Fürstenried:Druck im Kessel

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Über einen Mangel an Diskussionsstoff konnte bei der Bürgerwerkstatt zum Thema Verkehrsentlastung wahrlich niemand klagen. (Foto: Robert Haas)

Anwohner, Politiker und Experten diskutieren über eine Verkehrsentlastung des Stadtbezirks 19. Dabei bricht sich der Unmut über vermeintlich unzulängliche Untersuchungen der Behörden lautstark Bahn

Von Jürgen Wolfram, Fürstenried

Verkehrspolitisch herrscht erheblicher Druck im Kessel. Diese Erkenntnis dürften das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Stadträte und Vertreter des Bezirksausschusses Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln von einer Bürgerwerkstatt mitgenommen haben, bei der an einem Gesamtkonzept zur Verkehrsentlastung gefeilt werden sollte. Viele der 110 Teilnehmer, weit überwiegend Forstenrieder und

Obersendlinger, zogen in Zweifel, dass die Stadtverwaltung den Ernst der Lage hinlänglich erkannt habe. Den Ergebnissen einer "Flussverfolgung" und einer Verkehrsbefragung sowie deren Interpretation begegneten sie mit deutlicher Skepsis. Tilo Schmidt, Sprecher des Vereins Verkehrsberuhigung München warnte gar davor, die Zahlen zur Grundlage weiterer Überlegungen zu machen - die irrige Statistik führe nur zu "falschen Schlussfolgerungen".

Die eruptive Empörung im Saal ein ums andere Mal zu kanalisieren, erwies sich als echte Herausforderung für die Moderatorin Ursula Ammermann (Kommunikationsberatung CityCom). Es waren Feststellungen des Planungsreferat-Emissärs Harald Schnell oder dessen Kollegin Daniela Czerny, die im Bürgersaal Fürstenried nahezu kollektiven Widerspruch herausforderten. Beide bezeichneten zum Beispiel den Durchgangsverkehr im Stadtbezirk 19 als gering und lasen aus ihren Erhebungen heraus, dass Schwerlastverkehr kein Problem darstelle. Schnell konstatierte zudem, das Verkehrsaufkommen in dem "ungünstig gelegenen" Stadtbezirk sei bemerkenswerterweise seit 20 Jahren "relativ konstant".

Die Diskrepanz zwischen solchen Aussagen und den Schilderungen der Bürger als gravierend zu bezeichnen, wäre krass untertrieben. Ein Forstenrieder etwa erlebt den Verkehr in seinem Viertel als "Tortur, die seit 30 Jahren über uns hinweg rollt". Auch im Hinblick auf das rasche Bevölkerungswachstum im Stadtbezirk 19, der bereits mehr als 90 000 Einwohner zählt, könne es nur noch ein Ziel geben: Verkehrsvermeidung. Anwohner der Herterichstraße sowie der Wilhelm-Leibl-Straße in Solln berichteten von massiven Verstößen gegen die Tempo-30-Regelung, Staubildungen und davon, wie Busse und Lkw über Bürgersteige brettern. Die enge Leibl-Straße werde ferner unverändert als Schleichweg missbraucht, verkehrslenkende Maßnahmen hätten daran wenig geändert. Aus Fürstenried kamen Klagen darüber, dass Pendler aus den Landkreisen München, Starnberg und Fürstenfeldbruck die Gegend um den U-Bahnhof Basler Straße okkupierten und Autofahrer die Graubündener Straße zeitweise derart verstopften, dass an ein Passieren der Fahrbahn nicht zu denken sei. Wieder und wieder setzte es Kritik wegen diverser Unzulänglichkeiten der Verkehrsuntersuchungen. Diese ergäben kein "vollumfängliches Bild". Von zehn problematischen Knotenpunkten seien nur vier in den Fokus genommen worden, hieß es, oder aber, die Erhebungsorte und -zeiten (Liesl-Karlstadt-Straße und Siemensallee, April und Juli, jeweils von 7 bis 9 Uhr und von 16.30 bis 18.30 Uhr) seien zwangsläufig lückenhaft. Von einer Gesundheitsgefährdung durch eine Überschreitung der Lärmgrenzwerte selbst in Wohngebieten war die Rede. Den schrillsten Nachhall jedoch handelte sich die Regierung von Oberbayern für ihre Weigerung ein, die als Staatsstraße deklarierten Verbindungsstücke zwischen Garmischer Autobahn und Wolfratshauser Straße (B 11), wie die Siemensallee und die Lochhamer Straße, in ihrer Bedeutung herabzustufen. Harald Schnell versicherte den Workshop-Besuchern, die Klassifizierung habe keine Auswirkungen auf die städtischen Planungen - mit mäßigem Erfolg. Er rief die Versammlung im Übrigen dazu auf, "ein Votum zur Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs" und für die Trambahn-Westtangente abzugeben - gleichfalls mit überschaubarer Resonanz. "Stoff haben wir heute genug", stellte Moderatorin Ammann treffend fest. Detailliert vertieft wurde dieser in Gesprächsrunden an fünf Themen-"Stationen": Rad- und Fußwege, neuralgische Punkte des Individualverkehrs, Parken und Lärmschutz, öffentliche Verkehrsmittel/Park-and-Ride-Anlagen sowie "generelle Anregungen" zur Entwicklung eines verkehrspolitischen Gesamtkonzepts.

Die meisten Karten mit Vorschlägen an den Pinnwänden lasen sich indes eher kleinteilig. Dafür lassen einige konkrete Anträge vermuten, dass um eine spürbare Verkehrsentlastung im Münchner Südwesten noch heftig gerungen wird. Besonders die Forstenrieder sind es erkennbar leid, unter die Räder einer anschwellenden Verkehrslawine zu geraten und um ihre Sicherheit fürchten zu müssen.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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