Großprojekte in München:Was ihr wollt? Uns wurscht!

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Die Fußballarena in Fröttmaning ist ein Beispiel für den Gestaltungswillen der Münchner. (Foto: Florian Peljak)

Flughafenausbau: Dagegen. Olympia? Nein danke. Wegen ihrer Ablehnung werden Münchner gern als bräsige, satte Dimpflhuber charakterisiert. Dabei sind sie Veränderungen und Visionen nicht abgeneigt.

Von Franz Kotteder

Alle paar Wochen ist hier wieder alles anders. Es sind täglich um die 140.000 Autos, die sich über diesen Platz quälen müssen, und alle paar Wochen finden sie hier, auf dieser großen Ringstraße im Südwesten der Stadt, eine überraschende, neue Streckenführung vor. Das liegt daran, dass sich am Luise-Kiesselbach-Platz seit 2009 sehr viel verändert. Es wird hier nämlich gerade ein Tunnel gebaut, die Arbeiten dauern noch mindestens bis 2015 an, und bis auch obenrum alles fertig ist, wird es 2017. Dann aber wird hier wirklich alles anders sein.

Weiter nördlich, in der Maxvorstadt, befindet sich ein großer Museumsbau, der 2002 eröffnet wurde: die Pinakothek der Moderne. Mit ihr entstanden aber nicht nur einige Tausend Kubikmeter umbauten Raumes, sondern es erwuchs auch gleich ein neues Viertel: das Museumsquartier, auch Kunstareal genannt. Die Filmhochschule zog zusammen mit dem Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst hierher, das Brandhorstmuseum wurde gebaut, und zahlreiche Galerien siedelten sich bald in unmittelbarer Nähe an. Jetzt überlegt man, wie sich dieses Viertel umgestalten lässt, damit es seiner neuen Funktion noch besser gerecht wird.

Und regt sich irgendjemand groß auf über diese Veränderungen? Nein.

Im Gegenteil, man hat es ja selbst so gewollt. Sowohl die Tunnels am Mittleren Ring als auch die Pinakothek der Moderne wären nie gebaut worden ohne die Münchner Bürger, die gerade wieder von manchen als bräsige, satte, selbstzufriedene Dimpflhuber charakterisiert werden, weil sie es gewagt haben, die Olympischen Winterspiele 2022 nicht ausrichten zu wollen. Übrigens auch vom eigenen Oberbürgermeister. Man muss nur nachlesen, was der in den städtischen Pressemitteilungen am Freitag vor dem Olympia-Bürgerentscheid verlauten ließ. Sein Text triefte nur so vor Hohn und Spott über die Olympiaverweigerer, die einfach nicht kapierten, welch großartiges Geschenk sie sich da entgehen ließen.

Was der OB will? Uns wurscht!

Das war den Münchnern freilich wieder einmal wurscht - was für den Oberbürgermeister keine neue Erfahrung war. Auch die Tunnelbauten am Petuelring, an der Richard-Strauss-Straße und am Luise-Kiesselbach-Platz kamen ja gegen seinen erklärten Willen zustande, durch ein Votum der Bürger im Jahr 1996. Heute ist er vermutlich froh darüber, wie viele andere, die damals dagegen waren. Und der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber, der Mitte der Neunzigerjahre den Bau einer dritten Pinakothek nur gestatten wollte, wenn die Bürgerschaft zehn Prozent der Baukosten übernähme - ob er wirklich damit gerechnet hatte, dass die Münchner Bürger mit einer privaten Stiftung tatsächlich so schnell elf Millionen Euro heranschafften, wie es dann geschah?

In ihrem Engagement haben sie übrigens auch nicht nachgelassen. Kommenden Samstag feiert die Pinakotheken-Stiftung wieder ihre "Party 4 Art", bei der zum Beispiel im vergangenen Jahr eine Dreiviertelmillion Euro für neue Kunstankäufe zusammenkam. Man steht da in einer langen Tradition. Die Wiedereröffnung des Nationaltheaters, die sich an diesem Wochenende zum 50. Male jährt, wäre ohne erhebliche finanzielle Beiträge aus der Bürgerschaft ebenso wenig möglich gewesen wie die Sanierung des Prinzregenten- oder des Cuvilliéstheaters.

Man mag einwenden, das seien ja nun historische Bauten, die wieder aufgebaut wurden, und dafür sei der Münchner halt immer zu haben. Das stimmt. Aber man kann den Münchnern natürlich auch böse sein, dass sie damals nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre zerstörte Stadt nicht verlassen und an den Ufern des Starnberger Sees wiederaufgebaut haben, was angeblich auch einmal erwogen wurde.

