Giesing:Vergessen, verloren, verkauft

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Die Münchner Verkehrsgesellschaft versteigert Fundsachen: Gemälde, Bohrmaschinen und Akupunkturpuppen kommen unter den Hammer

Von Daniel Sippel, Giesing

Toni lehnt sich auf dem Plastikklappstuhl zurück, Auktionen belustigen ihn: "Am meisten fasziniert mich, wenn einer Preise zahlt ohne Hirn." Während manchen Auktionen lacht er pausenlos. Wie im Theater sei das, sagt er. Für die Auktion von Fundsachen der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) im MVG-Museum an der Ständlerstraße prophezeit er: "Es wird sehr, sehr lustig. . ."

Die Protagonisten für Tonis Amüsement: 260 Bieter - Rentner, Studenten, professionelle Händler. Wie Jäger und Sammler streifen sie um die 400 Fundstücke, darunter eine Akupunktur-Puppe, eine Trompete, Gemälde und 250 Regenschirme. Wer dies alles verloren hat, weiß hier niemand. Und melden sich ihre Besitzer nicht beim Fundbüro der MVG, werden die Fundsachen nach sechs Monaten Lagerzeit kategorisiert, katalogisiert und schließlich versteigert.

Jedes Fundstück, egal ob Handy, Gelbatterie oder Tabaluga-Plüschdrache, bekommt eine Fund-Nummer. Dann drapieren Mitarbeiter die Artikel auf langen Tischen. Einer sagt: "Wenn die Sachen wie Kraut und Rüben sortiert wären, würden wir hier kein Land mehr sehen." Denn schon Stunden vor der Auktion am Mittwoch möchten die Bieter die Objekte ihrer Begierde aus der Nähe besehen. Dann suchen die Fundbüro-Mitarbeiter - dank ihres "un-krautigen" Sortiersystems - eilig die richtigen Artikel heraus.

Die Auktion der Münchner Verkehrsgesellschaft hat 2016 für ein volles Haus gesorgt, dieses Jahr findet sie digital statt. (Foto: Robert Haas)

Trotzdem können sie nicht alle Bieter glücklich machen. Während der Vorbesichtigung hallt es durch das MVG-Museum: "Mama, das ist voll der Kack." Die junge Dame scheint unzufrieden mit den offerierten Handys. Daneben steht Maik Luu Bach, Informatikstudent. Ursprünglich kommt er aus Rostock, aus einer Kaufmannsfamilie. "Wenn ich dort auf eine Auktion für Fundsachen gehe, dann ist das im Vergleich zu München wie beim Sperrmüll", sagt er und untersucht die Laptops. "Hier ist ein Apple G4 - mindestens zehn Jahre alt, hat noch ein CD-Laufwerk." Für ihn ein Fall fürs Museum. Da widmet er sich lieber den Jacken. Die kommen aber nur in Frage, wenn sie einen YKK-Reißverschluss haben: "Dann ist es Qualität".

Toni krault seinen Oberlippenbart: "Mich interessieren die Artikel hier nicht so viel." Lieber studiert er die große Gemeinde der Bieterschaft. Er sieht Goldketten unter zu weit aufgeknöpften Hemden, die buschiges Brusthaar nur ungenügend verdecken. Dahinter Männer mit Brustbeuteln - professionelle Händler tragen ihr Bargeld eng bei sich. Schweißflecken zeichnen sich dunkel auf ihren Hemden ab. Ein Herr in dunkelblauem Anzug und Pelzschal drängt sich vorbei, um die ausgestellten Taschen zu besehen. Vokuhilas treffen Gelfrisuren.

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(Foto: Robert Haas)

Zum ersten, zum zweiten, zum dritten: Auktionator Klaus Theilmann dirigiert mit spitzem Stift und Sinn fürs Geschäft...

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(Foto: Robert Haas)

...die Bieterschaft...

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(Foto: Robert Haas)

...im MVG-Museum.

"Vielschichtig" nennt der Auktionator Klaus Theilmann sein Publikum diplomatisch, "hier ist 'ois da', wie die Bayern sagen." Tonis Begeisterung über die teils absurden Preise kommentiert er so: "Wenn ein Preis in die Höhe schnellt, kann ich schlecht sagen: Hören Sie doch auf, das ist viel zu teuer." Das Bieterverhalten sei während einer MVG-Auktion eben anders als bei einer Auktion mit Fachpublikum. Trotzdem: Preisliche "Überraschungen" gebe es bei allen Auktionen.

Während der Auktion erfreut sich Theilmann sichtlich an diesen Überraschungen. Sieht er von seinem Podest aus eine Bieternummer, so zieht er seinen Kopf zurück, krümmt seinen Arm und zeigt mit langem, ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung des Bieters. Gerade annonciert er: "Fünfzehn null vier, sechs siebenundachtzig." Ein Laptop, Startpreis 50 Euro.

Zögerlich hebt sich die Bieternummer 28 aus dem Publikum. Gabriel Klebers Hand zittert ein wenig: "Ich trau mich gar nicht, das Ding hochzuheben." Kleber, an Wochentagen normalerweise Tourguide in der Bavaria-Filmstadt, lacht nervös: "Ich hab' immer total die Schweißausbrüche, wenn ich die Karte hebe. Oh Gott, ich halte es nicht mehr aus!" Für ihn und seine Freundin Annika Audu, Studentin in München, ist es die erste Auktion ihres Lebens. Während der Versteigerung notiert Audu ordentlich mit einem Füllfederhalter, was passiert. "Zum ersten, zum zweiten, zum dritten", schreibt sie in ihr Notizbuch - um den Auktions-Jargon festzuhalten. Da bekommt die Bieternummer 28 den Zuschlag, ihr Freund besitzt nun ein Notebook, 160 Euro kostet es. Für Toni wohl kein Grund, sich zu amüsieren.

© SZ vom 24.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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