Im Tunnel:Die Schleifer aus dem Untergrund

Immer nachts glätten Arbeiter mit einem Spezialzug die Schienen - damit es auf der U-Bahn-Fahrt wieder weniger ruckelt.

Von Marco Völklein

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(Foto: Florian Peljak)

Wenn Dirk Schuhmann beschreiben soll, was die Techniker da so treiben in diesen Nächten unter der Stadt, dann greift er gerne mal zum Zahnarzt-Vergleich. "Im Grunde", sagt der Leiter der Gleisinstandhaltung bei der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), sei so eine Schiene kaum anders als ein Zahn. Der werde auch ständig belastet, auf Dauer entstünden kleine Risse und Unebenheiten. Nur dass man diese bei der U-Bahn rasch merkt - auch als Fahrgast. Kleine Unebenheiten in der Schiene, sogenannte Riffel, lassen die Waggons leicht ruckeln und schwanken, mitunter auch etwas aufschaukeln. "Das gefällt dem Passagier nicht", sagt Schuhmann, "und erst recht nicht dem Material." Denn die Schwingungen übertragen sich auf die Mechanik in den Waggons - und können dort Schäden an Rädern, Drehgestellen oder Aufbauten verursachen. Deshalb müssen Schuhmann und seine Leute ran.

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(Foto: Florian Peljak)

So gegen 22.30 Uhr rücken sie von der U-Bahn-Basis in Fröttmaning aus mit einem großen, gelben Spezialzug in den Münchner Untergrund vor. In dieser Nacht sind die Arbeiter auf dem Abschnitt der U 3 im Münchner Südwesten rund um die Basler Straße unterwegs. Mit dem Spezialzug des Schweizer Unternehmens Speno lässt Schuhmann die U-Bahn-Schienen abschleifen. Acht bis zehn Mal hintereinander hobelt die Maschine über so einen Gleisabschnitt - dann ist meist wieder alles in Ordnung. Die Unebenheiten, die vor allem in den Bahnhöfen durch das ständige Abbremsen und Anfahren der mehr als 150Tonnen schweren U-Bahnen entstehen, sind dann weggeschliffen. Ebenso die kleineren Haarrisse, die sich in das Schienenmaterial hineingefressen haben. "Wenn man so will", beendet Schuhmann seinen Vergleich, "ist dann die Zahnreinigung abgeschlossen."

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(Foto: Florian Peljak)

Das alles spielt sich im Zehntelmillimeterbereich ab. Die Haarrisse können bis zu sieben Zehntelmillimeter tief sein. Der Schleifzug wiederum knabbert pro Überfahrt etwa ein Zehntelmillimeter weg. Deshalb rauschen die Arbeiter in der ersten Hälfte dieser Nacht zwischen den Stationen Fürstenried-West und Basler Straße immer wieder hin und her. Wobei rauschen übertrieben ist: Im Schleifmodus bewegt sich das gelbe Trumm nicht schneller als mit fünf Kilometern pro Stunde voran.

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(Foto: Florian Peljak)

Während Lokführer Peter Schwarzenberg seinen Schleifzug also mit Schrittgeschwindigkeit durch die Röhre schiebt, rotieren unter ihm 24 Schleiftöpfe über die Schienen. Funken sprühen, eine Mischung aus Rauch und Abrieb steigt auf und trübt die Luft im Tunnel binnen Minuten ein. Zudem herrscht ein Höllenlärm, sodass an eine Unterhaltung unter Schienenschleifern kaum zu denken ist - lediglich bei Schwarzenberg vorne im schallgedämmten Führerstand ist es einigermaßen ruhig. Ebenso am anderen Ende des Zuges, wo zwei Techniker der Spezialfirma sitzen und an zahlreichen Monitoren die ganze Schleiferei überwachen. Blaue, grüne und gelbe Kurven laufen über den Bildschirm; ein Gerät, das an ein EKG im Krankenhaus erinnert, zeichnet alles auf. Mit einer Art Sonar können die beiden auch in das Innere der jeweiligen Schiene schauen und so feststellen, wie tief die Risse und Unebenheiten gehen. Erst wenn auf den Bildschirmen keine Unregelmäßigkeiten mehr zu sehen sind, die Schienen also alle wieder schön glatt geschliffen sind und das von Schuhmann gewünschte Profil aufweisen, rücken sie mit dem Schleifzug weiter vor ins Netz. Über die Jahre werden so nach und nach bis zu 30 Millimeter von einer Schiene abgeschliffen. "So viel Spielraum haben wir", sagt Schuhmann. "Ist der aufgebraucht, muss die Schiene raus."

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(Foto: Florian Peljak)

Stück für Stück, Nacht für Nacht arbeitet sich der Schleiftrupp so durch den Untergrund. Begonnen wird meist auf den Außenästen, weil die Planer der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) dort leichter einen Schienenersatzverkehr organisieren können. Denn klar ist: Wenn die Schleiftöpfe im Untergrund rotieren, muss der normale U-Bahn-Verkehr dort ruhen. Das liegt auch an der Feuergefahr, die von dem Schleiftrupp ausgeht. Funken und glühende Teile könnten zum Beispiel herumliegendes Papier entzünden. Deshalb marschieren hinter dem Zug auch zwei Arbeiter als Brandwache mit: Mit einer Gießkanne in der Hand erstickt einer sofort jede noch so kleine Flamme, ein zweiter sammelt glühende Schleifabfälle auf. Zudem fährt nach einer Schleiftour noch ein Waschzug der MVG durch den Tunnel und räumt mögliche Hinterlassenschaften ab.

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(Foto: Florian Peljak)

Im Schnitt muss jeder Kilometer U-Bahn-Gleis alle zwei Jahre abgeschliffen werden. An besonders stark frequentierten Stellen, etwa am Marienplatz oder auf der Strecke der U 6-Nord, über die sämtliche U-Bahnen in Fröttmaning ein- und ausrücken, kommt der Schleiftrupp auch öfter vorbei. Zweimal im Jahr, jeweils im Frühjahr und im Herbst, fordert die MVG die Schweizer Schleifer an und lässt sie jeweils über mehrere Wochen im Untergrund rotieren. Speno unterhält einen ganzen Fuhrpark an Schleifzügen - kleinere Modelle für die U-Bahn, wesentlich größere Ausgaben davon auch für Schienenstrecken in aller Welt. "Die große Bahn", sagt Schuhmann und meint damit Schienenkonzerne wie die Deutsche Bahn oder die französische SNCF, "für die ist unsere Maschine hier nur Spielzeug."

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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