Haidhausen:Die Kreativität eines ganzen Viertels

Lesezeit: 3 min

So geht's: "Wolle spinnen" heißt die Mitmachaktion in der Kunsthandwerk-Kooperative "Hands Gallery". (Foto: Robert Haas)

Kunst in der Kirche, Führungen im Atelier oder in der Werkstatt: Vier Tage lang zeigt Haidhausen unter dem Motto "Obacht! Kultur im Quartier", wie vielfältig hier die Szene ist und wie die Bürger sie neugierig entdecken

Von Franziska Gerlach, Haidhausen

Mit einem Mal ist er noch schöner als sonst, der Weißenburger Platz: Menschen in weißen, fließenden Gewändern tanzen zu sphärischen Klängen um seinen Brunnen herum, bedächtig setzen sie ihre Schritte, die Spiegel in ihren Händen halten sie aufeinander gerichtet, nur einmal huscht das reflektierte Sonnenlicht über eine Häuserfassade. "Wie schön", flüstert ein Mädchen, das mit seiner Mutter inmitten der Zuschauer am Rande des Platzes steht. Mit Kugelschreiber haben sie die Informationen zur Theaterperformance im Programmheft markiert: Samstag, 15 Uhr. "SpiegelWiderSpiegel".

So sichtbar wie am Weißenburger Platz ist Kultur im fünften Stadtbezirk nicht immer. Und insofern darf gewiss auch der Name der Haidhauser Kulturbiennale, die nun zum achten Mal stattfand, als eine freundliche Aufforderung gelesen werden, sich das Füllhorn an Kreativität zu erschließen, die in Haidhausen schlummert. Bei "Obacht! Kultur im Quartier" geht es darum, sich treiben zu lassen, endlich mal die Stufen zu einer Werkstatt zu nehmen, einen Hinterhof zu betreten, den man schon immer betreten wollte, es aber aus irgendwelchen Gründen bislang doch nie getan hat.

Insgesamt standen dem Besucher 50 Ateliers im Stadtteil offen, gleich 35 Künstler hatten überdies ein Exponat in eine Gemeinschaftsausstellung an einem Ort eingebracht, an dem man moderne Kunst nicht zwingend vermuten würde: ein Gotteshaus. Doch die weißen Wände der lichtdurchfluteten Jugendkirche erweisen sich als wunderbare Präsentationsfläche für Malereien und Fotografien, für grafische Arbeiten, Literarisches und den handgearbeiteten Schmuck, den die Haidhauser Kunstszene hervorbringt. Daneben beinhaltete "Obacht! Kultur im Quartier" Stadtteilführungen und Mitmachaktionen, und auch mancher Verein nutzte die Gelegenheit, sich öffentlich zu zeigen.

Bei Siaf in der Sedanstraße albern zwei Clowns mit den Kindern durch den kleinen Garten des Vereins, der sich unter anderem um alleinstehende Mütter kümmert. An einem Tisch im Schatten feiert Sigrid Daus ihren Geburtstag. Sie schwärmt von den Kulturtagen im Stadtteil, nennt sie "ein bereicherndes Sinnbild für Haidhausen". Wie in einem Dorf sei dabei ein persönlicher Bezug gegeben, aber feinsinniger, sagt die Haidhauserin und führt dafür die Porträtaktion von Andreas Wiehl am Bordeauxplatz an. Und in der Tat läuft hier so manches anders, das verrät schon der Titel: "Umgekehrter Verkauf". Wer sich von dem Haidhauser Kunstlehrer porträtieren lässt, erhält nicht nur eine ungewöhnliche Interpretation seiner selbst, sondern auch fünf Euro - mit Rotstift signiert. Wieso er Geld zurückgibt, anstatt sich für seine Arbeit entlohnen zu lassen? "Das muss auch mal sein", sagt Wiehl und setzt die Kreide an. Nach und nach ergeben die flinken Striche das Gesicht der jungen Frau mit den wilden Locken, die ihm gegenübersitzt. Erst die Konturen, dann sind auch schon die Augen dran. Sobald die Zeichnung einen anschaut, entstehe eine Beziehung, sagt er. "Dann kann sie wachsen."

Auch ein paar Meter weiter, in der Pariser Straße, ist zu "Obacht! Kultur im Quartier" einiges geboten. Die vier Künstlerinnen, die sich das Ladenatelier "artisan 37" teilen, haben eigens ein Upcycling-Thema umgesetzt. Gaby C. Koch hat ein Herrenhemd zu einer Sommerhose umgenäht, Andrea Borst arbeitete die Scherben einer Glasflasche zu einem bezaubernden Kronleuchter um. Man ist versucht, den Finger einmal durch die milchigen Glasstückchen zu ziehen, sie klirren zu lassen - doch ein kleines Schild verbietet das. Borst erklärt, warum: "Sonst verrutscht das." Die Künstlerinnen nehmen mit ihrem Laden zum dritten Mal an den Kulturtagen teil. Und hoffen dabei auf Leute, die normalerweise eher selten in Haidhausen zu tun haben.

So mancher denkt bei Haidhausen wohl in erster Linie an die Herbergshäuser am malerischen Ende der Preysingstraße, die immer ein wenig so aussehen, als würden sie sich vor den Bauten auf der gegenüberliegenden Straßenseite verneigen. Bei den Haidhauser Kulturtagen aber scheinen sie das Herzstück zu bilden. Das mag an der Ausstellung zum 25-jährigen Bestehen des Haidhauser Herbergenhofes liegen, einerseits - zweifelsohne aber auch an der Idylle, die das possierliche Ensemble der ehemaligen Arbeiterunterkünfte abstrahlt. Und die den Menschen, die hier der Gitarrenmusik von Stefan Noelle lauschen, sichtlich gut tut. Ganz egal, woher sie letztlich stammen.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: