Gräfelfing:In Stahl gezeichnete Musik

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Werner Mally zeigt seine Skulptur "Gegenwind" als Material gewordene Bewegung vor dem Rathaus

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Vielleicht ist ja wirklich Musik zu hören. Ein Dirigent hat sein Werk auf jeden Fall vollbracht. Mit schwungvollen Bewegungen hat er sein Orchester dirigiert, festgefroren sind sie in Form der Stahlskulptur auf der Kunstplattform vor dem Rathaus in Gräfelfing: drei Doppelschleifen aus Stahl, verwoben und ineinander verschlungen. Der Künstler Werner Mally, der die Skulptur geschaffen hat, hat das Bild des Dirigenten selbst entworfen. Ihn erinnern die verschlungenen Schleifen genau daran: zu Material gewordene Bewegungen.

Der Kunstkreis Gräfelfing, der die Plattform regelmäßig mit Kunstwerken bespielt, ist stolz darauf, eine "richtige Skulptur" präsentieren zu können, sagt Katharina Andrelang vom Kunstkreis. "Eine richtige Skulptur" soll heißen: ein Objekt aus einer Werkgruppe eines renommierten Künstlers, das in einer Entwicklung steht. All das erfüllt die Skulptur Werner Mallys. Der Bildhauer, Jahrgang 1955, lebt und arbeitet in München, er wurde mehrfach ausgezeichnet für sein Werk und stellt international aus. Bei der Ausstellung "Glaube - Liebe - Hoffnung" des Kunstkreises war er schon mal in Gräfelfing vertreten. Die Doppelschleifen, seine dynamischen Skulpturen, beschäftigen ihn seit fast zehn Jahren. Das Werk in Gräfelfing ist 2017 entstanden, war schon bei der Triennale der Skulptur in Bad Ragaz in der Schweiz ausgestellt und ist eine "Übung", wie er sagt, für die Stahlskulptur, die in Garching auf dem Forschungscampus der Technischen Universität München steht.

Früher hat Werner Mally massive Skulpturen aus tonnenschwerer Eiche gefertigt. Skulpturen, die viel Raum einnehmen. Die Stahlskulpturen sind alles andere: Sie umspannen einen Innenraum, sie kennen keine physischen Grenzen. Er nennt sie "Sphären", weil alles gleichzeitig sichtbar ist - Innenraum und Hintergrund, sie sind wie eine Zeichnung im Raum. Im Unterschied zu den schweren Holzskulpturen liegt Tempo in den schwungvollen Schleifen, der Stahl wirkt wie in Bewegung, deshalb auch die Erinnerung an den Dirigentenstab. Die Skulptur in Gräfelfing wirkt dabei auch, als wäre der Wind in sie gefahren, der die Ringe in eine Richtung zerrt. Nicht umsonst trägt sie den Titel "Gegenwind".

Die Sphären sind eine statische Meisterleistung. In Gräfelfing berührt die Skulptur den Boden nur an zwei Punkten. Viele Skizzen, Pläne, Holzmodelle gehen dem finalen Werk voraus. Die schwebende, fast filigran wirkende Form erwächst aus einer drei mal zwei Meter großen, zwölf Millimeter starken Stahlplatte. Mally schneidet Ringe daraus, die die Form eines Geigenrumpfes haben, jeweils zwei Ringe verbindet und verschlingt er achterförmig. So entstehen schnelle und langsame Kurven, ein wenig "eiern" sie auch, wie Mally sagt, das Auge verliert sich darin. Das Stahlgebilde wird exakt ausbalanciert, damit der Punktstand auf dem Boden gelingt. Mally lässt den Stahl kalt, mit Kränen biegen, es ist ein präziser Kraftakt. Dazu arbeitet Mally mit einer Maschinenbaufirma zusammen.

Der Stahl rostet mit der Zeit und schützt sich auf diese Weise selbst. Wenn Sonnenlicht auf die Sphäre fällt, werfen die Ringe Schatten und die vermeintliche Bewegung wird wieder unterbrochen. Und vielleicht hört ein Passant ja auch Musik beim Betrachten. Bis zum Frühjahr haben Besucher Zeit dazu.

© SZ vom 09.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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