Haidhausen:Weltreise zur Ladentheke

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Ein Bildungsprojekt zeigt Schülern, unter welchen Bedingungen unsere Kleidung hergestellt wird. Zu sehen ist dies jetzt bei einer Ausstellung im Haus der Eigenarbeit

Von Jerzy Sobotta, Haidhausen

Für einen Tag war Marie eine Näherin. Sie hat eine Tasche entworfen und selbst zusammengenäht, aus einem alten Hemd vom Secondhandladen. Sie hat nicht zum ersten Mal genäht, und das Handwerk macht ihr Spaß. Doch an diesem Tag hatte Marie nicht nur Schönes im Kopf, als sie zusammen mit fünf Mitschülern an der Nähmaschine saß. Denn einen Tag zuvor hatte sie erfahren, wie es Frauen in Kambodscha geht, die zu Hunderten in stickigen Fabrikräumen für einen Elendslohn eine Jeans herstellen. Zum Beispiel die, die sie selbst gerade trägt. "Die Frauen verdienen nur acht Euro am Tag und wohnen manchmal zu zehnt in einem Raum", sagt die Zwölfjährige. "Und selbst den können sie sich kaum leisten", wirft ihre Freundin Antonia ein. Die schrecklichen Arbeitsbedingungen und Lebensumstände einer Näherin haben die beiden bei einer Kreativwerkstatt kennengelernt, die der Bildungsverein Ökoprojekt Mobilspiel auch bei ihnen an der Artur-Kutscher-Realschule in Moosach veranstaltet hat.

Mit dem Projekt "Anziehen, mit Kleidung die Welt fairändern" haben Steffi Kreuzinger und ihre Kollegen Schüler hinter die Kulissen der Bekleidungs- und Modeindustrie blicken lassen. In den vergangenen fünf Jahren haben sie damit gut 2500 Siebtklässler aus ganz München, meist von Mittel- und Realschulen, erreicht. Was die gesehen haben, kann man nun bis Ende Januar in der gleichnamigen Ausstellung im Haus der Eigenarbeit an der Wörthstraße 42 anschauen. In der Haidhauser Mittmachwerkstatt hängen nicht nur Taschen und T-Shirts, die Marie, Antonia und ihre Mitschüler genäht und bedruckt haben. Infotafeln und Weltkarten mit Fotos, Fakten und Materialien zum Anfassen erzählen, welchen Weg die Klamotten zurücklegen, bevor wir sie im Geschäft kaufen. Daneben steht auch der informative Kleiderschrank, mit dem die Schüler sich ihr Wissen über den Produktionsweg der Jeans erarbeitet haben. "Das war so spannend, da haben sogar die Jungs zugehört, die sonst immer mit ihren neuen Sneakers prahlen", sagt Marie.

Zusammen mit Antonia war sie schon beim Projekttag hier. Eine ausgebildete Näherin zeigte ihnen, wie man eine Nähmaschine bedient und einen Schnitt entwirft. "Uns ist wichtig, dass die Schüler nicht nur die sozialen und ökologischen Folgen unserer Konsumgesellschaft verstehen. Sie sollen auch mit handwerklichen Berufen in Kontakt kommen", erklärt Kreuzinger, die das interaktive Programm mit ausgearbeitet hat. Dafür sei das Haus der Eigenarbeit ein idealer Ort, sagt sie, während sie zur offenen Werkstatt zeigt, die sich im Nebenraum befindet. Dort stehen große Kreissägen, Werkbänke, und es türmt sich meterhoch Holz.

Während Marie zur Schneiderin wurde, hat eine andere Gruppe gelernt, wie man alten T-Shirts mit Siebdruck einen neuen Look verpassen kann. Angeleitet von Lehrern der Alois-Senefelder-Berufsschule für Drucktechnik, die mitgemacht haben. Die meisten Kreationen werden einmal im Jahr bei Oxfam verkauft, wo auch die alten Hemden und T-Shirts herkamen. Und die Schüler, die weniger Lust auf Handwerkliches hatten, sind auf einer "Konsumrallye" durch die Fußgängerzone gezogen. Sie haben die Verkäufer großer Modeketten ausgefragt, wo die Anziehsachen überhaupt herkommen. "In der Stadt konnten sie auch etwas über Alternativen zu den Ketten lernen. Sie haben auch Secondhandläden und ökologische Kleidungshersteller besucht", erzählt Kreuzinger.

Schüler haben gelernt, wie man alten T-Shirts einen neuen Look verpasst. (Foto: Robert Haas)

Mit der Ausstellung kommt das Schulprojekt vorerst zum Ende. Das Team zieht eine positive Bilanz: Um die 14 Schulen hat es jedes Jahr besucht. Anfragen habe es aber noch viel mehr gegeben. Jetzt macht Kreuzinger sich bereits Gedanken über das nächste Projekt. "Das wird sich um nachhaltiges Wirtschaften jenseits der Wachstumsgesellschaft drehen", sagt sie. Die Finanzierung scheint schon gesichert zu sein. Denn der Geldgeber des Schulprojekts, die Sparda-Bank, sei auch zufrieden und habe schon Geld fürs nächste Jahr zugesagt. Da würden die beiden Siebtklässlerinnen auch gerne mitmachen. Denn ihnen hat der Tag als Näherin zu denken gegeben, sagt Marie. Sie kauft jetzt seltener neue Klamotten und trägt lieber die, die ihrer Cousine zu klein geworden sind. "Für uns ist es normal, mal eben eine neue Jeans zu kaufen. Aber andere müssen dafür schuften. Das ist schon krass."

Ausstellung: "Anziehend - mit Kleidung die Welt fairändern" zu sehen bis 29. Januar im Haus der Eigenarbeit (HEi), Wörthstraße 42, Rückgebäude (Haltestelle Ostbahnhof). Jeden Dienstag bis Freitag 15 bis 21 Uhr, Samstag 12 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung: 089/448 06 23.

© SZ vom 08.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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