Interview: Ehepaar Vogel:"Ein Heim ist kein Ort der Verbannung"

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Liselotte und Hans-Jochen Vogel über ihre Entscheidung, in ein Wohnstift zu ziehen - und wie daraus ein Buch entstand.

Berthold Neff

Vor drei Jahren sorgte das Ehepaar Vogel für Aufsehen - mit der Entscheidung, eine Wohnung im Altenheim zu beziehen. Darüber hat Liselotte Vogel nun ein Buch geschrieben. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sprechen die beiden über dieses Buch und über ihr Leben im Alter.

Wohnen seit drei Jahren in einem Wohnstift: Liselotte und Hans-Jochen Vogel. (Foto: Foto: Haas)

Süddeutsche Zeitung: Frau Vogel, Sie haben sich während der Zeit, als Ihr Mann hohe politische Ämter innehatte, der Presse gegenüber eher reserviert gezeigt.

Liselotte Vogel: Äußerst reserviert.

SZ: Nun aber wollen Sie in einem Interview Rede und Antwort stehen, weil es um Ihr Buch geht.

Liselotte Vogel: Ich wurde gefragt, ob ich über unsere Entscheidung, ins Wohnstift zu ziehen, ein Buch schreiben möchte. Dieser Entschluss vor drei Jahren hat ein beträchtliches Medienecho ausgelöst. Ich fand zwar, dass dies eine ganz private Sache ist und habe anfangs gezögert. Nach einer Fernsehsendung zu diesem Thema gab es aber sehr viele Reaktionen, vom baren Entsetzen bis zu leidenschaftlicher Zustimmung.

SZ: Wer hat Ihnen denn zugestimmt?

Liselotte Vogel: Das waren vor allem Jüngere, die sich Gedanken um ihre Eltern machen und die es gut fanden, dass man solche Schritte einleitet, wenn man es noch selber tun kann. Alte Menschen reagierten unterschiedlich. Freunde von uns sagten, nein, wir ziehen zu unseren Kindern, andere fanden es völlig überflüssig, dass Menschen, die noch relativ beweglich sind wie wir, so einen Gedanken fassen. Deshalb hat es mich gereizt, dieses Buch zu schreiben.

SZ: Wenn man Sie beide so sieht, liegt der Gedanke nicht fern, dass Sie in einem Wohnstift noch nichts verloren haben?

Liselotte Vogel: Da müssten Sie sich mal umschauen hier, da gibt es viele Menschen, die auf Sie so wirken würden wie wir, es gibt viele, die noch jünger sind und mindestens ebenso beweglich.

SZ: Also Menschen, die sich selber in der Welt zurechtfinden, die auf sich aufpassen können?

Liselotte Vogel: Wer nicht dement ist, findet sich sowieso zurecht, aber mit dem Aufpassen ist es eine andere Sache. Es treten Einschränkungen auf, mit denen man schwerer fertig wird, wenn man älter wird. Wir hatten vorher in einer Wohnung ohne Aufzug gelebt, da wurde es zunehmend schwierig, den Einkauf in den zweiten Stock zu schleppen, ich hatte damals schon Herzprobleme.

SZ: Sie hätten aber auch in eine Wohnung ziehen können, die ebenerdig ist oder über einen Aufzug verfügt?

Liselotte Vogel: Das ist eine Alternative, die ich im Sachteil meines Buches auch beschreibe. Ich möchte auch gar nicht, dass mein Buch als Plädoyer für den Einzug in ein Wohnstift verstanden wird. Ich erläutere nur, warum es für uns die richtige Entscheidung war, und erwähne all die anderen Möglichkeiten. Wichtig ist nur in allen Fällen, dass es überhaupt zu einer Entscheidung kommt.

SZ: Die Freunde von Ihnen, die anderer Meinung sind, wie wollen die leben?

