Literatur:Geheimtinte aus Zitronensaft

Lesezeit: 2 min

Häuser mit Geschichten und Gesichtern: Autorin Ioana Pârvulescus hat ihrer Heimatstadt Brasov - Kronstadt - ein Buch gewidmet. (Foto: H. Tschanz-Hofmann/imago images)

Ioana Pârvulescus Roman "Wo die Hunde in drei Sprachen bellen" erzählt von einer Kindheit in Kronstadt. Aber ist es eine heile Welt, die die rumänische Autorin beschreibt? In München stellt sie ihr Buch nun vor.

Von Jutta Czeguhn

Von Seite zu Seite empfindet man mehr Vergnügen beim Lesen dieses Buches, wachsen einem die Menschen, von denen es erzählt, enger ans Herz. Man möchte mit ihnen wohnen in diesem großen, alten Haus im siebenbürgischen Brasov (Kronstadt), "wo die Hunde in drei Sprachen bellen", so der Titel von Ioana Pârvulescus im Zsolnay Verlag erschienenen Buch, das sie am 24. März im Haus des Deutschen Ostens in München vorstellt.

Im rumänischen Original heißt der Roman "Inocenții", also "Die Unschuldigen", und bringt damit ein seltsames Lese-Dilemma auf den Punkt. Kann es so etwas wie Unschuld, wie Wärme und Geborgenheit geben im Rumänien der Sechzigerjahre, im Land Ceauşescus? Schreibt sich diese Ioana Pârvulescu, Jahrgang 1960, hier etwa ihre eigene Kindheit schön? Wo wir doch Buch um Buch von Herta Müller erzählt bekommen haben, dass die Welt im Banat eine graue, grausame war. Nora Iuga, die heute 91-jährige Grande Dame der rumänischen Literatur, hatte nach Müllers Nobelpreis 2009 angemerkt, dass man das Karpatenland nicht nur als Securitate-Hölle wahrnehmen sollte, worauf die Freundschaft der beiden Schriftstellerinnen zerbrach.

Aufwachsen im Haus der Großfamilie: Ioana Pârvulescu, Jahrgang 1960, lehrt an der Universität in Bukarest Literatur. (Foto: Mihai Benea)

Wie also umgehen mit Pârvulescus warmem Familienporträt, denn der Vorwurf der Verharmlosung kam natürlich prompt? Vielleicht hilft es, zwischen den Zeilen zu lesen, die Geheimtinte aus Zitronensaft, wie es die Kinder im Buch tun, gegen das Feuer zu halten. Denn heil ist diese Welt, die Erzählerin Ana durch die Brille ihres Kinder-Ichs beschreibt, ja keineswegs. Auch wenn sich das Haus, in dem sie mit Bruder, Cousin und Cousine, Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten lebt, vom Außen abgekoppelt zu haben scheint, von all der materieller Not, von Geheimpolizei, Bespitzelung.

Ein wenig erinnert diese melancholische, oft heitere Art der Rückschau an Annette Kolbs München-Roman "Die Schaukel". In vielen Zimmern des Kronstädter Hauses, in den duftenden Schränken der Großmutter spinnt sich die Illusion einer einstmals multikulturellen, schläfrig fernen k.-und-k.-Epoche fort. Doch bekommt diese Kinderabenteuerwelt auch immer wieder Risse, wie die Wände des alten Hauses, in denen längst der Schimmel wuchert. Wände, die weinen, wie es Ana, dem Kind, vorkommt. Da emigriert etwa der jüdische Herr Blau nach Israel, ein deutschstämmiger Nachbar kehrt aus dem Sowjet-Gulag zurück, den wandernden Eltern werden in den Bergen die Schuhe abgenommen von jungen, aber sehr höflichen Dissidenten, die, mutmaßt die Erzählerin, wohl ein kurzes Leben haben werden. Dann ist da der Moment, wenn Anas Mutter aufhört, den Himbeerschaum zu schlagen, als der Vater sagt: "Die Russen sind in die Tschechoslowakei einmarschiert!" Und irgendwann verbiegt sich der Schatten des alten Elternhauses, verneigt sich wie in Trauer nach dem frühen Tod des Vaters.

"Wo die Hunde in drei Sprachen bellen", Lesung von Ioana Pârvulescu, 24. März, 19 Uhr, Haus des Deutschen Ostens München, Am Lilienberg 5, Anmeldung unter Telefon 449993-0 oder poststelle@hdo.bayern.de

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: