Gräfelfing:Bauen mit der Geschichte

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Die Gemeinde Gräfelfing versucht, ihren Gartenstadt-Charakter durch ein Denkmalschutzkonzept zu bewahren. Um den Zuzug zu bewältigen, soll nachverdichtet werden - aber nur an einigen wenigen Punkten

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Namen werden keine genannt. Aber jeder ahnt, wer gemeint ist. Wenn auf den Regionalen Wohnungsbaukonferenzen der Stadt München und der Landkreise geäußert wird, dass es Gemeinden gebe, die sich der Nachverdichtung entzögen, weiß Bürgermeister Uta Wüst schon, dass der Hieb zwischen den Zeilen in Richtung ihrer Gemeinde, Gräfelfing, zielt. Angespielt wird mit solchen Bemerkungen auf die berühmt-berüchtigten Gräfelfinger Bebauungspläne, die schon in den Siebzigerjahren ausgeheckt wurden, um eine allzu dichte Bebauung der Grundstücke zu verhindern und die großen, historischen Villengärten zu bewahren. Jetzt geht die Gemeinde noch einen Schritt weiter. Erstmalig wurde im Bauausschuss im Oktober die Idee eines Denkmalschutzkonzepts für die Villenkolonie vorgestellt. Dahinter steht dieselbe Motivation wie bei den Bebauungsplänen: Gräfelfing soll so bleiben, wie es ist. Es ist der Versuch einer Kommune, ein weiteres Instrumentarium zu entwickeln, um ihre historisch gewachsenen Wohnqualitäten zu bewahren.

Die Fakten sind bekannt: Die Region München wächst, bis 2034 sollen rund 400 000 Einwohner hinzukommen. Der dadurch entstehende Bedarf an Wohnraum umfasst eine Größe von etwa 1600 Fußballfeldern, hatte Stadtbaurätin Professor Elisabeth Merk auf der Regionalen Wohnungsbaukonferenz im vergangenen Jahr vorgerechnet. Das Nachverdichtungspotenzial soll ausgeschöpft werden, so lautete der Appell, auch in Richtung Landkreisgemeinden. Doch selbst wenn die Gemeinde alles mit neuen Wohnungen und Häusern zupflastern würde - der Wohnraum würde noch immer nicht für alle reichen, die gerne hier wohnen wollen.

"Das ist nicht zu schaffen", sagt Christian Kühnel, Kreisbaumeister im Landkreis Starnberg und Konferenzteilnehmer. Für ihn ist es nicht nur legitim, sondern auch wünschenswert, dass eine Gemeinde Bauvorgaben macht, was Masse und Gestaltung angeht. Denn gerade Gräfelfing hat etwas zu verteidigen: eine "fantastische Lage an der Würm", wie Kühnel schwärmt, viele Grünflächen, große Gärten, alten Baumbestand, einen lebendigen Ortskern.

Das zu bewahren, was Gräfelfing ausmacht, und das Gemeindegebiet bei allen Planungen ganzheitlich zu betrachten, ist schon immer das mehrheitlich getragene überparteiliche Interesse im Gemeinderat gewesen, erinnert Kathrin Fritsche, Architektin und Beraterin im Bauausschuss. In Zeiten astronomisch hoher Grundstückspreise und einem akuten Wohnraummangel wird das aber immer schwieriger.

Ein altes und ein neues Einfamilienhaus nebeneinander an der Irminfriedstraße in Gräfelfing. (Foto: Catherina Hess)

Auch Gräfelfing verändert sich nämlich, schleichend zwar, aber auch deutlich. Im historischen Villenviertel jenseits der Bahnlinie sind in den vergangenen Jahren immer wieder alte Häuser dem Abrissbagger zum Opfer gefallen. Neu gebaut wurden moderne Flachdachwürfel, oft aus Sichtbeton, oft mit großen Glasfronten. Oder aber optisch austauschbare Doppelhaushälften wie aus dem Katalog. Dass die Gräfelfinger keine Gestaltungsvorgaben machen, dass jede mutige, moderne Architektur hier erlaubt ist, ist eine "heilige Kuh", sagt Wüst. Und trotzdem wirkt so mancher scharfkantige Quader, eingebettet zwischen zwei Jugendstilvillen, für viele wie ein Störfaktor. Für einen Ensembleschutz der Villenkolonie ist es schon zu spät, zu viele architektonische Ausreißer sind bereits in die Höhe gewachsen.

Das städtebauliche Grundgerüst der Villenkolonie ist aber sehr wohl noch sichtbar, stellte Gerhard Ongyerth vom Landesamt für Denkmalpflege fest, der das Kommunale Denkmalschutzkonzept jüngst im Bauausschuss vorstellte: harmonisch geschwungene, malerische Straßenzüge, an denen die Häuser aufgereiht sind wie an einer Perlenschnur, und an deren Kreuzungen sich immer wieder idyllische Plätze bilden, auf denen alte Bäume wachsen.

Diese historischen Strukturen könnte man über eine Gestaltungssatzung schützen. Es wäre auch eine Möglichkeit, allzu rücksichtsloser Nachverdichtung entgegenzutreten und zumindest die Platzierung eines Gebäudes auf einem Grundstück vorzugeben, eventuell auch eine Dachform. In der im historisch-alpenländischen Stil gebauten Lobmaier-Siedlung in Lochham haben sich sogar die Anwohner selbst gewisse Gestaltungsvorgaben gewünscht. Zum Denkmalschutz hat es nicht gereicht, zu viele Neubauten gibt es schon im Umfeld. Aber wenigstens wurden jetzt in einem Bebauungsplan Minimalvorgaben gemacht wie eine Dachneigung. Der Plan steht kurz vor der Verabschiedung.

Dass der Gemeinderat einer Gestaltungssatzung für die Villenkolonie zustimmt, kann sich Wüst (Interessengemeinschaft Gartenstadt Gräfelfing) kaum vorstellen. Sie plädiert aber für eine Bestandsaufnahme, um die Werte, die die Gemeinde hat, bewusst zu machen. "Wer in der Villenkolonie ein Haus kauft, erwirbt ein Stück Geschichte." Deshalb bekommt jeder neue Eigentümer von der Gemeinde das Buch über die historische Villenkolonie geschenkt, in der Hoffnung, dass er mit dem Erworbenen sensibel umgeht und beim Neubau auch nach rechts und links schaut, was in der Nachbarschaft steht. Es ist jetzt am Gemeinderat zu entscheiden, ob er diese Werte definieren will.

Passt das zusammen? Zwischen alte Villen drängen sich auch in Gräfelfing immer häufiger moderne Bauten, die das Bild der Gemeinde stark verändern. (Foto: Catherina Hess)

"Wir stellen uns dem Problem der Nachverdichtung", sagt die Bürgermeisterin. Bestes Beispiel seien die drei Bebauungspläne, die gerade überarbeitet werden. Zwei davon betreffen ein großes Wohngebiet in Lochham. Hier weist man künftig mehr Baurecht aus. Grundsätzlich sei sie aber dafür, punktuell neuen Wohnraum auszuweisen, nicht flächendeckend. Erste Ideen, wie eine Erweiterung der Heitmeiersiedlung an der Stadtgrenze zu München aussehen könnte, werden noch vor Jahresende im Bauausschuss vorgestellt.

"Zuzug ermöglichen, aber gartenstadtverträglich", hat CSU-Gemeinderat Walter Frank die Formel für Gräfelfing formuliert. Damit das gelingt, ist "Mut und Standhaftigkeit" gefragt, betont Kreisbaumeister Kühnel. Mut, weil man sich mit der Formel nicht nur Freunde macht, und Standhaftigkeit, weil es eine Gratwanderung zwischen den Interessen ist.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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