Haidhausen:Abschied von einem Lebenstraum

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Zum Rückzug gezwungen: Der 56-jährige Oğuz Lüle kämpfte vor Gericht darum, dass das Kulturzentrum Wörthhof weitermachen kann - vergebens. (Foto: Robert Haas)

Nach zehn Jahren muss das Freie Kulturzentrum Wörthhof die Räume an der Wörthstraße 10 verlassen. Oğuz Lüle, Gründer und Betreiber der beliebten Haidhauser Einrichtung, macht dafür steigende Mietkosten und eine immer schwierigere Finanzierung verantwortlich

Von Johannes Korsche, Haidhausen

An der Wörthstraße 10 erinnert nur noch ein Banner über der Hofzufahrt an das "Freie Kulturzentrum Wörthhof", das seit 2006 in dem Vorder- und Rückgebäude untergebracht war. Dort, wo bis vor Kurzem noch Tanzkurse, Sprachkurse und Ausstellungen stattfanden, arbeiten nun Handwerker. Der Flohmarktladen im Vordergebäude, der zum Wörthhof gehörte, ist inzwischen gänzlich leergeräumt - nicht einmal die Eingangstür ist die selbe geblieben. Oğuz Lüle, Gründer und Betreiber des Freien Kulturzentrums, blickt durch die Fenster auf das, was von seinem "Lebenstraum" übrig geblieben ist. Mehr als ein Jahr hat der 56-Jährige vor Gericht um den Wörthhof gekämpft, doch seit Anfang August ist er unsanft aus diesem Traum erwacht.

Vielleicht will er deswegen nicht einmal mehr die Räume des ehemaligen Kulturzentrums betreten. "Ich habe damit abgeschlossen", sagt er mit einer abwehrenden Handbewegung. Doch so ganz stimmt das nicht: Lüle will auch weiterhin Aktionen und Projekte in Haidhausen veranstalten - notfalls auch ohne eigene Räume.

"In der Woche kamen bis zu 200 Leute", erinnert sich Lüle, der die Räume des Rückgebäudes beispielsweise an Capoeira- und Zumba-Kurse untervermietete. Außerdem lud er regelmäßig zu Filmvorführungen oder politischen Vorträgen und Diskussionen ein. "Der Wörthhof trug sich über die Mieteinnahmen im Rückgebäude selber", sagt Lüle. Der Flohmarktladen sorgte für sein Einkommen. Aber trotz der großen Beliebtheit bei den Haidhausern wurde die Finanzierung immer schwieriger. Steigt die Miete in fast neun Jahren nur leicht wegen der Mehrwertsteuererhöhung zum Januar 2007 von 3712 Euro auf 3808 Euro an, erhöht sie sich zum 1. Mai 2015 auf 4284 Euro. Dass Lüle für den Wörthhof keine Fördermittel des Kulturreferats beantragt, ändert auch die höhere Miete nicht: "Mein Kurs war immer, dass das Kulturzentrum frei und unabhängig sein muss", sagt er. Man begrenze sich selbst in seiner Arbeit, wenn man von einer Stelle Geld annehme. Lüle will unbequem sein, ohne ein schlechtes Gewissen gegenüber seinen Geldgebern zu haben.

Als Beispiel, warum diese Haltung für ihn so wichtig ist, erzählt er von der "Initiative für Zivilcourage", die 2007 im Wörthhof ihren Anfang nahm. Ein wohnungsloser und um seinen Lohn betrogener Bauarbeiter aus der Türkei stand vor der Tür des Wörthhofes. Lüle will "gegen diese Ungerechtigkeit vorgehen", vermittelt eine ehrenamtliche Anwältin und lässt den Hilfesuchenden "kostenlos im Wörthhof unterkommen". Schnell kommen weitere Arbeiter mit ähnlichem Schicksal auf Lüle zu. "Am Ende waren es etwa 500 Menschen, denen wir geholfen haben." Manche von ihnen hätten für ein Subunternehmen auf einer Baustelle gearbeitet, die von der Stadt in Auftrag gegeben worden sei. Erst seine finanzielle Unabhängigkeit habe ihm erlaubt, auch gegen die Interessen der Stadt zur Stimme für diese Stimmlosen zu werden, sagt Lüle rückblickend.

Lüle erhält dafür von der Landeshauptstadt München, dem Ausländerbeirat und dem Verein "Lichterkette" den Förderpreis "Münchner Lichtblicke 2010". Das Preisgeld von 5000 Euro nimmt er an. Eine Förderung für das Kulturzentrum kommt für ihn weiterhin nicht in Frage. Neben der finanziell angespannten Lage erschwert ein weiteres Problem von Anfang an das Fortbestehen des Wörthhofes. Lüles Mietvertrag läuft immer nur für ein Jahr. Die Anbieter der Kurse aber fordern Planungssicherheit, einen Mietvertrag über fünf Jahre. Also habe er sich mit dem damaligen Eigentümer geeinigt, die Kosten für die nötigen brandschutzrechtlichen Maßnahmen untereinander aufzuteilen. Dafür habe er nach dem Umbau mit einem Fünf-Jahres-Vertrag rechnen können, erinnert sich Lüle. Aber es kommt anders. Der Eigentümer stirbt, und eine schriftliche Niederschrift dieser Vereinbarung gibt es nicht. Dafür aber eine andere, in der Lüle der Mieterhöhung zum Mai 2015 zustimmt - "die Miete wurde also nicht einseitig erhöht", teilt die Anwältin der Erbengemeinschaft, Gabriele Loewenfeld, mit. Lüle beteuert, er habe diese Vereinbarung im Glauben an den kommenden Fünf-Jahres-Vertrag unterschrieben. Dem kommt er damit aber nicht näher.

Lüle fühlt sich ungerecht behandelt und überweist seit der Erhöhung die Miete nicht mehr. Drei Monate später folgt deswegen die Kündigung. Doch Lüle kämpft nun für "seinen" Wörthhof wie einst für den türkischen Bauarbeiter. Er zieht durch die gerichtlichen Instanzen und zögert seine Räumung heraus. Doch letztlich ohne Erfolg. Der Mietrückstand wächst, Zinsen und Prozesskosten kommen hinzu. Anfang August schuldet Lüle seinen ehemaligen Vermietern laut deren Anwältin mehr als 40 000 Euro.

Heute versucht Lüle das Positive zu sehen, auch in dem verlorenen Gerichtsprozess. Dadurch konnte er Ende Juli noch eine Fahrradtombola durchführen, mit der seit 2009 jährlich Bedürftige umsonst mit Fahrrädern ausgestattet werden. Es ist die letzte Veranstaltung im Wörthhof, soll aber nicht die letzte Fahrradaktion gewesen sein, verspricht Lüle. Vielleicht weiche er im nächsten Jahr auf den Bordeauxplatz aus und verbinde die Aktion mit einem kleinen Straßenfest. Am liebsten wäre es Oğuz Lüle allerdings, wenn er bis dahin seinen Lebenstraum in neuen Räumen weiter träumen darf.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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