Türsteher am Weinzelt:"Die versuchen's überall, wo ein Loch ist"

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Der Zerberus: Hans Pohl bewacht den Kellnereingang des Weinzelts. (Foto: Stephan Rumpf)

Wenn alles voll ist im Weinzelt, probiert es mancher an der Seitentür und belagert Türsteher Hans Pohl. Doch er lässt keinen rein, den er nicht kennt. Und das schon seit 30 Jahren.

Report von Stephan Handel

30 Jahre auf der Wiesn - da lernst du die Leute kennen. Und kannst sie einteilen. Im Falle des Hans Pohl geht die Einteilung so: "Es gibt Normale, Nette, Hochgstochene und Möchtegerns." Hans Pohl also kennt die Menschen, und die Menschen kennen ihn. Allerdings nicht mit Vor- und Zunamen: Er ist in Weinzelt und Umgebung weltbekannt als der "kleine Hans". Seit zwei Jahrzehnten bewacht der kleine Hans eine der umkämpftesten Türen des ganzen Oktoberfestes.

"Den kleinsten Wachmann ausgerechnet an die härteste Tür", sagt Weinzelt- Wirt Stefan Kuffler. "Als ich das gehört habe, dachte ich, die sind nicht mehr ganz dicht." Die Tür nämlich, die der kleine Hans mit jedem einzelnen seiner 160 Zentimeter Körpergröße verteidigt, ist einerseits nicht mehr als der Ein- und Ausgang für die Biergartenkellner. Andererseits ist sie das geheime Portal, wenn das Zelt wegen Überfüllung geschlossen ist. Dann ist der kleine Hans der Wächter über das Privileg, der Zerberus, der keinen durchlässt, den er nicht kennt und der nicht von der Wirtsfamilie zu den wenigen Auserwählten gezählt wird, die immer rein dürfen ins Zelt.

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Hans Pohl weiß, wer rein darf

Das ist zum Beispiel Alexandra Schörghuber, die Paulaner-Chefin, mit der die Familie Kuffler über die Bierlieferung und auch sonst freundschaftlich verbunden ist. Andreas Steinfatt, der Paulaner-Geschäftsführer, weil das ginge ja schlecht: Ihm das ganze Bier abkaufen, und dann darf er nicht ins Zelt. Recht viel mehr Namen mag Hans Pohl aber schon nicht mehr nennen, sondern beharrt darauf, dass seine Tür ja kein Eingang ist, steht ja auch auf dem Schild oben drüber: "Kein Eingang".

Das bedeutet natürlich nicht, dass es die Leute nicht doch versuchen würden. Das Weinzelt ist neben der Käferschenke das einzige Zelt auf der Wiesn, das bis ein Uhr nachts aufhaben darf. Deshalb beginnt der Stress für den kleinen Hans jeden Abend um 22.30 Uhr, wenn die anderen Zelte schließen. Hunderte Menschen haben dann immer noch nicht genug und wollen vorbei am George, der den normalen Weinzelt-Eingang bewacht. Und wenn da nichts geht, dann eben am Hans-Eingang, der gar kein Eingang ist, aber lesen können sie um die Uhrzeit nicht mehr. "Die versuchen's überall, wo ein Loch ist", sagt Hans.

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Und mit was für Tricks. Doris, Roland, Stefan und Sebastian Kuffler haben an jedem Wiesn-Tag nach elf Uhr abends eine Unmenge an Brüdern, Schwestern, Cousins, Nachbarn, von den vielen besten Freunden ganz zu schweigen. Die ganz Schlauen stellen sich neben den kleinen Hans und tun so, als würden sie mit dem Wirt telefonieren: "Ja, Stefan . . . ich bin's . . . kann ich rein? . . . Okay, ich sag's ihm." Da kommen sie beim kleinen Hans aber an den ganz falschen. "Wenn ich jemand reinlassen soll, den ich nicht kenne, dann wird mir das vorher gesagt."

Und wenn nicht, dann steht der kleine Hans da wie Gandalf gegenüber dem Balrog: "Du kannst nicht vorbei!" Das galt übrigens auch für den Schlaumeier, der sich an der Biergarten-Schenke eine Kiste schmutziges Besteck schnappte, sie auf die Schulter hob, so dass sein Gesicht nicht zu sehen war, und mit einem gemurmelten "Servus" vorbei wollte. Guter Trick - aber nicht mit Hans.

51 Jahre alt ist Hans Pohl, Gärtner hat er gelernt, nebenbei aber schon lange im Bewachungsgeschäft gearbeitet. Als die Gärtnerei pleite ging, stieg er hauptberuflich ein. Auf der Wiesn war er zunächst Springer und nach zehn Jahren wurde er gefragt, in welches Zelt er gerne möchte - da hat er sich das Weinzelt ausgesucht. Dort gehört er mittlerweile sozusagen zum Inventar. Viermal hat die Bewachungsfirma seitdem gewechselt, der jeweils neuen wurde vom Wirt stets aufgegeben, den kleinen Hans weiterzubeschäftigen.

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"Ich kenne keinen anderen Nachtwächter", sagt Stefan Kuffler, "der seinen Job so mit Herzblut macht." Und mit Psychologie - wozu Hans Pohl auch seine Körpergröße zählt, beziehungsweise seinen Mangel daran: Vielleicht würde ein Muskelprotz an der Tür die Leute noch aggressiver machen. Er trägt zwar die weltweite Einheitskleidung der Security-Leute - Cargo-Hose, Nylon-Blouson -, aber dann hat er ein rotes Tücherl um den Hals gebunden, ein Edelweiß und andere Sticker am Kragen: Martialisch, furchteinflößend wirkt er eher nicht, auch wenn niemand seine Entschlossenheit unterschätzen sollte.

Einstecken können muss er sowieso, Tritte, Rempler, Stupser in die Rippen passieren jeden Tag. "Du musst die Leute runterbringen", sagt Pohl, und da kann es schon mal geschehen, dass er ihnen den Weg zum nächsten legalen Eingang vorsingt - dann müssen sie lachen, und die Situation ist gerettet.

Von August an ist Hans Pohl jede Nacht auf der Theresienwiese, bewacht den Aufbau und später, nach dem Ende des Festes auch den Abbau seines Weinzelts. Das sind drei Monate in jedem Jahr, aber er schaut auch unterm Jahr mal bei den Kufflers vorbei. Sehr viel mehr als ein Job ist das, weshalb er auch sagt: "Sollte ich mal nicht mehr im Weinzelt arbeiten dürfen, wäre die Wiesn für mich vorbei." Das aber wird nicht geschehen - der Wirt weiß: Im kleinen Hans hat er einen ganz Großen.

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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