Was ist, was wird, was kommt?:"Das Publikum braucht mehr Entertainment"

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Das wird nicht gut ausgehen: Luisa (Jennifer O'Loughlin) und Wurm (Timos Sirlantzis) in der Premiere der Verdi-Oper "Luisa Miller" am Gärtnerplatztheater. (Foto: Jean-Marc Turmes)

Das Gärtnerplatztheater will sich in der kommenden Spielzeit auf Unterhaltungsgenres konzentrieren. Vorerst gibt es aber nochmal große Oper: "Luisa Miller" von Giuseppe Verdi.

Von Michael Stallknecht

Große Oper ist, wenn am Ende drei von fünf Hauptfiguren tot sind. In Giuseppe Verdis "Luisa Miller" überleben tragischerweise die beiden Väter: der Graf von Walter, der seinen Sohn Rodolfo in eine Standesehe pressen wollte, und Miller, dessen Tochter Luisa Rodolfo mit ins Grab nimmt. Ebenso wie in der Schauspielvorlage, Schillers "Kabale und Liebe". Die Neuinszenierung am Gärtnerplatztheater bringt es allerdings auf deutlich mehr Leichen: Am Anfang und Ende rotiert der komplette Chor hingestreckt auf der Drehbühne.

Wie Regisseur Torsten Fischer überhaupt zu einer gewissen Überdeutlichkeit neigt, was die Figuren hinsichtlich möglicher Ambivalenzen einschränkt: Walter (Inho Jeong) trägt Uniform, die - Achtung, böse! - im ersten Akt an einen SS-Offizier erinnert, im zweiten und dritten an einen Sowjetkommandanten; sein Adlatus Wurm (Timos Sirlantzis) schlägt sich im Ledermantel mit dem fiesen Grinsen des Jokers durch; der Hof zeigt sich - Achtung, Dekadenz! - in Glitzerkleid und Smoking. Zum Blutschwur schneiden sich Walter und Wurm die Handflächen mit dem Rasiermesser auf, während Miller (Matija Meić) seine Tochter Luisa (Jennifer O'Loughlin) mit dem Kruzifix und der Robustheit eines Bauarbeiters verteidigt.

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Da passt es, dass auch Anthony Bramall bei seiner letzten Premiere als Chefdirigent des Gärtnerplatztheaters robust zur Sache geht. Bramall macht Druck bei Tempo und Lautstärke, lässt die Musik des jungen Verdi kaum federn. Selbst das Bühnenbild - aus drei rotierenden Porträts einer unschuldsweißen Dame eigentlich recht schlicht komponiert - scheint nicht hintan stehen zu wollen: Zu Luisas Solo fauchen die Nebelmaschinen, und das A-cappella-Quartett, einer der großartigsten Einfälle des Komponisten, wird flugs zum Umbau genutzt.

Das alles geht zu Lasten des - italienisch singenden - Ensembles, als seien Verdis Partien in der Gegenwart nicht schwer genug zu besetzen. Dabei meistert Jennifer O'Loughlin den für den jüngeren Verdi typischen Spagat aus Koloratur und dramatischem Aplomb, lässt Luisa sogar mit engelsgleichem Sopran dem Tod entgegenschweben. Jenish Ysmanov betört in Rodolfos Arie "Quando le sere al placido" mit Schmelz und Pianofarben, kann aber kaum ein stimmiges Porträt entwickeln. Denn die Männer überbieten sich allgemein mit Kraftgeprotze, singen dabei häufig am Anschlag. Selbst die sonst herrlich balsamische Anna Agathonos übersteuert als Federica. Nicht schön, aber vom Publikum mit ähnlich kraftvollen Jubelrufen quittiert.

Wie viel Oper soll das Gärtnerplatztheater machen?

Wie sehr das Gärtnerplatztheater sich der großen Oper widmen soll, war von jeher eine Gretchenfrage, schon hinsichtlich der Konkurrenz zur Staatsoper. Auch wenn dabei im Einzelfall gute Produktionen herauskommen können wie zuletzt der französischsprachige, gleich doppelt aus dem Hausensemble besetzte "Werther". Vor diesem Hintergrund darf man als Rückkehr zum Kerngeschäft deuten, was Intendant Josef E. Köpplinger wenige Tage vor der jüngsten Premiere für die Spielzeit 2023/24 angekündigt hat: eine Konzentration auf die deutsche Spieloper, die Operette und das Musical.

Köpplinger selbst wird zur Spielzeiteröffnung "Die Zauberflöte" inszenieren (was er erst vor zweieinhalb Jahren in Dresden getan hat), der operettenerprobte Bernd Mottl den "Vogelhändler", Brigitte Fassbaender "Die lustigen Weiber von Windsor". Dass keine Barockoper darunter ist, erstaunt. Schließlich bringt Rubén Dubrovsky, der neue, bereits in der laufenden Spielzeit partiell am Haus tätige Chefdirigent, reiche Erfahrung mit dem 17. und 18. Jahrhundert ein. Doch vorerst darf er nur konzertant Händels Oratorium "Il trionfo del Tempo e del Disinganno" realisieren und will sich sonst in Konzerten volksmusikalischen Einflüssen auf die Kunstmusik widmen. Der ernsten Themen nimmt sich eher das Ballett mit einer Neuchoreografie von "Peer Gynt" (Karl Alfred Schreiner) und "Troja" (Andonis Foniadakis) an, wobei letzteres an einen dreitausend Jahre alten Krieg erinnert.

Für Köpplinger war das eine Entscheidung vor dem Hintergrund einer Multikrisenepoche: "Das Heitere bekommt mehr Zulauf, das Publikum braucht mehr Entertainment." Er spüre die "Sehnsucht nach einer gespielten Geschichte" und "Abneigung gegen Überinterpretation". Dabei kann er sich über mangelnde Auslastung in Post-Corona-Zeiten schon jetzt nicht beklagen. Die Abonnements verzeichnen Zuwächse um fünf Prozent, die Auslastung im Musical beziehungsweise der Operette liegt bei 90 beziehungsweise 91 Prozent, in der Oper bei immerhin 84. Die große Oper bleibt künftig dem Repertoire vorbehalten, mit nur wenigen Spitzentiteln.

Die Neuheiten gibt es dafür in den Unterhaltungsgenres: Thomas Pigor, der dem Haus mit "Drei Männer im Schnee" bereits einen Dauerbrenner beschert hat, wird mit "Oh! Oh! Amelio!" eine neue Operette schreiben. Schließlich sei man "eines der letzten Repertoirehäuser für dieses Genre", so Köpplinger. Das Sujet über einen Travestiekünstler darf man auch als weiteres Angebot für die Queer Community im Viertel begreifen.

Und dann ist da noch das Angebot für alle, die noch nie da waren: Köpplinger ist es gelungen, sich die Münchner Erstaufführung von "Les Misérables" zu sichern, mit 22 - so viel ist absehbar - ausverkauften Vorstellungen. Den Nachwuchs für diese Genres will man ab der kommenden Spielzeit gleich im eigenen Haus ausbilden, in einem eigenen Opernstudio mit dem Schwerpunkt Spieloper und Operette.

Fazit: Das Gärtnerplatztheater wird sich künftig noch demonstrativer von der Staatsoper absetzen und gleichzeitig dem Deutschen Theater verstärkt Konkurrenz machen.

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