Haidhausen:Ohropax für Lena

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40 Schüler der Mittelschule an der Wörthstraße kämpfen im Internationalen Jugendzentrum Haidhausen um den Sieg bei "München sucht den Superschrei". Sie sollen sich verausgaben, um sonst auch mal leise zu sein

Von Johannes Korsche, Haidhausen

Der elfjährige Amini ist der erste Kandidat der vielleicht lautesten Castingshow Deutschlands, die am Mittwochnachmittag im Internationalen Jugendzentrum Haidhausen (IJZ) an der Einsteinstraße veranstaltet wird. Unter dem Motto "München sucht den Superschrei" wollen Organisator Martin Zimmer und der Leiter des IJZ, Uwe Hegeler, den größten Schreihals Münchens finden. Dafür haben sie in der Mehrzweckhalle genau einen Meter vor einer Torwand ein Schallpegelmessgerät aufgebaut. Was etwas schräg daher kommt, hat einen pädagogischen Hintergrund. "Ihr wisst ja, dass ihr in der Schule und zu Hause nicht einfach losschreien sollt, aber heute dürft ihr", begrüßt Hegeler die Kinder. Weil "Jungs das nicht so laut können wie Mädchen" treten die Kinder in zwei Kategorien an. Alle schielen aber auf den bisherigen Dezibel-Rekord, der seit 2011 unangetastet ist: 119,8 Dezibel - so laut wie ein startendes Düsenflugzeug, gemessen in etwa 30 Metern Entfernung.

Pietro Briscese schreit aus Leibeskräften, um auf dem Schallpegelmessgerät einen hohen Wert zu erzeugen. (Foto: Florian Peljak)

Amini lässt sich nicht zweimal herausfordern. Er steigt auf das kleine Podest hinter der Torwand, damit er durch das obere Loch gucken kann. Frei nach dem Torwandschießen im Fernsehen gilt nun "zwei oben". Denn jeder Schreihals hat zwei Versuche, um die Glaswände der Mehrzweckhalle zum Bersten zu bringen. Während seine gut 40 Mitschüler aus der fünften bis achten Klasse der Mittelschule an der Wörthstraße hinter einem Absperrband zugucken, setzt er ein Paar lärmschützende Kopfhörer auf und holt tief Luft. Was folgt, ist ohrenbetäubend - im wahrsten Sinne des Wortes. "Ein bisschen peinlich und ein bisschen aufregend" sei es gewesen, sagt Amini hinterher. Aber - mit einem angedeuteten, stolzen Lächeln im Gesicht - "es hat Spaß gemacht."

Bei der Anstrengung, die es für einen lauten Schrei braucht, ist Pietro die Aufmerksamkeit des jungen Publikums sicher. Spannend bleibt es bis zum Schluss. (Foto: Florian Peljak)

Dabei ist das Laute eigentlich nicht so seins. Nach seinem Eröffnungsschrei sitzt er ganz ruhig und entspannt an der Wand und guckt sich das Treiben seiner Konkurrenten an. Es wirkt so, als sei er von sich selbst überrascht. Von diesen 108 Dezibel, die er in das Jugendzentrum geschrien hat. Denn "ich bin ich ja nicht so der Schreier", wundert er sich selbst.

Zwar stehe der "Eventcharakter" im Vordergrund, wie Zimmer sagt. Trotzdem sollen die Teilnehmer auch etwas mitnehmen. Denn für ihn geht es letztlich darum, dass sich die Kinder einer "Wettkampfsituation stellen" und anschließend "für ihre Leistung Anerkennung erhalten". Die drei Lautesten bekommen einen Pokal. Überreicht von Prince Damien - 2016 Gewinner der Mutter aller Castingshows, "Deutschland sucht den Superstar". Der Münchner RTL-Star hat außerdem für alle Teilnehmer signierte T-Shirts dabei.

Wie laut ist das denn: das Schallpegelmessgerät zeigt den Wert genau an. (Foto: Florian Peljak)

Ein Event eben. Darüber hinaus bietet der Schrei-Wettbewerb "unter kontrollierten Bedingungen auch eine Art Aggressionsabbau", sagt Zimmer. Für die 80 bis 100 Kinder, die zumeist aus sozial schwächeren Familien kommen und täglich das Jugendzentrum besuchen, ist das eine gute Alternative zur körperlichen Auseinandersetzung. Das Angebot soll dementsprechend "niedrigschwellig" sein - "auch wenn es heute eher hochfrequent ist". Ein guter Nebeneffekt: Beim Schreien "verausgaben sich die Kinder und sind dann anschließend auch ruhig", sagt Zimmer.

Körperlich anstrengend ist der Wettbewerb aber nicht nur für die Schreihälse, sondern auch für Lena Arnold. Die 21-Jährige wird gerade zur Erzieherin ausgebildet und absolviert am IJZ ein Praktikum. Sie ist für die Messungen zuständig und gibt die Ergebnisse an den Jury-Tisch weiter. Dass sie den ganzen Nachmittag von wildfremden Kindern angebrüllt wird, ist zwar "nicht normal", aber eben auch mal eine "nette Abwechslung", sagt sie lachend. Damit die Ohren nicht zu sehr klingeln, ist vorgesorgt. "Ich habe zum Glück Ohrstöpsel, sonst wäre das schon ziemlich hart." Das Drauflos-Brüllen übt nicht nur auf die Kinder eine besondere Faszination aus, sondern auch auf die Praktikantin. "Ich habe selber noch nicht reingeschrien, aber das mache ich dann vielleicht später noch."

Doch am anstrengendsten ist es wohl für die Kandidaten. Aro sieht man es an. Weil er genauso laut gebrüllt hat wie Hasan, kommt es zwischen den beiden zum Stechen um den ersten Platz. Der Fünftklässler verlangt seinen Stimmbändern also zum dritten Mal an diesem Nachmittag alles ab. Da tastet er anschließend lieber den Hals ab, ob noch alles am rechten Platz ist. "Es ist schon witzig, wenn man mal so schreien darf." Letztlich ist Aro - in Ermangelung eines besseren Wortes - ein bisschen zu leise. Hasan als der Sieger bringt es auf stattliche 111,4 Dezibel. Zum Vergleich: Bei einer Kettensäge schlägt das Messgerät bis etwa 110 Dezibel aus. Bei den Mädchen gewinnt Valentina mit 113,4 Dezibel. Gut, dass Lena Arnold Ohropax hat.

© SZ vom 16.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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