Hilfe:Ins Leben zurückgekämpft

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Durch die Arbeit und Betreuung im Café Glanz sollen langzeitarbeitslose Frauen wieder Struktur in den Alltag bekommen. Myrvete Gashi ist eine von ihnen: Nach Jahren drohender Abschiebung, Scheidung und Krankheit hat sie hier ein Stück Heimat gefunden

Von Johannes Korsche, Haidhausen

Die Geschichte von Myrvete Gashis Leben erinnert an einen Hollywood-Film. Es ist die Geschichte einer Flucht aus dem Kosovo, es ist die Geschichte einer alleinerziehenden Frau in einem fremden Land, umgeben von einer fremden Sprache. Gashis Leben in Deutschland beginnt mit ihrem damaligen Ehemann in einem Auto mitten im Nirgendwo eines Waldes bei Saarbrücken - im Winter 1994, kurz vor Silvester. Was folgt sind Abschiebungsversuche, Zwangsumzüge, die Scheidung und gesundheitliche Probleme.

Immer treibt sie der Wunsch an, hier anzukommen, hier zu arbeiten und ein unabhängiges Leben aufzubauen. 23 Jahre später deutet vieles auf ein Happy-End hin. Dank einem unscheinbar wirkenden Café an der Sedanstraße: dem Café Glanz. Das wiederum ist eine Einrichtung der "Stadtteilinitiative alleinerziehender Frauen in Haidhausen" (siaf), die Frauen in allen Lebenslagen aus ganz München unterstützt.

Wer der inzwischen 42-Jährigen zuhört, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. So viel Erlebtes, längst nicht alles schön, passt also in ein einziges Leben. Dabei lacht Gashi viel, während sie erzählt, wirkt glücklich. Vielleicht weil sie weiß, dass es auch anders hätte kommen können. Als sie im Kosovo aufwächst, wirft sie in der 10. Klasse die Schule hin. "Der große Fehler in meinem Leben", sagt sie heute zu dieser Entscheidung. Sie hilft daraufhin zu Hause im Haushalt, lernt einen Mann kennen, heiratet mit 18 Jahren. "Ein bisschen früh", findet sie das inzwischen. Ein Jahr nach der Hochzeit steigen sie ins Auto und fahren zehn Tage lang in Richtung Deutschland, in Richtung eines besseren Lebens, aber vor allem zunächst in die Unsicherheit. "Das war schlimm", erinnert sich Gashi. Bis sie dieses bessere Leben findet, vergehen Jahre.

Von der Waldlichtung bei Saarbrücken geht es nach Hannover. Dort leben Verwandte des Mädchens, mit dem sie gemeinsam im Auto geflohen sind. Es ist ihre erste Bleibe in Deutschland. Doch zum Verschnaufen bleibt keine Zeit. Sie fahren weiter nach München, melden sich dort bei den Behörden. Und werden nach Neu-Ulm geschickt. Zwei Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland wird Gashi schwanger. Wenige Monate nach der Geburt ihrer ältesten Tochter ist die zweite auf dem Weg. Das alles, während die Familie von einer Unterkunft in die nächste verschoben wird. Dazu die Angst vor der Abschiebung, "vor dem Gericht", wie Gashi sagt. Nicht unbegründet. Insgesamt drei Mal habe man versucht, sie abzuschieben. Nur dank eines Anwalts, den sie über ein Frauenhaus kannte, kann sie in Deutschland bleiben. "Er hat mich echt gerettet."

Im Café Glanz lassen es sich Mütter und ihre Kinder schmecken. (Foto: Florian Peljak)

Die Familie hält dem Druck nicht stand, 2000 trennt sich Gashi von ihrem Mann, 2002 folgt die Scheidung. Sie und ihre Kinder haben heute keinen Kontakt mehr zu ihrem Ex-Mann. "Das ist aber egal, ich habe eh immer alles alleine gemacht - auch, als ich noch mit ihm zusammen war." Gashi spricht oft solche Sätze aus, die zunächst harmlos daherkommen, hinter denen sich aber ganze Jahre voller Probleme verstecken. "Ich weiß selbst nicht, wie ich das alles geschafft habe." Die Kraft sich immer wieder aufzuraffen und weiterzukämpfen, haben ihr die beiden Töchter gegeben. Einen Mann braucht sie dafür nicht an ihrer Seite - "einmal reicht", sagt sie wissend.

