Fürstenfeldbruck:Mehr Menschen am Existenzminimum

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Manchmal sind sogar Grundnahrungsmittel unerschwinglich. Entsprechend groß ist der Andrang bei den Tafeln. (Foto: Günther Reger)

Schuldnerberaterin Nicole Egle bereiten die gestiegenen Preise große Sorge. Viele haben zur Monatsmitte kein Geld mehr für Lebensmittel übrig.

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Der Wirtschaftsauskunftei Creditreform zufolge ist die Quote der überschuldeten Landkreisbewohner in diesem Jahr gesunken, von 5,5 im Vorjahr auf nunmehr 5,2 Proze

nt. Wie kann das sein in einem Krisen- und Kriegsjahr mit exorbitant steigenden Energiekosten, der höchsten Inflationsrate seit Jahrzehnten und in der Folge mit einer steigenden Zahl von Menschen in finanziellen Schwierigkeiten?

Nicole Egle von der Schuldnerberatung der Caritas in Germering berät Menschen, die Probleme haben, mit ihren niedrigen Budgets die steigenden Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Sie kann den scheinbaren Widerspruch erklären: Menschen, die mit dem Existenzminimum auskommen müssen und oft nach der Monatsmitte kein Geld mehr für Lebensmittel haben, sind in der Regel nicht überschuldet, sagt sie. Gleichzeitig prognostiziert sie, dass langfristig die Überschuldungsquote dennoch ansteigt.

Nicole Egle von der Schuldnerberatung der Caritas in Germering. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, sich also einschränken und irgendwie durchschlagen, tauchen nicht oder nur stark verzögert bei Schufa oder Wirtschaftsauskunftei Creditreform auf. Private Vermieter, Unterhaltsgläubiger oder öffentliche Gläubiger, wie zum Beispiel das Jobcenter oder die Krankenkasse, melden in der Regel ihre Forderungen nicht an die Schufa. So existiert neben den sichtbaren, in der Schufa gemeldeten Schulden eine zweite versteckte Ver- und Überschuldungskurve. Das sind aber in der Regel die existenzbedrohenden Schulden, wenn zum Beispiel dem Vermieter noch zusätzlich zur hohen Miete Rückstandsraten angeboten werden müssen oder das Jobcenter ein hohes Stromdarlehen gibt und die Raten dafür vom knappen Existenzminimum abgezweigt werden und dafür woanders wieder Löcher reißen.

Laut der Statistik von Creditreform schneidet der Landkreis nach der Überschuldungsquote noch relativ gut ab. Er wird deutschlandweit auf Platz 34 von insgesamt 401 Landkreisen und kreisfreien Städten gelistet. Das Schlusslicht ist Bremerhaven mit einer Quote von annähernd 20 Prozent, Das heißt, dort ist schon jetzt fast jeder Fünfte überschuldet, während das im Landkreis Fürstenfeldbruck nur auf etwa jeden Zwanzigsten zutrifft. Allerdings bleibt hier die zweite versteckte Überschuldungskurve unberücksichtigt.

Wie Nicole Egle berichtet, kann es sein, dass verschuldete Menschen selbst bei der Auszahlung der Energiepauschale von 300 Euro leer ausgehen. Da der Gesetzgeber vergessen habe, die Energiepauschale vor dem Zugriff von Gläubigern zu schützen, kann dieser Betrag bei normalen Arbeitgebern wie ein Teil von deren Lohn zur Tilgung von Schulden gepfändet werden. Wurde eine Hilfszahlung empfangen, lohne es sich, bei der Schuldnerberatung nachzufragen, ob es im Einzelfall möglich ist, sich diesen Betrag über eine Freigabebescheinigung auf dem Pfändungsschutzkonto oder eine Härtefallregelung für den vorgesehenen Zweck, also zum Beispiel für die Bezahlung der gestiegenen Energiekosten, doch noch zu sichern.

Die meisten Menschen, die im Landkreis Hilfe bei der Schuldnerberatung der Caritas suchen, hat ein Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen. Das kann eine längere schwere Erkrankung sein, der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der Lebenspartnerin oder des Partners infolge von Scheidung oder Tod. Die landläufige Vorstellung, dass bei Beraterinnen wie Egle vor allem die Rat suchen, die als Konsumenten im Einzel- oder Versandhandel ihre finanziellen Möglichkeiten weit überzogen haben, sei falsch. Solche Klienten seien "extrem selten".

In der Corona-Pandemie haben staatliche Hilfsprogramme vielen geholfen, gerade noch über die Runden zu kommen. In der aktuellen Energiekrise in Kombination mit einer hohen Inflationsrate wenden sich in ihrer Not nun auch immer mehr Leute aus der unteren Mittelschicht an die Caritas-Beratung, die an ihre finanziellen Grenzen stoßen, weil sie ihre Rücklagen aufgebraucht haben. Das können Selbständige sein, die für den Erhalt ihres Betriebs bereits die Rücklage fürs Alter verwendet haben, oder Geringverdiener, Alleinerziehende oder Menschen mit niedriger Rente.

Nach der Wahrnehmung der Schuldnerberaterin entwickeln Menschen, die am Existenzminimum leben, unterschiedliche Strategien. Man ziehe sich warm an und heize nur noch ein Zimmer, versuche am eigenen Konsum zu sparen, was schwierig sei. Andere stehen bei Tafeln an oder ziehen sich zurück, weil das Geld nicht einmal mehr für ein Treffen mit Bekannten in einem Café reicht. Das gehe in Richtung Isolation oder Vereinsamung. Ein Rentnerehepaar, um das sie sich Egle kümmert, habe im Herbst wie in der Nachkriegszeit nach der Ernte auf einem Feld übriggebliebene Kartoffeln aufgelesen. Zugenommen haben auch die Ängste, auf Dauer den bisherigen Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Panisch reagieren solche Menschen, die bisher alle Herausforderungen mit eigener Kraft bewältigt haben und über keine Erfahrungen mit dem staatlichen Hilfssystem verfügen.

Den besten Schutz vor Überschuldung bietet laut der Schuldnerberaterin eine gute Ausbildung. Zudem rät sie von Ratenkäufen ab, weil viele dadurch den Überblick über ihre Ausgaben verlieren, und einer teuren Wohnung. Langfristig könne es nicht funktionieren, 50 bis 55 Prozent des Monatseinkommens nur für die Miete aufzuwenden. Ein Drittel sei unproblematisch. Weil man sich gegenseitig helfe, biete ein gutes Netzwerk in Krisen viel Rückhalt. Menschen, die auf sich gestellt sind, hätten es dagegen schwerer.

Menschen mit knappem Budget empfiehlt Egle, ein Haushaltsbuch mit festgelegten Budgets zu führen, selbst zu kochen, Kinderkleidung im Second-Hand-Laden zu kaufen und mit Hilfe einer Beratung bei der Verbraucherzentrale den Energieverbrauch zu senken.

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