Gräfelfing:Wenn aus dem Chaos etwas Schönes wächst

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Im Kindergarten "Flohzirkus" werden neun Kinder aus Flüchtlingsfamilien betreut, die anfangs kein Wort Deutsch konnten. Für Kita-Leiterin Gudrun Lanz und ihr Team war das eine große Herausforderung, aber die ersten Erfolge sind nun da

Interview von Annette Jäger, Gräfelfing

Unter den Flüchtlingen, die in Gräfelfing leben, sind viele Familien mit Kindern. Elf von ihnen besuchen inzwischen Gräfelfinger Kindergärten, im September kommen weitere 15 hinzu. Auch der Kindergarten Flohzirkus der Diakonie Fürstenfeldbruck hat drei Kinder aufgenommen. Zusätzlich besuchen viele Kinder mit Migrationshintergrund die Einrichtung, deren Eltern nicht Deutsch als Muttersprache haben. Gudrun Lanz, Leiterin der Einrichtung an der Grosostraße, erzählt von dieser Herausforderung.

SZ: Frau Lanz, haben sich die drei Flüchtlingskinder schon gut integriert?

Gudrun Lanz: Um es plakativ auszudrücken: Aus dem Chaos und der Überforderung der Anfangszeit ist inzwischen etwas ganz Schönes gewachsen. Integration erfolgt in sehr kleinen Schritten, die neuen Kinder und ihre Familien sind auf einem guten Weg.

Wie ist das Chaos am Anfang entstanden?

Wir haben zwei Gruppen mit je 25 Kindern, in denen es bereits zwei Kinder mit Migrationshintergrund gab. Im September kamen sieben weitere mit Migrationshintergrund hinzu und im November drei Flüchtlingskinder, syrische Jungen im Alter von drei, vier und fünf Jahren. Wir hatten dann neun Kinder, die keinerlei Deutschkenntnisse hatten. Zwei Kinder haben sich komplett verweigert, deutsch zu lernen. Die drei syrischen Jungen hatten zudem viel Streit untereinander. Wir fühlten uns ab einem gewissen Zeitpunkt überfordert. Das war für uns alle Neuland.

Spielend Kontakte knüpfen: Im Kindergarten "Flohzirkus" kommen sich Kinder schnell näher - egal woher sie stammen. (Foto: Stephan Rumpf)

Wie hat sich das im täglichen Miteinander geäußert?

Es war anfangs sehr schwer, unsere Regeln und Strukturen zu vermitteln. Wenn wir uns alle an den Tisch gesetzt haben, fühlte sich ein Junge überfordert und saß unter dem Tisch. Wenn eine Erzieherin etwas verbieten musste, ist ein Junge anfangs regelmäßig ausgerastet, hat sich brüllend und um sich schlagend auf den Boden geworfen oder Gegenstände wie einen Stuhl geworfen. Ein anderer hat sich selbst geschlagen und Haare ausgerissen. Es sind oft Kleinigkeiten, die auch jetzt noch zu einer Explosion führen können. Die Flüchtlingskinder kennen Spielsachen, wie wir sie haben, nicht. Teilen, etwas abgeben, kennen sie nicht. Jedes Kind bräuchte intensive Einzelbetreuung, oft auch viel körperliche Nähe. Aber das können wir nicht alleine leisten, da sind ja auch noch 40 andere Kinder. Deshalb haben wir gemeinsam mit unserem Träger einen Antrag bei der Gemeinde gestellt, Unterstützung zu erhalten, etwa eine Heilerziehungspflegerin.

Wie kommen die Eltern der Flüchtlingskinder mit dem deutschen Kindergartenalltag zurecht?

Auch für sie sind unsere Regeln eine Herausforderung. Anfangs kamen die Kinder immer zu spät oder gar nicht, wenn es draußen zu kalt war oder die Eltern in den Sprachkurs mussten. Wir mussten erst mal vermitteln, dass es gut für das Kind ist, regelmäßig, also jeden Tag um 8.30 Uhr, hier zu sein. Die Eltern wussten anfangs auch überhaupt nicht, was denn ihren Kindern nun im Kindergarten passiert. Da haben uns die Ehrenamtlichen vom Helferkreis und die Gemeinde sehr unterstützt. Wir ermutigen die Eltern auch, dass sie ihre Kinder nachmittags ins Kinderturnen schicken oder auf den Spielplatz gehen, damit sie mehr Kontakte zu deutschen Kindern knüpfen können. Es ist sehr ungünstig, wenn sie den ganzen Nachmittag isoliert in der Flüchtlingsunterkunft verbringen. Die Art der Unterbringung ist für die Integration nicht gerade förderlich.

Viel Arbeit, aber ein schöne Erfahrung: Gudrun Lanz bemüht sich um die Integration der Flüchtlingskinder. (Foto: Stephan Rumpf)

Wie haben Sie Ruhe in das Chaos gebracht?

Wir haben uns Hilfe bei der Erziehungsberatung der Arbeiterwohlfahrt in Planegg geholt. Dabei wurden wir wieder daran erinnert und darin bestätigt, nicht allein das große Ziel vor Augen zu haben, sondern den Blick auf das zu richten, was gut funktionieren. Wir haben auch über einen Dolmetscher mit den Familien gesprochen. Wir mussten etwas über die Fluchtgründe und die Fluchtgeschichte erfahren, um die Kinder und ihre impulsiven Reaktionen zu verstehen und auf sie einzugehen.

Was haben Sie noch gelernt in den letzten Monaten?

Jedes Kind braucht sein Tempo. Das weiß ich schon lange, aber wir Erzieherinnen haben das umso deutlicher die letzten Monate erfahren. Ein rumänisches Mädchen hat sich anfangs geweigert, deutsch zu sprechen und hat die ersten zwei Monte viel geweint. Wir haben sie nach einigen Versuchen einfach gelassen und ihr Zeit gegeben. Nach Weihnachten fing sie an, die ersten Wörter von sich aus zu sprechen. Seitdem geht es gut voran. Das sind die schönen Erlebnisse.

Welche Bilanz ziehen Sie nach einem dreiviertel Jahr?

Wir haben sehr viel mehr Arbeit als früher, unser Überstundenkonto ist angewachsen, es gibt viele zusätzliche Gespräche und Beratungen außerhalb der Arbeitszeit. Auch die psychische Belastung ist größer geworden, wir alle nehmen so manches Thema mit nach Hause. Aber die Arbeit hat auch unser Team noch mehr zusammengeschweißt. Die neuen Kinder hier zu haben, ist eine schöne Erfahrung für uns alle im Kindergarten. Und die deutschen Kinder haben ihre soziale Kompetenz enorm gestärkt und üben sich in Toleranz. Im Herbst haben wir noch gesagt: nie mehr wieder, heute sagen wir: gerne wieder.

© SZ vom 25.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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