Seit zehn Jahren ist Gashi nun im Café Glanz und bei siaf. Als Ein-Euro-Jobberin im Café, später als hauswirtschaftliche Assistentin, als Reinigungskraft von siaf, als Team-Assistentin. Von Anfang an "bin ich echt gerne gekommen". Denn sie wollte ja immer arbeiten. "Ich wollte nie vom Jobcenter leben." Das Problem war nur, mit befristeter Aufenthaltserlaubnis einen Job zu finden, was genauso schwer ist, wie ohne Job eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Dank dem Café Glanz hat sie heute beides. Unzählige Fortbildungen und Umschulungen später fängt im März 2016 ihre feste, wenngleich noch befristete Halbtagesstelle an - aufgeteilt in zehn Stunden als Reinigungskraft für den Trägerverein siaf und fünfzehn Stunden für das Café Glanz.

Die Kollegen im Café und bei siaf sind in den vergangenen zehn Jahren "meine zweite Familie" geworden, sagt sie. "Wo ich ohne siaf wäre, weiß ich wirklich nicht." Auch das Café Glanz käme inzwischen ohne sie nur schwer aus. Sie hat sich in den vergangenen Jahren von einer Ein-Euro-Jobberin mit Sechs-Monatsvertrag zur zweiten Chefin hochgearbeitet, die vom kommenden März an eine unbefristete Stelle bei siaf antreten kann.

Kira Wüsten, Geschäftsführerin von siaf, kämpfte für den unbefristeten Vertrag. "Der Verein ist damit ins Risiko gegangen", sagt sie. Die Finanzierung ist abhängig von den Fördergeldern. Aber das sei es wert, damit Gashi "erleichtert in die Zukunft schauen kann". Zumal sie für Wüsten eine sehr besondere Mitarbeiterin ist. "Myrvete", die beiden Frauen duzen sich, "ist eine tragende Säule des Cafés." Selten habe sie jemanden erlebt, der mit so viel Engagement und Einsatzwille anpacke. "Es ist wirklich toll mit ihr." Auch weil Gashi Verantwortung übernimmt. Sie kümmert sich neben der Bedienung der Café-Besucher und dem Kochen und Backen in der Küche - dienstags bis freitags gibt es Selbstgemachtes - auch um Arbeitspläne, Bestellungen und Buchhaltung des Frauencafés. Als letztens die Kaffeemaschine kaputt geht, fängt Wüsten das Rechnen an, knapp 3000 Euro sind eine Menge Geld für den Verein. Zumal, wenn die Preise im Frauencafé weiterhin so "sozial" bleiben sollen, wie Wüsten es ausdrückt.

Myrvete Gashi arbeitet im Café Glanz. Dort finden langzeitarbeitslose Frauen Hilfe. (Foto: Florian Peljak)

Bei Gashis Lebensgeschichte "kriege ich Gänsehaut", sagt Wüsten, die während des Gesprächs wie versunken zugehört hat. Sie freue sich, durch das Café eine Möglichkeit für Frauen wie Gashi zu schaffen, "sich zu verwurzeln, eine Existenz zu sichern und Freunde zu finden". Im Café Glanz arbeiten ausschließlich langzeitarbeitslose Frauen, die durch eine meist auf sechs Monate befristete Stelle wieder "Struktur in ihren Lebensalltag bekommen" sollen. In einem "Schutzraum", der neben der Arbeitstelle auch eine berufliche, psychosoziale und sozialpädagogische Beratung bietet. Durch diese Hilfestellung hofft Wüsten "die Frauen so zu stabilisieren, dass sie sich auch woanders bewerben können." Gashi ist da "ein Vorbild für die anderen Frauen." Derzeit arbeiten sieben Frauen im Café.

Myrvete Gashi hört sich das alles sichtlich stolz an. Sie ist nach all den Jahren so richtig in Deutschland angekommen. Dank dem Café Glanz.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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