Isarvorstadt:Letzte Vorstellung

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Nach 37 Jahren gibt Moni Jarosch ihren Getränkemarkt an der Thalkirchner Straße in jüngere Hände. Gelegentlich wird sie in ihrem alten "Wohnzimmer" vorbeischauen und ansonsten erkunden, wie sich München heute präsentiert

Von Elisa Holz, Isarvorstadt

Es war ja nicht so, dass Moni Jarosch noch nichts von der Welt gesehen hatte, als sie Anfang der 1980er Jahre nach München zog. An den exotischsten Orten war sie gewesen - von A wie Azoren bis B wie Bahamas. Aber das erste Mal fremd fühlte sich die junge Frau aus Niederbayern, als sie damals einen Getränkemarkt in der Isarvorstadt übernahm, der allerdings nicht irgendein Getränkemarkt war. Eröffnet 1951, war der Laden an der Thalkirchner Straße der erste seiner Art in München, gelegen zwischen Vieh- und Schlachthof und damit mitten im Revier der Schlachter und Metzger, einer eigenen Welt mit rauen Umgangsformen. "Am Anfang habe ich jeden Abend geheult", sagt sie.

War ja auch gemein, leere Bierkästen mit Ochsenaugen zu garnieren. Zwei Wochen dauerte es, bis die junge Frau, die auch damals schon wasserstoffblonde Locken, rosarote Lippen und das Herz am rechten Fleck hatte, zurückschlug: "No oa moi und i hau euch den Hackel aber a so um den Schädel." Moni, so nennt sie jeder, war im Viertel angekommen. Als sie Monate später ihre Mutter daheim besuchte, war diese entsetzt von dem groben "Slang", den sich ihre Tochter in der Landeshauptstadt angeeignet hatte.

Seitdem sind 37 Jahre vergangen. 37 Jahre, in denen die Moni von Montag bis Samstag fast jeden Tag in ihrem braun-grün gekachelten Getränkemarkt mit den grünen Plastikgirlanden und den langen Regalen voller sorgfältig etikettierter Spirituosen stand und mit ihrem legendären Hackelstecken Bier-, Saft- und Wasserkästen hin- und herschob, hoch- und herunterhievte und dabei immer einen guten Spruch parat hatte. "Ich hatte hier ein super Publikum", sagt sie.

Moni war nämlich nicht nur Besitzerin eines Getränkemarkts, Seelentrösterin und Freundin aller Kinder, Hunde und Katzen in der Gegend, sondern vor allem eine begnadete Alleinunterhalterin mit einem in ihrer Branche sehr hilfreichen trockenen Humor. Ihr blitzschnelles Mundwerk eilt wahrscheinlich sogar ihrem Ruf voraus, den sie diesem Mundwerk überhaupt erst zu verdanken hat. Es ist klar, dass Moni im Viertel und darüber hinaus beliebt ist. Nach ihrem Kunden- und Bekanntenkreis gefragt, muss sie sich mit dem Umkehrschluss behelfen: "Mei, wen kenn i ned?" Alle paar Minuten schrillt in der Getränkequelle die Türglocke. Ding, dong. Die Evi vom Stüberl ums Eck bringt die Flaschen zurück. Ding, dong. Der Tierarzt-Sepp bringt die Brotzeit und, ding, dong, die Nachbarin, wie Moni eine leidenschaftliche Pilzsammlerin, steckt den Kopf zur Tür hinein: "Du, jetzt san die Maronis da".

Moni ist in ihrer rosafarbenen Daunenweste inmitten der Türme aus bunten Kästen so etwas wie ein soziales Lagerfeuer. Dank ihr strahlt der gekachelte Raum eine so große Wärme aus, dass sich so mancher Kunde schon an das eigene Wohnzimmer erinnert fühlte. "Hast du da auch so viele Bierkästen rumstehen?", kontert die Moni solche Anwandlungen und lacht schallend.

Sentimentalität ist ihre Sache nicht, selbst jetzt, da sie den Laden an ihren Kronprinzen Flori Eschrich übergibt. Mit fast 66 Jahren fühlt sie sich inzwischen eben doch etwas zu alt für den körperlich sehr anstrengenden Job. "Zwei neue Hüften und ein paar Bandscheiben", das ist mittlerweile ihr sehnlichster Wunsch, den aber auch die Ärzte unter ihren Stammkunden ihr nicht erfüllen konnten, obwohl sie angesichts der andauernden Schmerzen sogar einer Notoperation auf dem Biertisch im Hinterzimmer des Getränkemarkts zugestimmt hätte. "Narkose mit dem Holzhammer", eh klar.

Vor schwarzen Löchern hat die Moni keine Angst, und dass sie im Ruhestand in ein solches fallen wird, glaubt sie auch nicht. Schließlich wird sie dem Flori weiter mit Rat und Tat zur Seite stehen. Außerdem hat sie sich vorgenommen, München zu entdecken. "Ich kenn die Stadt ja gar nicht, war ja immer nur da herin", sagt Moni. Ganz oben auf der Sightseeing-Liste: Abtauchen im Sealife. Wie damals auf den Azoren und den Bahamas.

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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