Fürstenried:"Nie wieder"

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Würdiges Gedenken: Marian Jakubowicz (mit Mikrofon) und andere Zeitzeugen aus Polen erinnern sich an die Zeit des Zweiten Weltkriegs. (Foto: Catherina Hess)

Ergreifende Berichte von ehemaligen KZ-Häftlingen bei einer Gedenkveranstaltung im Schloss Fürstenried

Von Jürgen Wolfram, Fürstenried

Was ist trostloser, als Jahre seiner Kindheit im Konzentrationslager zu verbringen? Nichts, wie die Schilderungen einer Gruppe ehemaliger KZ-Häftlinge aus Polen ahnen lässt, die auf Einladung des Maximilian-Kolbe-Werks das derzeit gedenkfreudige Deutschland bereist. Am Tag der Befreiung vom Nazi-Regime vor 70 Jahren sitzen die Osteuropäer im Goldenen Saal des Schlosses Fürstenried und breiten, assistiert von der einfühlsamen Dolmetscherin Marianne Drechsel-Gillner, ihre ganz persönlichen Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkriegs und sein dramatisches Ende aus. In den Schrecken mischt sich immer wieder die Botschaft der Versöhnung.

Marian Jakubowicz, 89, der gleich in mehreren Konzentrationslagern eingesperrt war, ist erstmals seit sieben Jahrzehnten zurück im Land seiner damaligen Peiniger und bescheinigt ihm jetzt eine "gute Atmosphäre". Eine Teilnehmerin der Gesprächsrunde ist bis heute einem Wachmann dankbar, der ihr, als sie acht Jahre alt war, die geliebten Zöpfe gelassen hat, während alle anderen Jungen und Mädchen geschoren wurden wie die Schafe.

So ergreifend die Berichte aus dunkler Zeit, so würdig der Rahmen,in dem sie erzählt werden bei einer "Nie wieder!"-Mahnveranstaltung des Bezirksausschusses 19. Im Goldenen Saal des ehemaligen Jagdschlosses und heutigen Exerzitienhauses der Erzdiözese München und Freising begrüßt die Moderatorin, die stellvertretende Bezirksausschuss-Vorsitzende Micky Wenngatz (SPD) mit Florian Ewald und Zarko Mrdjanow zwei virtuose Klezmer-Musiker. Das Duo lotet mit Klarinette und Gitarre das Spektrum aus zwischen tiefer Traurigkeit und ausgelassener Fröhlichkeit, wie es typisch ist für das Genre. Musik gewordene menschliche Empfindungen.

Die Gedenkrede zu halten ist Münchens immer noch prominentestem Mahner für Toleranz vorbehalten: Christian Ude. Der Alt-Oberbürgermeister erteilt vehement all jenen eine Absage, die einen Schlussstrich ziehen wollen unter die Nazi-Vergangenheit. Dies verbiete sich schon deshalb, weil bis heute immer neue Erkenntnisse über das "totalitäre Mörderregime" gewonnen würden. Beispielsweise habe man lange verdrängt, in welchem Ausmaß russische Kriegsgefangene planmäßig der Vernichtung preisgegeben wurden und wie Teile der Wehrmacht in Verbrechen verwickelt waren. Nicht zu vergessen die Verstrickungen der Mediziner, Juristen, Reichsbahn-Angehörigen, Wissenschaftler.

Traurige Wahrheit sei, so Ude, dass die Entstehung der Nazi-Herrschaft ohne die Stadt München nicht denkbar gewesen wäre. Wo Heinrich Himmler mal Polizeipräsident war und lange vor entsprechenden Direktiven Deportationslisten für Sinti und Roma erstellt wurden, wo antidemokratische Traditionen und Antisemitismus früh einen Nährboden fanden, habe es jedoch immer auch entschiedene Gegner der Gewaltherrschaft gegeben, wie beispielsweise Wilhelm Hoegner. Sein Name führe auch zur richtigen Antwort auf Menschenverachtung und Hass: "Sie steht im Grundgesetz mit seiner besonderen Betonung der Menschenwürde."

Nicht zuletzt die Begleitausstellung "Rechts? Total? Normal?" bezeugte, dass Gedenkveranstaltungen wie diejenige im Stadtbezirk 19 längst nicht überflüssig geworden sind, denn rechtsradikale Parolen wollen nicht verstummen, und "rechte Rattenfänger" sind noch immer oder schon wieder unterwegs. Wenigstens blieb den polnischen Gästen eine Begegnung mit protestierenden Neonazis in Fürstenried erspart.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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