

Junge Menschen verstehen, dass Einschränkungen notwendig sind. Aber es ist verständlich, dass sie sich nach einem Jahr auch mal mit Freunden treffen möchten. Ich finde es falsch, sich nur über Jugendliche aufzuregen, die im Park Fußball spielen. Während morgens und abends die U- und S-Bahnen immer noch voll von Menschen sind, die zu Jobs fahren müssen, die nicht systemrelevant sind. Es schränken sich nicht alle ein, junge Menschen tragen einen Großteil der Last.

Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?

Ich wünsche mir, dass die Bedürfnisse und Interessen von jungen Menschen wieder mehr Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Es ist eine politische Frage, welche Lebensbereiche wir in der Pandemie einschränken. Ist es uns wichtiger, Autos zu produzieren oder Schulen und Freizeitstätten offen zu halten?

Was ist Ihnen wichtiger?

Das Jugendalter hat so wichtige Entwicklungsaufgaben, die seit einem Jahr nicht mehr möglich sind. Und deswegen sollte jetzt mal die Jugend Priorität haben.

© SZ vom 08.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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