Giesing:Ein Reim auf die Krise

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Dichter können ihre Werke an den Poesie-Briefkasten schicken. (Foto: Privat)

Der Verein Poesieboten sammelt und veröffentlicht "Impfworte gegen den Corona-Blues"

Von Sophia Allenstein, Giesing

Lyrik statt Langeweile: Coronagereimtes, etwa ein bairischer Hass-Limerick, eine Hamsterballade oder ein Corona-Medley, sind in den vergangenen Wochen schon im roten Poesie-Briefkasten in Obergiesing eingetrudelt. Frei nach dem Motto "Impfworte gegen den Corona-Blues" fordert der dazugehörige Verein Poesieboten nun öffentlich dazu auf, Gedanken, Sorgen und Trost zur aktuellen Situation in Versen zu bündeln und einzusenden.

Gedanken und Gefühle auf Papier zu bannen könne ein geeignetes Mittel sein, um die Unsicherheiten der derzeitigen Ausnahmesituation zu verarbeiten, erklärt die Poesiebotin Katharina Schweissguth. 2013 eröffnete sie den nach eigenen Angaben deutschlandweit ersten Poesie-Briefkasten, seit 2017 sammelt das Minipoesiemuseum "SPIX" die poetischen Briefe.

Die Zeit zuhause lasse sich gut mit Dichten und Reflektieren verbringen, findet Schweissguth. "Wir sind es gewohnt, immer irgendwelchen Aktivitäten hinterherzujagen. Nun sind wir auf uns selbst zurückgeworfen. Keine Ablenkung mehr, wir können in unser Inneres schauen", sagt sie. Und: Viele Menschen sehnten sich schon länger danach, einen Gang runterzuschalten, eine Pause einzulegen. Nun sei die von außen durch den Lockdown verordnet.

Poesie, das bedeutet für die freiberufliche Grafikerin auch Neuartiges und Traumartiges zu beschreiben. Sich aus dem Alltag rausnehmen, im Moment verharren und alles genau betrachten, wie unter einer Käseglocke. Spannend sei, wie unterschiedlich die Autoren der Briefkastengedichte dieselbe Situation wahrnehmen. Einige würden nur Ereignisse beschreiben, andere verfielen in religiöse Stimmungen und stellten Sinnfragen, wieder andere adaptierten einen spöttisch-intellektuellen Ton.

Ob düster oder optimistisch, religiös oder atheistisch: Bewertungen anhand von Stil, Sprache oder Reimschema nimmt der Verein Poesieboten nicht vor. Laut Schweissguth sind dem Verein Wettbewerbsgedanken, wie beim Poetry-Slam, fremd. Jedes Gedicht stehe für sich und habe seinen eigenen Wert, erklärt sie, es werde kein "bester Dichter" oder neuer Rilke gesucht.

Öffentlich macht der Verein die eingesendeten Gedichte aber schon, um der Dichtergemeinschaft etwas zurückzugeben. So erscheinen die Gedichte unter dem Hashtag "Coronapoesie" auf dem Instagramkanal des Poesie-Briefkastens, einige sollen auch an verwaisten Fahrrädern rund um die Tegernseer Landstraße in Obergiesing aufgehängt werden. Im April planen die Poesieboten zudem einen Livestream, bei dem die empfangenen Postgedichte von Küche und Balkon aus vorgelesen werden, der Termin soll sich bis dahin auf der Webseite www.poesiebriefkasten.de nachlesen lassen.

Wer ein Gedicht einreichen möchte - anonym oder mit Namen gezeichnet -, schickt sein Werk mit der Post an die Adresse: Poesiebriefkasten, Wirtstraße 17, 81539 München.

© SZ vom 01.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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