Jazz:"Nicht in Notprogrammen erstarren"

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Franz Hackl ist selber Musiker und Trompetenbauer. Sein Festival hat er zu einer Kreativplattform gemacht. (Foto: Florian Reider)

Das Festival "Outreach" reagiert flexibel auf die Krise und entdeckt neue Möglichkeiten

Von Oliver Hochkeppel, Schwaz

Im 15. und 16. Jahrhundert war Schwaz mit seinen Silber- und Kupfervorkommen die größte Bergbaumetropole Europas und mit mehr als 20 000 Einwohnern nach Wien die zweitgrößte Stadt des Habsburgerreichs. Abgesehen von ein paar bemerkenswerten Kirchen und Palais der Handelsfamilien ist davon nicht viel geblieben. Das heutige, nur 115 Kilometer von München gelegene 13 000-Einwohner-Städtchen nahe Innsbruck macht auf den ersten Blick den Eindruck einer typischen, konservativ-touristischen Alpengemeinde. Und doch beherbergt es gleich zwei Festivals, die sich einen Namen gemacht haben, indem sie die Komfortzone verlassen: die der Neuen Musik gewidmeten "Klangspuren" und das "Outreach"-Jazzfestival.

So etwas kommt natürlich nie von ungefähr, sondern hängt mit eigenwilligen kreativen Köpfen zusammen. Beim Outreach ist das der Schwazer Trompeter Franz Hackl, der das Festival 1993 gründete und bis heute leitet, getragen von einem Förderverein. Hackl ist eine Art lebender Gegenentwurf zu Heimatklischees. Als Sohn eines erfolgreichen klassischen Trompeters und Trompetenbauers trat er zunächst in die Fußstapfen des Vaters und wurde schon mit 14 Solotrompeter bei den Original Tiroler Kaiserjägern. Doch die reiche Blasmusik-Tradition Tirols war nur der Ausgangspunkt. Richtig Feuer fing er bei seinen Besuchen der "Eremitage", einem kleinen Schwazer Café, in dem Jazz gespielt wurde. Fasziniert von der Freiheit dieser Musik, "zu der es nie nur den einen Zugang gibt", wie er sagt, führte ihn der Weg bis nach New York, das seit Jahrzehnten sein Hauptwohnsitz ist. Doch die Verbindung in die alte Heimat ließ er nie abreißen, schon wegen des Familienbetriebs "Hacklmusic", in dem er mit seinem Vater bis heute hochwertigste Trompeten baut.

Aber eben auch wegen des stets Anfang August stattfindenden "Outreach Festival", zudem von Beginn an eine dreiwöchige "Academy" gehört, mit Workshops aller Art für Musiker und solche, die es werden wollen. Mit der radikalen Mischung aus Erfahrung und jugendlichem Feuer, aus Tradition und deren Brechung sowie der Verschränkung von Jazz, bildender Kunst, Spoken Word und Theater hat Hackl das Outreach zu einer herausragenden Kreativplattform für Musiker, Zuhörer und Lernbegierige gemacht. Was sich auch in den recht kreativen Mottos spiegelt. Für diese 28. Auflage gab Hackl schon Ende 2019 das aus heutiger Sicht unverhofft visionäre Motto "Infinite Plan B" aus - die ewige Bereitschaft, zu reagieren. Klar, dass sich so einer nicht so leicht von einem Virus klein kriegen lässt.

"Der Bürgermeister hat mir das Festival sieben Mal abgesagt", erzählt Hackl, "aber ich hab ihm gesagt, dass er das gar nicht entscheiden kann; er kann mich nur nicht in den Saal des SZentrums lassen. Am Ende war unser Konzept überzeugend und wir haben uns prima zusammengerauft." Dem Motto wurde nun noch ein "20/20 Perfect Vision" vorangestellt, was zeigen soll, dass "man nicht im trauernden Notprogramm erstarren muss, sondern einen kreativen Prozess einleiten kann", wie Hackl sagt. Drei Konzerte pro Tag finden jetzt in dem technisch wie akustisch exzellenten Silbersaal statt, wie man ihn in einem Einkaufszentrum sonst wohl nicht findet. Nur 280 Besucher dürfen auf die 800 Plätze, dafür wird jedes Konzert auch gestreamt - und die Live-Reaktionen der Online Community via Videoprojektion im Saal eingeblendet. Außerdem gibt es jeweils zum Auftakt auf der anderen Innseite ein "Schaufensterkonzert" mit den großartigen jungen Tiroler Bands Low Potion, Saltbrennt und Drehwerk vor Hackls Instrumentenschmiede.

Typisch für die neuen Wege, die Hackl immer gesucht hat und auch jetzt beschreitet. Auf die Anwesenheit der New Yorker Musiker, die fast schon als Stammbesetzung den Unterricht wie das "Outreach" Orchestra getragen haben, muss er heuer zwar verzichten. Trotzdem lassen sie grüßen: An jedem Festivaltag wird ein Auftragswerk von den Komponistenpaaren Dave Taylor und Gene Pritsker, John Clark und Mark Egan sowie Jane Getter und Adam Holzman aufgeführt. Auch der traditionelle "Artist in Residence", von dem die Gestaltung aller Broschüren, Plakate, Tickets und Online-Auftritte stammt, ist Amerikaner: Raymond Pettibon, ein Veteran der südkalifornischen Punkrock-Kultur der späten Siebziger- und Achtzigerjahre. Aus der New Yorker Szene stammen auch die Pianisten Peter Madsen und Richie Beirach, die aber inzwischen in Vorarlberg und in Leipzig leben und deshalb live dabei sind, Madsen mit seinem CIA-Trio, Beirach als Stargast des Reiner Witzel Quartetts. Beides Festivalhighlights wie das Crossover-Divertimento "Mozart in Manhattan" vom Schweizer Wahl-New Yorker Daniel Schnyder, der es nun mit einem europäischen Brassquintett plus Rhythmusgruppe aufführt.

Berührungen mit der Klassik, wie sie sich auch schon beim Festivalauftakt mit dem bayerischen Duo des Star-Tubisten Andreas Martin Hofreiter und des Geigers Benjamin Schmid zeigen. Während es beim britischen Sextett Led Bib des Wahl-Wieners und Drummers Mark Holub in ganz andere Richtungen geht. Wie immer runden die Besten der vitalen österreichischen Szene das Programm ab, heuer das Quartett Woody Black 4, das Quintett des Wiener E-Bassisten und Song-Texters Robert "Rygla" Riegler und das Duo des Saxophonisten Dennis Brandner und des Bassisten Matthias Pichler. Den Schlusspunkt setzt Lukulele, ein transkulturelles Performanceprojekt mit jungen Hamburger Künstlern und Künstlerinnen, musikalisch geleitet vom Perkussionisten Thorsten Wilrodt. Selbst für das diesmal unmögliche Outreach Open Air ein paar Tage später hat Hackl einen Ersatz gefunden: Er bespielt am 13. die Schwazer Innenstadt mit dem argentinischen Pianisten Leo Genovese und dem Stepptänzer Max Pollak. Schon bevor es losgeht, demonstriert das Festival also, wie man aus der Not eine Tugend macht.

28. Outreach Festival , Donnerstag bis Samstag, 6. bis 8. August, Schwaz bei Innsbruck, SZentrum, Infos unter www.outreachmusic.org

© SZ vom 04.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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