Haidhausen:Schlechtes Klima

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Eine Familie bekommt wegen extremer Temperaturen, Feuchtigkeit und Moder in der Wohnung gesundheitliche Probleme und fordert vom Vermieter, die Dachdämmung zu erneuern. Doch der sieht alle Mängel behoben

Von Johannes Korsche, Haidhausen

Im Wohnzimmer hinter Azmi Sagir ist die Balkontür sperrangelweit geöffnet, so wie seit Monaten. Auf der anderen Seite der Wohnung, in der Küche, ist das Fenster ebenso aufgerissen. Sagir bleibt nichts anderes übrig. Denn würde er nicht lüften, so sagt er, dann sei das Raumklima für ihn und seine Familie in der Dachgeschoss-Wohnung nicht zum Aushalten. Scheint die Sonne, ist es stickig heiß. Geht sie unter, drückt von oben diese "kalte, feuchte Luft" in die Wohnung. Inzwischen sei er "körperlich und psychisch am Ende", sagt er.

Seinem Vermieter, der vormals staatlichen GBW-Gruppe, hat Sagir schon vor mehr als vier Monaten das erste Mal wegen seiner Situation geschrieben. Er informierte darüber, dass die Dachdämmung direkt über ihm ihren Dienst nicht mehr tue. Das gelbe Material sei zu weiten Teilen nicht mehr oben am Dach befestigt, sondern liege nutzlos am Boden herum. Es halte so weder Hitze noch Kälte noch Feuchtigkeit aus dem Haus und Sagirs Wohnung. Doch auch eifriger Briefverkehr mit der GBW hat bisher in Sagirs Augen nichts geholfen. Der Mieter spricht von "einem beschissenen Leben" in dieser Wohnung an der Balanstraße.

"Wissen Sie, ich kann nicht mehr normal denken, mein Kopf ist tot", sagt Sagir entschuldigend, als er überlegen muss, wann seine Probleme in der Wohnung anfingen. Dann fällt es ihm ein: Im Winter 2016 funktionierte nachts weder die Heizung noch das Warmwasser. Drei Jahre war es da her, dass die Bayerische Landesbank die 33 000 Wohnungen der GBW verkauft hatte. Damals bekam Sagir wegen der Heizung einen Teil seiner Miete zurück. So wie es "gesetzlich geregelt" ist, bestätigt auch die GBW.

"Körperlich und psychisch am Ende": So beschreibt Azmi Sagir, hier mit seinem Sohn Enes Azad in der Küche der Wohnung, seine Verfassung. (Foto: Robert Haas)

Seit dem vergangenen Winter habe er keine Nacht mehr durchgeschlafen, sagt Sagir. "Das stimmt", wirft seine 27-jährige Tochter Seda Peri ein. "Auch wenn ich nachts mal später nach Hause komme - egal, mein Vater ist wach, steht auf dem Balkon, in der Küche." Sie selbst treffe Freunde lieber in deren Wohnung, schlafe auswärts besser als in ihrem Zimmer. Weil woanders ihr Asthma nicht so schlimm sei, sagt sie. Außerdem rieche es modrig in der Wohnung. Dieser Geruch setze sich auch in die Kleidung, pflichtet ihr Vater bei. Seitdem ein Arbeitskollege einmal fragte, was denn hier so modrig rieche, traut er sich nicht mehr mit zum Mittagessen. "Ich wusste, das war ich." Seda Peri hat inzwischen keine Geduld mehr: "Es ist einfach kein Zustand hier."