Alle Stadtgesellschaften neigen zu einer gewissen historischen Beschaulichkeit; nicht umsonst wollen die ach so hippen Berliner ja ihr altes Stadtschloss nagelneu und originalgetreu wieder aufbauen. Die Münchner begnügten sich mit einer Schrannenhalle, die sie dann leider aber mit Stahl- und Glas-Geprotze im zeitgenössischen Investoren-Stil verschandeln mussten.

Den Historismus gibt es hier also durchaus. Aber schon für die Pinakothek der Moderne trifft das Argument von der Beharrungsliebe der Münchner nicht mehr zu. Es trifft auch nicht zu für das Jüdische Zentrum am St.-Jakobs-Platz, das von den Münchnern sehr gut angenommen wird, wie die Besucherzahlen der Synagoge zeigen. Es trifft nicht zu für die Fußballarena in Fröttmaning, auch da gab es ja einen Bürgerentscheid. Und für die Olympiabauten von 1972 traf es sowieso noch nie zu. Es gab damals zwar keine Bürgerbefragung und keinen Bürgerentscheid. Aber der damalige Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel sagte seinem Wahlvolk klar und offen, wie sehr Olympia die Stadt verändern werde, und so kam es dann ja auch. Vogel ist damals nicht abgewählt worden, im Gegenteil. Er erhielt 1966, ein gutes halbes Jahr nach Bekanntwerden der Olympia-Pläne, mit 78 Prozent das beste Wahlergebnis, das ein Münchner Oberbürgermeister je erreichte.

Waren die Münchner damals, vor bald 50 Jahren, wirklich so wahnsinnig fortschrittssüchtig, ganz anders als heute?

Eher nicht. Wer heute von München als provinziellem Kaff spricht, hätte sicher seine helle Freude an der bayerischen Landeshauptstadt in den Sechzigerjahren. Trotzdem haben Hans-Jochen Vogel und seine Mitstreiter es geschafft, begeisterte Aufbruchstimmung für den Weg in die Moderne zu erzeugen. Sie haben es allerdings nicht geschafft - auch das war ja einst geplant -, München zur "autogerechten Stadt" umzuformen. Diese Pläne scheiterten 1968 am Bürgerprotest, und Vogel zog seine Lehre daraus: "Ich werde nie wieder einen Plan der Verwaltung unterschreiben, der nicht vorher öffentlich diskutiert wurde."

Verglichen mit Vogels Olympia 1972 war der jetzt gescheiterte Bewerbungsversuch aber bestenfalls eine Vision für Arme, und das ist auch einer der wesentlichen Gründe dafür, warum sie keine Chance hatte. Denn wenn es um Veränderungen geht, stellt der Münchner, wie jeder andere Mensch auch, zwei Fragen: "Wem nützt das?" und "Was habe ich davon?" Bei den Olympischen Winterspielen, bei der dritten Startbahn für den Flughafen und bei der Höhenbegrenzung für Hochhäuser war der praktische Nutzen für den normalen Münchner entweder gar nicht erkennbar oder sehr gering. Klar war hingegen, dass einige wenige sehr stark davon profitiert hätten. Im Unterschied zu den Mittleren-Ring-Tunnels etwa, die zwar ein Segen für die Bauwirtschaft sind, aber natürlich auch für Anwohner und Autofahrer. Das ist - abgesehen von rechtlichen Schwierigkeiten - wohl auch ein Grund, warum die grüne OB-Kandidatin Sabine Nallinger so zurückhaltend reagiert auf die Frage, ob sie in Sachen zweite S-Bahn-Röhre einen Bürgerentscheid plane. Denn da geht es nicht um einen Transrapid, von dem hauptsächlich gestresste Manager etwas haben, die dauernd zum Flughafen müssen, sondern um ein Verkehrsmittel für die breite Masse, die unter dem täglichen Chaos leidet.

Nicht zuletzt geht es vielen aber auch um moralische Grundsatzfragen. Sie erleben Kommunalpolitiker, die den Klimawandel und den Flächenverbrauch beklagen, ihre Wähler zum Mülltrennen auf- und Solidarität einfordern. Wenn es aber darum geht, den Flugverkehr zu begrenzen oder sich einem Internationalen Olympischen Komitee zu unterwerfen, das von einer breiten Öffentlichkeit als korrupt empfunden wird, dann sieht mit einem Mal alles anders aus. Beim Bürgerentscheid sieht der Wähler die Möglichkeit zu korrigieren - und tut das dann auch.

Man könnte das durchaus Mut zur Veränderung nennen, vielleicht sogar Fortschritt. Zumindest aber verrät es ein gewisses Selbstbewusstsein: Die Münchner lassen sich ihre Visionen eben nicht so einfach von oben vorschreiben.

© SZ vom 16.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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