Harthof:Willkommenskultur in der Praxis

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Beim Feiern lernt man einander am besten kennen: Unter diesem Motto sind die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft an der Schleißheimer Straße mit ihren Nachbarn zusammengetroffen

Von Nicole Graner, Harthof

Es gibt ein kleines rotes Buch, das an diesem Nachmittag in der Flüchtlingsunterkunft an der Schleißheimer Straße 438 durch viele Hände geht. Ein Buch mit Fotos vom ersten Hausfest, die fröhliche Menschen zeigen. Sie feiern miteinander, kochen und tanzen. Egal, woher sie kommen, egal, wie beschwerlich der Weg gewesen sein mag, den sie auf sich genommen haben, um Krieg und Verfolgung zu entfliehen - in diesen Momenten scheint beides vergessen, in diesen Momenten geht es um das Miteinander und das Erspüren der neuen Umgebung im Münchner Norden, die nun Heimat für sie ist.

Zwei Feste hat es im Haus schon gegeben. "Sich kennenlernen, sich austauschen, sich helfen - all das geht beim Feste feiern am besten", sagt Sabah Kajan Sultan aus Irak. Der 34-Jährige spricht fünf Sprachen: Kurdisch, Arabisch, Persisch, Englisch und Deutsch. Seit 2009 lebt er in Deutschland und kann - selbst einmal Flüchtling - nun anderen helfen. Mit seinen Sprachkenntnissen. Das dritte Fest im Haus ist anders. Denn die 157 Menschen, die in der Unterkunft wohnen, feiern zusammen mit Anwohnern, ehrenamtlichen Helfern und Bürgern, die schon lange einmal sehen wollten, wer in jenem Haus mit den bunten Fensterläden lebt. Organisiert haben die Feier die Stadtviertel-Grünen, die SPD, der Pfarrverband Milbertshofen, die Versöhnungskirche und St. Gertrud. Viele kommen. Kinder legen Memorys oder schlängeln sich mit geschminkten Gesichtern durch die Menge. Ein Baby, vor zwölf Wochen in Deutschland geboren, schmiegt sich an seine Mutter. Mercy aus Nigeria lächelt und drückt ihren winzigen Schatz an sich. Eine Besucherin sitzt in einer Ecke und zeigt Farhya, wie man Socken strickt. Farhya hat ein luftiges Kleid an. Ihre Füße stecken in schwarzen Flip-Flops. "Das ist doch viel zu kalt", sagt ein Besucher. Der Mann schüttelt ungläubig den Kopf und lacht Farhya an. Sie schaut auf ihre Füße und lacht zurück. Plötzlich Musik: Draußen tanzen drei Jugendliche. Alle klatschen. "Ich finde es schön, dass wir zusammen feiern, dass sich die Menschen des Stadtviertels und des Hauses endlich kennenlernen", sagt Annette Webers. Einmal die Woche kommt die Lehrerin für Mathematik und Erdkunde in die Harthofer Unterkunft und hilft - wie viele andere ehrenamtlich - bei der Hausaufgabenbetreuung. Ihr sei es von Anfang an ein Bedürfnis gewesen, zu helfen.

Mercy aus Nigeria hält mit der Kamera fest, wie der Gospelchor "Changing Voices" von der Versöhnungskirche vor der Flüchtlingsunterkunft Lieder singt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ein Chor der Versöhnungskirche singt Lieder. Als er ein Lied auf Zulu anstimmt, summt ein Mann aus Afrika mit. Leise, versonnen. Und da ist der zwölfjährige Hamza, der in einem deutsch-syrischen Chor dabei ist. Er stellt sich in die Mitte des Raums und singt "Freude schöner Götterfunken". Einfach so. Im Gang der Unterkunft verteilt ein Ehepaar Kleider, Spielsachen und Kinderbücher. Ein kleiner Junge hat eine Schelle bekommen. Er sitzt auf dem Schoß seiner Mutter und spielt mit den kleinen Glöckchen. Direkte Nachbarn sind auch da. Von ihren Fenstern aus blicken sie jeden Tag auf die Unterkunft und die Spielwiese. Leicht sei der Bau der Flüchtlingsunterkunft nicht zu akzeptieren gewesen. Aber nun sei es so. Daher wolle man das Beste draus machen. Deswegen seien sie da.

Viele Sprachen, viel Musik und frohe Gesichter - es ist ein Willkommensfest, das vieles zeigt: Menschen finden schnell zusammen. Durch die Musik und das miteinander Feiern. Sprachbarrieren fallen, wenn man den anderen anlächelt, vergessen kann, was trennt. Faysal Mahamed, 25, aus dem Südwesten Somalias fühlt sich wohl im Haus. Über Griechenland ist er vor drei Monaten nach München gekommen. Er fühlt sich von den Menschen hier an- und ernst genommen. Nur arbeiten würde er gerne. Helfen. Er hat in seiner Heimat einen Master gemacht und hat nur eine Hoffnung für sein Land: Bildung. Die würde er so gerne weitergeben wollen.

Nicht weit von der Schleißheimer Straße 438 entfernt demonstrieren am gleichen Tag Nachbarn und Stadtteilpolitiker an der Neuherbergstraße 28. Dominik Krause von "München ist bunt", Ruth Huber (SPD) vom Bezirksausschuss Milbertshofen-Am Hart, die Stadträte Christian Vorländer (SPD), Marian Offman (CSU) und Jutta Koller (Bündnis 90/Die Grünen) setzen nach dem Brandanschlag von drei Jugendlichen auf die Unterkunft deutliche Zeichen. In zwei Wochen werden an der Neuherbergstraße 28 voraussichtlich die ersten Flüchtlinge einziehen. Und die Hoffnung ist groß, dass die Menschen dort irgendwann genauso miteinander leben können wie an der Schleißheimer Straße 438. "Wir haben hier", sagt Karin Gashi von der Inneren Mission, "wirklich ein sehr gutes, friedliches Miteinander." Faysal bestätigt das. Er hält kurz inne, schaut seinem Gegenüber lange in die Augen und sagt: "Ja, es ist das Beste, hier zu sein."

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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