Willis Augen leuchten auf. Sanft wendet er den Blick vom Whiteboard am Kopfende des Klassenzimmers hinüber zu Donart Krasniqi, der neben ihm in der Schulbank sitzt. "Servus", tönt es aus seiner weißglänzenden Brust. Krasniqi grinst. An den neuen Kameraden muss sich der Zehntklässler erst noch gewöhnen. Ein paar Bänke weiter hinten sitzt Hans Vestneshagen von der norwegischen Firma "No Isolation". Mit Hilfe seines Tablets steuert er Willis Bewegungen und Stimme.
Willi ist ein Avatar, der es Kindern und Jugendlichen, die chronisch krank sind oder aus anderen Gründen längere Zeit nicht in die Schule gehen können, ermöglichen soll, trotzdem am Unterricht teilzunehmen. Und sie damit davor bewahrt, sozial den Anschluss zu verlieren.
Die Johann-Andreas-Schmeller-Realschule in Ismaning ist die erste Schule in Deutschland, die über ihren Schulzweckverband einen der "No Isolation"-Avatare erworben hat. Auch wenn Schulleiter Stefan Ambrosi betont: "Am liebsten wäre es uns natürlich, wir würden ihn gar nicht brauchen. Denn das würde bedeuten, dass wir keine kranken Schüler haben." Sollte einer der 669 Schüler aber doch einmal längere Zeit ausfallen, etwa wegen eines Krankenhausaufenthalts, kann sie oder er sich nun von Willi, wie die Realschüler ihren Avatar probehalber getauft haben, im Unterricht vertreten lassen.
Die etwa 25 Zentimeter hohe Maschine besteht aus Kopf und Rumpf und ist handlich genug, um sie ohne Probleme unter den Arm zu klemmen. Dank einer Kamera und eines eingebauten Mikrofons sieht und hört sie, was im Klassenzimmer geschieht und überträgt das per Livestream ins Krankenhausbett oder nach Hause. Von dort aus kann das erkrankte Kind Willi steuern, mittels einer App auf seinem Tablet beziehungsweise Smartphone. Will es sich melden, leuchtet ein farbiges Signal an Willis Kopf auf, über einen Lautsprecher kann der Erkrankte mit den Mitschülern und dem Lehrer sprechen, ohne dabei selbst gesehen zu werden. "Das ist wirklich eine tolle Idee", sagt Krasniqi, der Schülersprecher an der Realschule ist. "Durch den Avatar wird auch der Klassenzusammenhalt gestärkt. So können wir einen Mitschüler, auch wenn er krank ist, up to date halten und mit ihm zusammen lachen, als wäre er direkt hier."
"Es geht ja nicht nur darum, den Unterricht mitverfolgen zu können, sondern noch viel mehr darum, den Kontakt zu den Mitschülern zu halten."
Auch die Lehrervertreter erhoffen sich viel von der neuen Möglichkeit. "Es ist ein echtes Problem, wenn ein Schüler lange ausfällt", sagt Annerose Bruckmaier, Lehrerin und Personalrätin an der Realschule Ismaning. Bislang sind erkrankte Schüler auf die Unterstützung ihrer Klassenkameraden, Lehrer oder Eltern angewiesen. "Aber wenn wir einmal ehrlich sind: Was bringt es dem Schüler denn, wenn er nur das Arbeitsblatt geschickt bekommt?", sagt Bruckmaier. "Es geht ja darum, den Unterricht mitzuerleben." Selbst mit Hausunterricht, der Schülern bei langfristigen Erkrankungen zusteht, lasse sich der Stoff bei langen Absenzen erfahrungsgemäß nicht so leicht aufholen. Dank des Avatars, hofft die Lehrerin, könnten zu große Lücken von Anfang an verhindert werden.