Strafprozess:Gefährlicher Streit um 6,50 Euro

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Das Dachschild eines Taxis leuchtet bei Dunkelheit. (Foto: Felix Hörhager/dpa)
  • Ein Taxifahrer hat vor einem Jahr einen Kunden überfahren, der dabei schwer verletzt wurde.
  • Zuvor hatte sich der betrunkene Fahrgast geweigert, zu zahlen.
  • Laut Gericht war es eines der schwierigsten Verfahren der letztesn Jahre. Es verurteilte den Taxifahrer zu zwei Jahren auf Bewährung.

Von Imke Plesch

Es sei eines der schwierigsten Verfahren gewesen, das die 2. Strafkammer am Landgericht München I in den zurückliegenden Jahren zu führen hatte, sagt Richter Norbert Riedmann zu Beginn der Urteilsverkündung und betont: "Wir haben es uns nicht leicht gemacht." Am Ende verurteilt die Kammer den 55-jährigen Taxifahrer Kurt L. zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort.

Vor einem Jahr, am Abend des 14. September 2017, war der 30 Jahre alte Krankenpfleger Jonas F. (Name geändert) mit einem Freund in einer Kneipe in Untergiesing gewesen, wo er etwa zwölf Bier trank. Beide hatten die Kneipe gegen 3.30 Uhr verlassen, danach setzt F.s Erinnerung aus. Nach Aussage seines Freundes habe F. sich ein Taxi gerufen, um noch ins "Backstage" weiterzufahren, einen Club an der Friedenheimer Brücke. Er stieg zu L. ins Taxi, doch schon bald kam es den Ermittlungen zufolge zu einem Streit. Auf der Kapuzinerstraße verließ F. das Taxi, ohne jedoch den zu diesem Zeitpunkt fälligen Fahrpreis von 6,50 Euro zu bezahlen. L. fuhr ihm hinterher und stoppte sein Taxi neben ihm auf dem Bürgersteig. Durch das offene Fahrerfenster kam es zum Wortgefecht, F. stand dabei links neben dem Vorderrad.

Gerichtsurteil
:Taxifahrer überfährt Kunden - zwei Jahre auf Bewährung

Ein Taxifahrer hat vor einem Jahr einen Kunden überfahren, der dabei schwer verletzt wurde.  Zuvor hatte sich der betrunkene Fahrgast geweigert zu zahlen.

Von Imke Plesch

Die nun folgenden Sekunden zu rekonstruieren und das Geschehen "festzuklopfen", habe dem Gericht "erhebliche Probleme bereitet", sagt Richter Riedmann. Die Strafkammer konnte sich lediglich auf Gutachten von Sachverständigen zu dem stützen, was nach dem Wortgefecht passierte. Der Angeklagte L. machte keine Angaben, und der verletzte Fahrgast Jonas F. kann sich an nichts erinnern. Neutrale Zeugen oder Videoaufzeichnungen gibt es nicht.

Laut dem Gutachten der Sachverständigen hat der Taxifahrer seinen Fahrgast beim langsamen Anfahren am rechten Bein berührt. Dadurch stürzte F., geriet unter das Auto und wurde fünf Meter mitgeschleift, ohne jedoch von den Rädern überrollt zu werden. Der Taxler fuhr weiter, obwohl er im Rückspiegel gesehen hatte, dass F. auf der Straße lag. Der 30-Jährige erlitt unter anderem ein Schädelhirntrauma sowie einen Bruch des linken Schulterblatts. Sein linkes Ohr wurde halb abgerissen, konnte im Krankenhaus aber wieder angenäht werden.

Entscheidend für die rechtliche Bewertung war allerdings die Frage, ob L. zwischen dem Anfahren und dem Überfahren von F. kurz angehalten und was er dabei bemerkt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte neun Jahre Haft gefordert, wegen versuchten Mordes. Ihrer Meinung nach nahm der Taxler den Tod von Jonas F. billigend in Kauf, um unerkannt zu entkommen, nachdem er bemerkt hatte, dass er ihn angefahren hatte. Nur durch einen Zufall habe F. sich nicht unter dem Auto verhakt und tödliche Verletzungen erlitten.

Zwei bis drei Sekunden waren wohl zu kurz für eine Überlegung

Die Verteidigung plädierte dagegen auf zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung. Kurt L. habe zwar billigend in Kauf genommen, seinen Kunden beim Anfahren verletzt zu haben, erklärte Verteidigerin Birgit Schwerdt. Das Überfahren habe er jedoch nicht bemerkt, vielmehr habe er gedacht, F. sei neben das Fahrzeug gefallen.

Dass der Taxler in Kauf genommen habe, F. zu überfahren, davon waren auch die Richter am Ende nicht überzeugt. Nach ihrer Ansicht waren die zwei bis drei Sekunden, die der Vorfall gedauert hatte, zu kurz für eine Überlegung, F. zu überfahren, um damit eine Straftat zu vertuschen. "Irgendwo ist es auch einfach blöd gelaufen", sagte Richter Riedmann in seiner Urteilsverkündung. Positiv für den Angeklagten werteten sie, dass er nicht vorbestraft war und sich beim Opfer entschuldigt hatte. In den 24 Jahren als Taxifahrer habe er sich nichts zu Schulden kommen lassen und sei bei seinem Arbeitgeber und seinen Kollegen hoch angesehen gewesen.

Das Gericht verurteilte Kurt L. zu einer Bewährungsauflage von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit. In frühestens neun Monaten kann die Verwaltungsbehörde prüfen, ob er seinen Führerschein wiederbekommt. Der Haftbefehl vom Oktober 2017 wurde aufgehoben. Staatsanwaltschaft und Nebenklage wollen nach eigenen Angaben prüfen, ob sie in Revision gehen. Die Nebenklage hatte in ihrem Schlusswort bedauert, dass L. nichts zur Aufklärung der Tat beigetragen hatte. Dies wäre für Jonas F., der seit dem Vorfall unter Panikattacken leidet und sich in psychotherapeutischer Behandlung befindet, sehr wichtig gewesen.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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