Gräfelfing:"Das war Mord"

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Eine rechtswidrige Hinrichtung: Ein Holzkreuz auf dem Gräfelfinger Friedhof erinnert an die erschossenen Kriegsgefangenen: "Wanderer wer du auch seist wünsche ihnen eine sanfte Ruhe. War denn nicht auch von Ihnen jeder einer Mutter Sohn" lautet die Inschrift ganz oben. (Foto: Catherina Hess)

Ohne Richter, ohne fairen Prozess: Am 2. Mai 1919, einen Tag vor dem Ende der Münchner Räterepublik, wurden 53 russische Kriegsgefangene erschossen. Eine Gedenkfeier auf dem Gräfelfinger Friedhof erinnert an die Hinrichtung

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Wer über den Gräfelfinger Friedhof spaziert und Grabinschriften liest, stößt dabei auf ein Stück Ortsgeschichte. Gleich neben der alten Aussegnungshalle an der Friedhofsmauer steht ein efeuberanktes Holzkreuz. Es erinnert an 53 russische Kriegsgefangene, die am 2. Mai 1919, einen Tag bevor die Münchner Räterepublik endete, in einer Sandgrube nahe dem Friedhof, "standrechtlich erschossen" wurden, so steht es auf dem Holzkreuz. Hobbyhistoriker Dieter Grund betont, dass die Erschießung zu Unrecht erfolgte, "das war Mord". Am Donnerstag, 2. Mai, jährt sich die Hinrichtung zum 100. Mal, eine Gedenkfeier auf dem Friedhof erinnert an das Ereignis.

Die Namen der 53 russischen Kriegsgefangenen stehen auf kyrillisch auf einer Stele vor dem Friedhof, die die Schüler des Kurt-Huber-Gymnasiums schon vor vier Jahren gestaltet haben. Ein Text informiert außerdem über die damalige Tat. Demnach waren die 53 Russen Kriegsgefangene des Ersten Weltkrieges. Sie waren bereits aus der Haft entlassen worden, konnten jedoch aufgrund der Unruhen in ihrer Heimat nicht dorthin zurückkehren. Sie schlossen sich, wie viele andere Kriegsgefangene auch, nach Ausrufung der Räterepublik in Bayern freiwillig den "Roten Garden" in München an. In Fürstenfeldbruck sollen sie in Kämpfen eingesetzt worden sein, berichtet Grund. Nachdem sie dort unter Beschuss gerieten, sollen sie die Flucht ergriffen haben und nach München zurückgekehrt sein - unbewaffnet und aus der Roten Armee entlassen. Dort wurden sie am 30. April am Pasinger Bahnhof von Regierungstruppen gefangen genommen und ins bereits zurückeroberte Lochham gebracht. In der Nacht auf den 1. Mai wurde einer der Gefangenen erschossen, am 2. Mai folgten die anderen 52 Gefangenen.

Der Prozess war rechtswidrig und die Erschießung unrechtmäßig, betont Grund. Für den Hobbyhistoriker und Heimatforscher aus Taufkirchen, der auch ehrenamtlicher Mitarbeiter der Heimatpflege im Landkreis München ist, und sich intensiv mit den Gräfelfinger Ereignissen beschäftigt hat, ist klar, dass sich die 53 Russen weniger aus politischer Motivation der Roten Armee angeschlossen haben, eher hätten sie sich materielle Vorteile erhofft. Die 53 Männer wurden in der Volksschule Gräfelfing vor ein selbsternanntes Feldgericht gestellt - ohne Berufsrichter. "Die haben Juristerei gespielt", urteilt Grund. Er verweist vor allem auf den damaligen Tagesbefehl, der die Grundlage für die Verurteilung war. Laut Befehl sollten alle erschossen werden, die sich mit der Waffe in der Hand den Regierungstruppen entgegenstellten. "Dabei waren die Männer bei ihrer Festnahme gar nicht bewaffnet gewesen." Die Angeklagten erhielten zudem keine Möglichkeit sich zu verteidigen, schreiben die Schüler auf der Stele.

Der Tatort, die Sandgrube, habe damals der Bäckerinnung gehört, sagt Grund. Die Innung habe dafür gesorgt, dass 1920 ein Grabmal auf dem Friedhof an das Ereignis erinnert. Als 1936 Hitlers Chauffeur, der in Gräfelfing lebte, auf dem Friedhof bestattet wurde, wurde das Denkmal entfernt. Erst nach dem Krieg, 1945, wurde es durch das jetzige Kreuz ersetzt. Die Gedenkfeier findet um 16 Uhr in der Neuen Aussegnungshalle, Großhaderner Straße 2, statt. Veranstalter ist das Zentrum russischer Kultur in München (MIR).

© SZ vom 29.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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