Ismaning:Schöpfer der Scheinwelten

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"Modell-Naturen" in der zeitgenössischen Fotografie im Ismaninger Kallmann-Museum

Von Udo Watter, Ismaning

Inmitten einer gewaltigen Berglandschaft duckt sich unter einem riesigen Felsvorsprung eine Berghütte. Wie ist dieses durchaus massive Haus, das hier freilich surreal winzig erscheint, in eine so bedrohliche und unzugänglich anmutende Szenerie hineingeraten? Wenn man das Bild des Fotokünstlers Thomas Wrede betrachtet, könnte einen eventuell ein ambivalentes Gefühl durchströmen, das Kant und Schiller in ihren ästhetischen Untersuchungen das "Erhabene" genannt haben. Bei genauerer Anschauung drängt sich freilich ein anderes philosophisches Sujet in den Vordergrund: Was ist Wahrheit, was ist Wirklichkeit? Oder konkreter: Wie fragwürdig ist eigentlich unsere eigene Wahrnehmung, was für ein Verhältnis haben Bild und Realität?

In Wirklichkeit hat die Hütte die Größe einer Zigarettenschachtel, und die spektakuläre alpine Szenerie ist realiter der Ausschnitt einer Felsformation im Sauerland. "Das Verhältnis von Künstlichkeit und Wirklichkeit spielt in meinem Schaffen schon lange eine Rolle", sagt Wrede. Er ist einer von 19 Künstlern und Künstlerinnen, die in der neuen Ausstellung im Ismaninger Kallmann-Museum ihre Werke zeigen: "Modell-Naturen in der zeitgenössischen Fotografie" heißt diese ungewöhnliche Gruppenausstellung - und sie zeigt auf faszinierende Weise, wie wenig wir als Betrachter unseren Sinnen und unserem Kopfkino trauen können.

Oft sind dabei die Modelle, die den Fotografien zugrunde liegen, in aufwendiger Handarbeit von den Künstlern selbst angefertigt worden, Wrede platziert in seinen "Real Landscapes" neben kleinen Modellhäusern mitunter auch Spielzeugautos in echte, unveränderte Landschaften hinein - aber eben so geschickt, dass durch Maßstabverschiebungen optische Täuschungen und somit beeindruckende Scheinwelten entstehen: Aus einer Pfütze wird ein See, aus einer Sandgrube am Nordseestrand eine hochalpine Szenerie. Digital bearbeitet wird hier quasi nichts - es sind die Lichtverhältnisse und das Fehlen von Größenverhältnissen, die ihre irritierende Wirkung zeitigen. Ähnliche Eye Catcher sind Frank Kunerts Arbeiten, der in seinen Fotografien kaum mehr Reales mit einbindet, sondern mittels selbst gefertigter Modelle, oft aus Leichtschaumplatten konzipiert, gleichsam augenzwinkernd seine Ideen umsetzt. Da sieht man einen "Flugsteig" hoch in den Wolken, der einer S-Bahn-Haltestelle ähnelt - statt eines örtlichen Umgebungsplanes hängt hier freilich eine Weltkarte neben einem Abfalleimer.

Generell ist den Fotoarbeiten zu eigen, dass ihre Schöpfer Kamerastandpunkt, Ausleuchtung, Belichtungszeit und Fokussierung gezielt einsetzen, um die gebaute Natur im Bild möglichst echt erscheinen zu lassen. Die Arbeiten der Künstlerin Sonja Brass etwa stellen die Frage, wie natürlich und echt Natur tatsächlich ist, wie sehr unser Blick konditioniert ist. In Zeiten, in denen der Begriff "Fake News" den politischen Diskurs prägt und die Digitalfotografie mit ihren vielfältigen Möglichkeiten der Manipulation Tür und Tor öffnet, sind solche Fragen für Künstler wie Publikum hoch relevant. Das Spiel mit diversen Wirklichkeitsebenen beherrschen auch David LaChapelle mit einem illuminierten Tankstellenmodell im nächtlichen Dschungel ("Gas Shell") oder Suzanne Moxhay, die in "Thicket" Baumgruppen in verfallene Bauwerke so stellt, dass die Maßstäbe und Motive zugleich real und surreal wirken, sie sind quasi ver-rückt.

Bei zahlreichen der in Ismaning gezeigten Werke beschleicht den Betrachter ein befremdliches Gefühl. Es schimmert gleichsam immer ein dystopischer Charakter durch. Die visuellen Täuschungen, die ambivalente Künstlichkeit der Objekte unterminiert die Verlässlichkeit der Sinne. Man weiß es und lässt sich doch manipulieren.

Die Ausstellung im Kallmann-Museum Ismaning dauert bis zum 5. Mai. Zu sehen sind Werke von 19 Künstlerinnen und Künstlern.

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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