Kritik:Eine Welt unter den Fingern

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Anmutige Eleganz: Der Pianist Jan Lisiecki begeistert im Prinzregententheater.

Von Andreas Pernpeintner, München

Eigentlich spielt der Pianist Jan Lisiecki bei seinem Klavierabend im Prinzregententheater nur eine Folge von 24 kürzeren Chopin-Stücken. Etüden, Nocturnes. Stücke, die einzeln herausgepickt hübsche Zugaben sind. Im Zusammenhang aber ist die Wirkung vollkommen anders: Eine ganze pianistische Welt tut sich auf, wenn Lisiecki die unterschiedlichen Stimmungen und spieltechnischen Anforderungen der Stücke zu einem großen Zyklus gruppiert, nur vor der Pause und einmal spontan von Zwischenapplaus unterbrochen. Der große Bogen, den er dabei aufspannt, weckt in seiner Geschlossenheit beinahe Erinnerungen an eine Darbietung des "Wohltemperierten Klaviers" - wenngleich dessen zyklische Strenge natürlich nicht eingehalten wird.

Das Licht im Saal wird vollständig gedimmt, nur der Pianist und das Klavier sind beleuchtet. Das erzeugt einen starken Fokus. Umso erstaunlicher ist, dass visueller und akustischer Eindruck mitunter stark voneinander abweichen: Lisiecki ist großgewachsen. Rauschende Virtuosität über die Breite der Klaviatur wie in der eröffnenden C-Dur-Etüde op. 10/1 wirkt bei ihm dank großzügiger pianistischer Anatomie geradezu lässig. Umso erstaunlicher, dass Lisieckis Spiel bei innigen melodischen Linien wie im berühmten Nocturne op. 9/2 durch kleine nachdrückende Bewegungen von Hand und Arm in einigen Momenten etwas kantig aussieht.

Man schließt die Augen - und die Irritation ist verschwunden. Denn Lisieckis Ton klingt einfach wunderschön. Die musikalischen Linien phrasiert er anmutig, elegant, aber stets natürlich fließend. Die Stimmen des Klaviersatzes sind bei Lisiecki selbst dann ideal gewichtet, wenn er den Diskant so ätherisch antupft oder die filigranen Verzierungen so leise gestaltet, dass es eine äußerst behutsame Grundierung erfordert. Dabei lässt Lisiecki durchaus auch starke Kontraste aufeinandertreffen und scheut an anderer Stelle das Monumentale keineswegs. So entsteht eine große, musikalische beglückende Erzählung.

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