SZenario:Mit Bibel und Zeitung in der Hand

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Ursula Kalb bei ihrer Dankesrede. (Foto: Robert Kiderle)

Beim Jahresempfang der Katholiken im Alten Rathaus geht es um den Nahost-Krieg, aber auch um die Frage, warum eine moderne Gesellschaft Kirche braucht.

Von Anne Eberhard

Mal heiter beschwingt, dann getragen klagend, immer mehrstimmig. Mit ihren Instrumenten spiegelt das Saxophonquartett "Saxaliento" die Stimmung dieses Abends wider. Einer, der am Mittwoch in der Bürgersaalkirche beginnt, in diesem prunkvollen Raum im Barockstil, und im Festsaal endet, in der etwas offiziellen und doch gemütlichen Atmosphäre des alten Rathauses. Kirche und Politik, Christ-sein und Gesellschaft, all das trifft hier aufeinander. Die Bibel in der einen Hand, die Zeitung in der anderen: Das ist das Motto des Jahresempfangs des Katholikenrates der Region München.

Den Satz mit der Bibel und der Zeitung, den hat Karl Barth gesagt, ein Schweizer Theologe. An diesem Abend sagt ihn Ursula Kalb. Auch sie ist Theologin und hat die Gemeinschaft Sant'Egidio in Deutschland mitgegründet. Für ihre Gemeinschaft in München ist sie heute hier, um stellvertretend eine Auszeichnung des Katholikenrates in Empfang zu nehmen. Mit der Pater-Rupert-Mayer-Medaille zeichnet der jedes Jahr Organisationen oder Einzelpersonen aus, die durch den christlichen Glauben motiviert ehrenamtliche Arbeit leisten. Auch Ehrenamtliche aus den Pfarrgemeinden und von anderen Verbänden sind deshalb an diesem Abend geladen.

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Es dauert lange, bis alle 300 Gäste im Festsaal des alten Rathauses sitzen. Die Schlange am Eingang ist lang und die Gespräche im Vorraum sind schon vor der Preisverleihung in vollem Gange. Dann holt Hiltrud Schönheit, Vorsitzende des Katholikenrates der Region München, die Gäste auch geistig in den Saal zurück. "Kaum einer hat damit gerechnet, wie schrecklich die Weltpolitik werden würde", sagt Schönheit. "Damit müssen wir umgehen, menschlich und christlich." Deutlich verurteilt sie den Terror der Hamas und die Versuche, Israel sowohl das Recht auf Selbstverteidigung wie auch auf dessen Existenz abzusprechen. "Dass Jüdinnen und Juden in dieser Zeit wieder Angst haben müssten, ihre Religion auf der Straße zu zeigen, ist unerträglich." Der Vorstand werde eine Solidaritätsadresse an die beiden jüdischen Gemeinden in München richten, die Israelitische Kultusgemeinde und Beth Shalom, sagt Schönheit.

"Es liegt eine Chance in der Frage, warum eine moderne Gesellschaft Kirche braucht."

Nach ihrer Rede versucht die Vorsitzende es noch mit einer aufmunternden Lesung von Wolf Biermann: "Das Grün bricht aus den Zweigen" singt dieser in einem Lied und: "Wir brauchen grade deine Heiterkeit." Die Saxophone schließen sich an, und klingen dabei allerdings auch nur so heiter, wie Saxophone eben klingen. Das Schreckliche auf der Welt sehen, sich damit auseinandersetzen und trotzdem weitermachen - christliche Organisationen sollten sich gerade in diesen Zeiten in den gesellschaftlichen Dialog einbringen, sagt Münchens Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD). "Es liegt eine Chance in der Frage, warum eine moderne Gesellschaft Kirche braucht."

Die Auszeichnung des Abends geht an dann eben an Sant'Egidio, eine christliche Laienbewegung. Sie wurde 1968 in Rom von Andrea Riccardi gegründet, einem damals 18-jährigen Schüler. In München hat die Gemeinschaft seit 2011 ihren Hauptsitz im Pfarrverband Altschwabing. Die Ehrenamtlichen setzen sich für Geflüchtete ein, für obdachlose und ärmere ältere Menschen. Jeden Samstag geben sie in Altschwabing 500 Portionen warmes Essen aus.

"Wir sind dankbar für die vielen Freunde, die wir hier in München gewonnen haben", sagt Ursula Kalb in ihrer Dankesrede. An ihren pinken Blazer hat sie eine Friedenstaube gesteckt, umgeben von einem Regenbogen. Die Mitarbeiter von Sant'Egidio sprechen immer von Freunden. Hier gibt es keine Besucher oder Klienten. Freundschaft bedeute Begegnung auf Augenhöhe, "ein kostenloses Angebot ohne Bedingung". Jeden, der bei ihnen Hilfe erfährt, fragen sie, was er beitragen oder wo sie mit anpacken könne, sagt Kalb. Einige Geflüchtete aus der Ukraine, die in ihrer Sprachschule Deutsch lernen, geben samstags jetzt auch Essen aus.

"Sie helfen mit Seele", sagt Elisabeth Minkovski, als schon alle Rednerinnen die Bühne verlassen haben. Sie selbst arbeitet bei Sant'Egidio ehrenamtlich als Übersetzerin für Russisch und Ukrainisch. Wie sie den Abend heute wahrnehme? "Wissen Sie, das ist Anerkennung", sagt Minkovski, und lädt dann eifrig dazu ein, sich am Buffet zu bedienen. Das ist schließlich schon eröffnet und das gehört ja auch zum Feiern dazu. In Grüppchen stehen die Gäste vor den Tafeln zusammen, auf denen pikanter Melonensalat liegt, Lachs-Brokkoli-Quiche und Zwiebelkuchen.

Am Ausgang des alten Rathauses schreiben viele Gäste dann noch in ein Gästebuch. "Vielen Dank" schreiben sie dort hinein oder "Herzlichen Dank für die Veranstaltung". Dabei sind es doch sie, denen gedankt wurde an diesem Abend.

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