Liselotte Vogel: Die finden, dass man das auch anders regeln kann. Und sie haben zum Teil recht krause Vorstellungen davon, wie es in einem solchen Altenheim oder Wohnstift aussieht. Sie sehen den Pflegenotstand vor sich, Personalmangel, Überforderung, also ein Haus, in dem es nach Bohnerwachs und Erbsensuppe riecht, wo man vom Korridor aus durch die geöffneten Türen sehen kann, wie die Menschen in ihren Betten liegen. Das ist die gängige Vorstellung vom Heim. Ich will zeigen, dass ein Heim kein Ort der Verbannung ist.

Im nächsten Abschnitt lesen Sie, ob aus Vogels Sicht auch Durchschnittsverdiener ein angenehmes Heim finden können.

SZ: Es kommt aber schon darauf an, wie viel die Rente hergibt?

Hans-Jochen Vogel (Foto: Foto: ddp)

Liselotte Vogel: Sicher ist es auch eine Frage des Geldes, aber ich kenne durchaus auch Altenheime, die für Durchschnittsverdiener erschwinglich sind, in denen es angenehm zugeht...

Hans-Jochen Vogel:... und von den städtischen Altenheimen in München höre ich auch Gutes.

SZ: Herr Vogel, die Frage, was aus den alten Menschen wird, beschäftigte die Politik schon zu der Zeit, als Sie Oberbürgermeister in München waren.

Hans-Jochen Vogel: Das war damals schon ein Problem, aber durch die demographische Entwicklung hat es sich noch verschärft. Bei der Eröffnung dieses Hauses, am 24. Juni 1962, war ich übrigens dabei und habe auch gesprochen.

SZ: Da waren Sie 36 Jahre alt und seit zwei Jahren Oberbürgermeister.

Hans-Jochen Vogel: Und entsprechend lag das, was wir jetzt erörtern, für mich persönlich noch meilenweit entfernt. Aber fragen Sie mich nicht zuviel, denn das ist das Buch meiner Frau, und den Text durfte ich erstmals lesen, als das Manuskript fertig vorlag. Das Wort "selbstbestimmt" in der Überschrift gilt, was meine Frau betrifft, für dieses Buch und auch für andere Bereiche. Mir schien wichtig, Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich rechtzeitig auf das Alter vorbereiten und die richtigen Entscheidungen treffen. Die Kriterien dafür werden im Buch ausgeführt.

SZ: Sie mussten sich für den Platz im Wohnstift schon Jahre vorher anmelden, einen Vorvertrag schließen. Sind Sie in Ihrem Entschluss bis zum Zeitpunkt des Einzugs noch wankelmütig geworden?

Liselotte Vogel: Ich schon deshalb nicht, weil ich mich sofort in die Wohnung verliebt habe. Und nach drei Jahren hier im Wohnstift bin ich immer noch restlos zufrieden. Die Atmosphäre ist sehr angenehm. Dazu gehört auch der Mittagstisch in einer konstanten Zusammensetzung, da ist mein Mann Hahn im Korb mit sechs Damen.

Hans-Jochen Vogel: Ohne hier eine verdeckte Werbung zu betreiben, kann auch ich nur ein gutes Zeugnis ausstellen. Natürlich gibt es auch üppigere Einrichtungen...

Liselotte Vogel:... die sich Senioren-Residenzen nennen, da würde ich nie hinziehen, schon weil ich diese beschönigenden Begriffe verabscheue.

Hans-Jochen Vogel: Unsere Entscheidung war richtig. Und was meine Frau im Buch ausführlich schildert, ist Folgendes: Wenn es soweit ist, dass man auf Pflege angewiesen ist, so soll dies in einer Umgebung geschehen, die man kennt.

Liselotte Vogel: Mein Buch ist kein Plädoyer dafür, ins Altenheim zu gehen, sondern nur dafür, rechtzeitig die richtige Entscheidung zu treffen. Ich beschreibe nur, zu welcher Entscheidung wir gekommen sind, und erwähne die Alternativen.

SZ: Die letzten Endes vor allem auch eine Frage des Geldes sind. Was müsste sich in unserer Gesellschaft verändern, dass alle Menschen im Alter so gut versorgt sind wie zum Beispiel Sie?

