Harthof:Endlich wieder ein Zuhause

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Die Bilanz stimmt: Verena Graf leitet die Einrichtung "Lebenshilfe". (Foto: Florian Peljak)

Die Einrichtung "Lebensplätze" im Hart kümmert sich mit großem Erfolg um wohnungslose, ältere Frauen

Von Simon Schramm, Harthof

Ein Bett voller Kuscheltiere, ein Zimmertisch geschmückt mit Blumen und Papstfoto, ein kleiner, klobiger Fernseher, überall Fotos von Verwandten oder ihrem Hund: Es braucht nicht viel, damit Anna Bauer, 70, (Name geändert) von einer "Luxus-Wohnung" spricht. "Als ich hier eingezogen bin, war das wie eine zweite Geburt", sagt sie glücklich. Ihr Apartment findet sich im Harthof im zweiten Stock der "Lebensplätze", einer Einrichtung für wohnungslose, ältere Frauen, in der Anna Bauer seit April 2014 lebt. Bauers Wohnung besteht aus einem Schlafzimmer mit kleinem Balkon, einem Bad und einem weiteren Raum mit Küche: "Hier in der Wohnung bin ich mein eigener Herr."

Noch bis vor zwei Jahren war das anders. Anna Bauer kann das Datum nicht mehr nennen, an dem das Wohngebäude in Lochhausen abbrannte, in dem sie bis dahin gelebt hatte. Zunächst kam sie in einer Pension unter, danach musste Bauer in eine erste Einrichtung für wohnungslose Frauen ziehen. Es sei ein Leben wie in einer Zelle gewesen, erinnert sich Anna Bauer, Dusche und Toilette habe sie teilen müssen, Essen habe sie nicht selber kochen dürfen; wenn sie das Haus verließ, musste sie sich abmelden. Bauer gefiel dieser Alltag nicht, sie wollte die Einrichtung verlassen und ist noch immer stolz darauf, dass sie für die Wohnung im Harthof vorgeschlagen wurde. Sie schätzt die Freiheiten, die sie in ihrer neuen Umgebung hat. "Wenn ich meinen Sohn besuche oder zum Einkaufen, muss ich mich nirgendwo abmelden."

Obdach- und wohnungslose Frauen erst selbständig wohnen und leben lassen, ihnen Hilfe geben, die Frauen entpflichten: Das ist das Konzept, das hinter den "Lebensplätzen" steht und die Einrichtung von anderen unterscheidet. 25 Frauen leben in dem gelb-weißen Neubau, manche leiden an einer psychischen Krankheit oder Suchtproblemen. Für jede Wohnung gibt es, natürlich, ein eigenes Klingelschild, jede Frau hat einen eigenen Wohnungsschlüssel. Seitdem im Dezember 2011 die ersten Frauen eingezogen sind, hat es in der noch jungen Geschichte des Hauses vier Auszüge gegeben: Eine Bewohnerin verstarb, drei mussten ihre Wohnung wieder verlassen. Ein Großteil ist also geblieben - und genau in diesem Faktum liegt die positive Zwischenbilanz, die die Einrichtung nach etwa dreieinhalbjährigen Betrieb vorzuweisen hat.

Für die Bewohnerinnen sind die "Lebensplätze" niemals deren erste Station nach Eintritt der Obdachlosigkeit. Viele Frauen ohne Obdach ziehen häufig um, kommen bei Verwandten und Bekannten unter, in Notunterkünften oder im Fall einer psychiatrischen Erkrankung in einer Klinik, bevor sie dann vielleicht sogar wirklich "Platte machen" müssen.

"Es kommt schon vor, dass eine Bewohnerin in der Früh voll gepackt mit Plastiktüten das Haus verlässt" sagt Verena Graf, Leiterin des Hauses, das vom Evangelischen Hilfswerk München getragen wird; aber am Abend komme die Frau eben wieder zurück in das Haus. Während andere Einrichtungen ihre Bewohner oft verpflichten, sich möglichst mit ihren Schwierigkeiten zu beschäftigen, zählt im Haus im Harthof der lange Atem.

Ziel der Einrichtung ist es zunächst, zu den Frauen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen - etwa bei den Veranstaltungen im Gemeinschaftsraum, in dem zusammen gebacken oder an der Nähmaschine gearbeitet wird. Als nächsten Schritt wird den Frauen, die in den meisten Fällen älter als 50 Jahre alt sind, vielfältige Hilfe angeboten; dazu gibt es ein Team, zu dem auch Sozialpädagogen und eine gerontopsychiatrische Krankenschwester gehören.

"Lebensplätze" legt also Wert darauf, dass die Bewohnerinnen freiwillig mit den Betreuern im Haus zusammenarbeiten und ihre Probleme angehen. Wenn Graf die jährliche Statistik interpretiert, scheint sich das Vertrauen langsam, aber sicher zu stabilisieren. So suchen viele der Frauen regelmäßig den Rat des Teams auf und holen sich beispielsweise für einen Behördengang Unterstützung Hilfe. Viele Frauen lassen sich im Haushalt unterstützen und suchen Rat zum richtigen Müllsortieren oder Entmotten vom Kleiderschrank.

In all diesen Fortschritten erkennt Verena Graf die Tendenz, dass die Frauen insgesamt mehr Kontakt aufgenommen haben. Dass sich die Zusammenarbeit bessert, macht sich natürlich nicht nur in der Statistik bemerkbar. "Eine Kollegin hat von einer Bewohnerin berichtet, die wenig von sich mitgeteilt hat", sagt Leiterin Graf, "im vergangenen Jahr kam sie dann überraschend auf die Betreuerin zu und erzählte plötzlich von ihren Kindern".

Verena Graf ist sich bewusst, dass die derzeitige positive Entwicklung nicht unbedingt auf Dauer ist und weist darauf hin, dass es wohl auch wieder eine Periode geben kann, in der der Kontakt zwischen den Frauen und Betreuern wieder abnimmt. Dennoch: "Dass die Frauen immer noch hier leben, das spricht für sich", sagt Graf, deren Einrichtung auch auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen ist. Als das Projekt "Lebensplätze" in München startete, gab es 80 Bewerbungen für die 25 Wohnungen, schon damals bestand hoher Bedarf für die Idee. Die "Lebensplätze" arbeiten eng mit anderen sozialen Einrichtungen zusammen, Graf hat dabei erfahren, dass dieser Bedarf nach wie vor besteht, wenn nicht sogar gestiegen ist: "Wir müssten eigentlich ein zweites Haus bauen."

Und wahrscheinlich findet das Projekt einen Nachahmer außerhalb Münchens: Im vergangenen Jahr war eine Delegation aus Stuttgart zu Besuch, um sich über das Konzept und den Betrieb der "Lebensplätze" zu informieren.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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