Jubiläum:Von wegen Axt im Walde

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Der Holzhackerverein Forstenried wird an diesem Rosenmontag 170 Jahre alt. Er startete als Kranken- und Hinterbliebenen-Kasse für Familienangehörige. Heute pflegt man hier in erster Linie das Brauchtum

Von Jürgen Wolfram, Forstenried

Stets ein fröhliches Lied auf den Lippen, dann geht alles wie von selbst. So ungefähr lautet die Kernbotschaft der meisten Volkslieder. "Wir sind die lustigen Holzhackerbuam" ist ein einschlägiges Beispiel für die Verklärung der Realität. Da tanzt die Axt und singt die Säge. Wie es um den Alltag der Waldarbeiter tatsächlich bestellt war, lässt sich in den Annalen des Holzhackervereins Forstenried nachlesen. Er wurde am Rosenmontag des Jahres 1849 als eine Art private Kranken-, Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung gegründet. Nicht aus Überschwang, sondern aus sozialer Not. Mittlerweile hat sich der älteste Forstenrieder Verein zum Hort bayerischer Brauchtumspflege gewandelt. Wenn er heute sein 170-jähriges Bestehen feiert, lässt sich das am Programm gut ablesen.

Stolze Vertreter eines zupackenden Berufsstandes: Mitglieder des Holzhackervereins Forstenried. (Foto: Privat)

Allzu oft scheine der Jubiläumsverein im Festkalender des traditionsbewussten Stadtteils nicht mehr auf, räumt Vorstand Gerhardt Ausserbauer freimütig ein. Es hat mit Nachwuchsmangel und dem Aussterben eines Berufs zu tun, dessen Werk längst große Holzerntemaschinen wie der Harvester übernommen haben. 60 Mitglieder zählt der Zusammenschluss der Brauchtumsfreunde trotzdem noch. "Unter sechzig ist davon vermutlich keiner", sagt Ausserbauer, und Holzfäller seien auch kaum noch darunter. Er selbst hat Industriekaufmann gelernt und verdient sein Brot heute als Gemüsehändler.

Gerhardt Ausserbauer steht dem Verbund heute vor, sein Geld verdient er aber anderweitig. (Foto: Catherina Hess)

Wenigstens ist das forstliche Metier in den Reihen des Holzhackervereins noch ganz gut vertreten. Leute wie der Forstbetriebsleiter Wilhelm Seerieder oder Berufsjäger Alexander Mania, unlängst Hauptdarsteller in einer Dokumentation über den Forstenrieder Park, halten das Vereinserbe ebenso hoch wie viele Forstenrieder Bürger. "Das ist typisch für das Viertel, hier ist man eben bei diversen Vereinen aktiv", schildert Ausserbauer die Gepflogenheiten am Südrand der Stadt. Dem Holzhackerverein ist er vor etwa 30 Jahren beigetreten, "aus den üblichen Beweggründen, vor allem dem Wunsch zur Traditionspflege".

Der Holzhackerverein Forstenried wird an diesem Rosenmontag 170 Jahre alt. (Foto: Privat)

Auf drei bis vier hervorstechende Veranstaltungen pro Jahr bringt es der Holzhackerverein noch immer. Ein Rosenmontagsfrühschoppen, "der sich bisweilen bis in die Nacht zieht", gehört dazu. Programmpunkte diesmal: ein Gottesdienst in der Pfarrkirche Heilig Kreuz (Beginn 10 Uhr), geselliges Beisammensein im Gasthof "Alter Wirt" mit Tanz zur Musik der Kapelle "Quetschblech" aus Steingaden. Ausserbauer kündigt zudem einen außergewöhnlichen Programmpunkt an: "Wir lassen nicht die Puppen tanzen, sondern die Münchner Schäffler, und zwar beim Kriegerdenkmal im alten Ortskern." Beginn der Vorführung ist um 12 Uhr. Ansonsten macht der Holzhackerverein regelmäßig mit einem Engelamt im Advent und einem Hoagart in der ehemaligen Forstdiensthütte Gelbes Haus von sich reden. "Remmidemmi mit viel Musik" nennt der Vereinsvorstand das Treffen im Wald.

Ausgelassenheit fällt den Mitgliedern heute deutlich leichter als den Holzhackern vor 170 Jahren. Damals verdienten die Waldarbeiter, ein legendär zäher Menschenschlag, trotz hochgefährlicher Beschäftigung gerade mal so viel Geld, dass es zum Überleben reichte. Fiel das Einkommen wegen eines Arbeitsunfalls aus, bedeutete dies für die Familie eines Holzhackers das Abgleiten in bitterste Armut. Davor sollten die Angehörigen des in Forstenried jahrhundertelang stark vertretenen Berufsstandes geschützt werden. So gab Kaspar Pollinger vor 170 Jahren den Anstoß zur Gründung des Vereins, der seinerzeit eher den Charakter einer Sozialkasse aufwies. Zu den Regularien gehörte, dass jeder Holzhacker ein Hundertstel seines Lohns bei Pollinger ablieferte, der die finanzielle Reserve verwaltete. Beim zu jener Zeit üblichen Wochenverdienst von 6,60 Mark wurde also eine Abgabe von 6,6 Pfennig fällig.

Im Krankheits- oder Todesfall erhielten die Hinterbliebenen eine kleine Unterstützung. "Viel war es nicht, aber es bewahrte manche Familie davor, ins Armenhaus der Gemeinde umziehen zu müssen und von Almosen zu leben", heißt es in der Vereinschronik. Noch vor der vorletzten Jahrhundertwende löste sich diese Privatkrankenkasse auf. Übrig blieb der Holzhackerverein. Er hat zwei Weltkriege überdauert und alle Wandlungen der Waldarbeit. Gerhardt Ausserbauer hofft, ihn weiter am Leben erhalten zu können, auch wenn die organisatorischen Erfordernisse nicht immer so lustig seien, wie im alten Liedgut besungen. Doch das Bewahren der Tradition sei man Forstenried unbedingt schuldig.

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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