Liselotte Vogel: Das ist eine schwierige Frage. Zum einen müsste das Pflegepersonal besser bezahlt werden, das kostet Geld und macht die Sache nicht billiger. Da wird man noch genauer hinsehen, ob jemand von Pflegestufe II nach III hochgestuft wird.

Im nächsten Abschnitt: Was passierte, nachdem Jochen Vogel seine spätere Frau zu politischem Engagement überreden wollte.

SZ: Was sagt die Politik dazu?

Hans-Jochen Vogel: Man kann nicht alle Altenwohnheime über einen Leisten scheren. Unabhängig von der finanziellen Situation jedes Einzelnen ist eines für alle gleich - nämlich sich rechtzeitig zu entscheiden. Man darf nicht den Kopf in den Sand stecken und dies alles den Kindern überlassen oder dem Betreuungsgericht. Auch ich meine, dass es im Pflegebereich einen erheblichen Bedarf gibt. Der Beruf hat eine viel höhere Anerkennung verdient und eine angemessene Vergütung. Da gibt es einen ersten ermutigenden Vorstoß, den der Erzieherinnen. Nun muss der Pflegebereich folgen.

Liselotte Vogel: Es ist ein unglaublich kräftezehrender Beruf, das habe ich schon als Ehrenamtliche im Altenheim des Presbyteriums in Bonn erlebt.

SZ: Bevor Sie sich zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit entschieden, sind Sie 1969 ins Münchner Rathaus gegangen, um den Oberbürgermeister um Rat zu fragen. Ist das nicht etwas ungewöhnlich?

Liselotte Vogel: Das ist im Buch etwas kryptisch, da denken die Leute in der Tat, wieso geht die gleich ins Rathaus? Wir haben uns ja auf gesellschaftlicher Ebene gekannt, und ich dachte mir, der OB - den ich übrigens 1960 gewählt habe - wird sich ja auskennen.

SZ: Und Sie wollten Ihre spätere Frau - Sie haben 1972 geheiratet - zunächst in die Politik locken, SPD oder notfalls FDP?

Hans-Jochen Vogel: Die Demokratie lebt davon, dass sich Menschen für das Gemeinwesen engagieren. Ihr Nein zur Politik war aber so eindeutig, dass ich den sozialen Bereich empfohlen habe.

Liselotte Vogel: Daraus wurden 30 Jahre Engagement bei der Pfennigparade.

SZ: Und wie halten Sie es mit dem ehrenamtlichen Engagement heute, zum Beispiel hier im Wohnstift?

Liselotte Vogel: Bis vor kurzem habe ich eine alte Freundin betreut, habe es aber an deren Stiefsohn übergeben, denn wenn mir etwas passieren sollte, dann hängt das alles in der Luft. Nach wie vor interessiere ich mich für die Menschen, bin eine gute Zuhörerin, so kann ich manchen auch helfen.

SZ: Wenn Ihre Frau heute zu Ihnen käme und Sie fragen würde, wo kann ich mich engagieren, würden Sie ihr heute wieder zunächst zur Politik raten?

Hans-Jochen Vogel: Sicher, und auch wieder zur Sozialdemokratie, alles andere wäre ja gerade bei mir höchst verwunderlich. Ob ich aber heute wieder die FDP nennen würde? Da mache ich mal ein Fragezeichen.

Liselotte Vogel: Die Linke würdest Du mir sicher nicht vorschlagen?

Hans-Jochen Vogel: Weiß Gott nicht!

Liselotte Vogel: Vielleicht die Grünen?

Hans-Jochen Vogel: Wäre möglich.

SZ: Spielt die Politik am Mittagstisch eine Rolle?

Hans-Jochen Vogel: Ich habe nie den Eindruck erweckt, dass ich hier werbend auftrete, aber politische Fragen werden, sofern sie auftauchen, mit der notwendigen Sachlichkeit und Distanz behandelt.

SZ: Der SPD würde es aber sicher gut tun, wenn Sie noch jemanden überzeugen könnten?

Hans-Jochen Vogel: Ob das meinen Argumenten gelungen ist, wird sich am 27. September zeigen.

© SZ vom 05.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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