Das findet auch der Kinderarzt des jüngsten Bewohners der Wohnung, des vierjährigen Enes Azad. Enes leide an immer wiederkehrenden Atemwegsinfektionen, nächtlichem Reizhusten sowie Ein- und Durchschlafstörungen, attestiert der Kinderarzt, der Enes kennt, seit dieser ein Baby war. Weiter schreibt er in einem "Attest zur Vorlage beim Wohnungsamt" vom 3. Mai 2018, das der SZ vorliegt: "Als mitursächlich anzuschuldigen ist die Wohnsituation in einer schlecht isolierten Dachgeschosswohnung, in der es tags zu einer deutlichen Überhitzung und nachts zu einer Unterkühlung mit hoher Luftfeuchtigkeit kommt." Zur Vermeidung einer Chronifizierung der Leiden sei aus "kinderärztlicher Sicht dringend" ein trockener und modern beheizter Wohnraum bereitzustellen. Die GBW sieht das anders. "Die Vorwürfe eines ungesunden Raumklimas und einer unzureichenden Dämmung sind unzutreffend." Daraus folgert das Unternehmen: "Die festgestellten Krankheitssymptome des Sohnes können daher auch nicht auf das Raumklima zurückgeführt werden."

Die GBW stützt sich dabei auf eine Raumklimauntersuchung, die "eine Raumtemperatur zwischen 20 Grad Celsius und 24 Grad Celsius" ergeben habe. Die Werte stehen auf einem Papier, das Sagir in seinem Wohnzimmer präsentiert. "Da glaube ich überhaupt nicht dran", kommentiert er das Schreiben. Sein eigenes Thermometer habe während der Zeit andere Werte angezeigt. Einen eigenen Datenlogger hat er zur Überprüfung aber nicht aufgestellt. Rückblickend ärgert ihn das, er habe nicht daran gedacht. "Mein Kopf", sagt er wieder entschuldigend.

Dämmstoff am Boden, reichlich Verfärbungen - wie die Situation unterm Dach an der Balanstraße einzuschätzen ist, darüber wird gestritten. (Foto: Robert Haas)

Dann entstand da noch dieser Wasserfleck an der Decke im Flur. Der wurde zwar schnell fachmännisch beseitigt, aber trotzdem blieb dieses ungute Gefühl. Woher der Fleck wohl kam? Über den Sagirs wohnt niemand, von dessen Badewanne beispielsweise Wasser auslaufen könnte. Die GBW ist sich aber sicher, dass der Wasserfleck "in keinem Zusammenhang mit der Dachdämmung" steht. Diese sei instandgesetzt worden. Sagir teilte die GBW mit, dass diese Reparatur Ende August abgeschlossen worden sei.

An Bauarbeiter auf dem Dachboden kann er sich aber nicht erinnern; überhaupt habe sich nichts merklich am Klima in seiner Wohnung geändert. Als er daraufhin erneut ins Dachgeschoss steigt, sieht er sich bestätigt. "Keine Veränderung", sagt er. Um das zu dokumentieren, schießt er am 11. September Fotos, wie das gelbe Material, teils gräulich verfärbt, nutzlos herumliegt. An einigen Stellen der Dachkonstruktion ist zudem das Holz verfärbt. Seit Sagir das gesehen hat, befürchtet er das Schlimmste: Schimmel.

Die GBW streitet das ab: "Es gibt keine Stellen, die feucht sind oder Schimmel aufweisen." Bei einer erneuten Begehung am 13. September, betont das Unternehmen auf Anfrage, "wurde die Funktionsfähigkeit der Dachdämmung durch die ausführende Fachfirma bestätigt". Kleinere bestehende Feuchtigkeitsstellen im Treppenhaus trockneten bereits aus. Unabhängig davon würden weitere, rein optische, Maßnahmen ergriffen. "Dabei wird die Dämmwolle durch das Anbringen einer neuen Dampfbremse in den Sparren nochmals fixiert." Auch der komplette Bauschutt, der sich aktuell dort befinde, werde innerhalb von zwei Wochen entfernt.

Doch auf solche Beteuerungen gibt Sagir nicht mehr viel. Er will nur noch, dass das Dach endlich gerichtet wird. Seit September überweist er keine Kaltmiete mehr. "Ein dauerhaftes Nicht-Überweisen der Miete kann selbstverständlich zu mietrechtlichen Konsequenzen führen", lässt die GBW wissen. Azmi Sagir will es darauf ankommen lassen.

© SZ vom 15.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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