Todesmärsche:Eindrucksvolle Erinnerungskultur

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Am Film "Todesmarsch. Als das Grauen vor die Haustür kam" hat sich die Stadt Fürstenfeldbruck finanziell beteiligt. (Foto: Max Kronawitter/oh)

Dokumentarfilm "Todesmarsch. Als das Grauen vor die Haustür kam" berührt die Besucher im Lichtspielhaus

Von Peter Bierl

Abba Naor erzählt immer nur einen kleinen Teil dessen, was er erlebt hat, um zu zeigen, "was geschieht, wenn man nicht aufpasst". Er ist einer der letzten Überlebenden des Todesmarsches, in dem die SS bei Kriegsende ihre Opfer aus den KZ-Außenlagern im Landkreis Landsberg erst in das Stammlager Dachau und von dort aus zusammen mit dessen Insassen weiter nach Süden trieb, durch das Würmtal, nach Wolfratshausen und Geretsried, bis der größte Teil von ihnen bei Waakirchen von US-Soldaten befreit wurde.

In der Kurzfassung des Dokumentarfilms "Todesmarsch. Als das Grauen vor die Haustür kam" ist Naor der einzige Überlebende, der zu Wort kommt. Diese Version wurde im Lichtspielhaus Fürstenfeldbruck am 27. Januar, gezeigt, dem Gedenktag an die Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee 1945. Es ist ein berührendes Werk, das der Regisseur Max Kronawitter geschaffen hat. Ulrike Bergheim, die Vorsitzende des Historischen Vereins, muss nach der Aufführung um Fassung ringen, als sie das Gespräch moderieren soll.

Jahrelang hat Kronawitter Material gesammelt, darunter die wenigen Fotos, Zeitzeugen interviewt und mangels Filmaufnahmen Szenen gedreht, in denen Komparsen mit Holzpantinen und gestreifter Häftlingskleidung zu sehen sind. Der Bildhauer Hubertus von Pilgrim kommt zu Wort, der die 22 Mahnmale geschaffen hat, die entlang der Strecke des Leidensmarsches aufgestellt wurden. Er erinnert daran, dass sich die Begeisterung anfangs in Grenzen hielt, die ersten Mahnmale wurden gar mit Säure und Beil angriffen.

Oberbürgermeister Erich Raff (CSU) eröffnet die Filmvorführung vor etwa 60 Zuschauern mit dem Hinweis, dass nur eines dieser Mahnmale im Landkreis steht, im Zentrum von Bruck. Die Stadt hat sich an Kronawitters Dokumentation auch finanziell beteiligt. Das sei der Beitrag der Kommune zu einer "dringend notwendigen Erinnerungskultur", sagt Raff. Dabei stelle sich immer die Frage, ob wir unserer Verantwortung gerecht würden, denn diese kollektive Verantwortung bleibe. Der hiesige Todesmarsch wurde jahrzehntelang totgeschwiegen, nicht erwähnt in der Unzahl von bräsigen Dorf- und Stadtchroniken, bis der Lehrer Ulrich Bigalski und der Journalist Anselm Roth um 1990 recherchierten.

Naor erinnert in dem Film daran, dass im KZ Dachau in den zwölf Jahren der NS-Herrschaft etwa 40 000 Menschen ermordet worden seien, in den Außenlagern bei Landsberg kamen in einem knappen dreiviertel Jahr um die 20 000 Menschen ums Leben. Die KZ-Sklaven sollten dort Anlagen für den Bau deutscher Wunderwaffen errichten. Als die US-Truppen näherrückten, überlegte die NS-Führung, wie die Spuren zu verwischen wären. Die meisten Häftlinge wurden auf den Todesmarsch geschickt, die die dafür zu schwach waren mit Benzin übergossen und verbrannt.

"Man musste sehr konzentriert gehen", berichtet Naor. Wer nicht weiter konnte, wurde von den deutschen Wachen erschossen oder von ihren Hunden zerfetzt. Zu essen bekamen die Häftlinge fast nichts. Wenn sie sich irgendwo am Rande niederlassen durften, aßen sie Gras. "Die Wurzeln schmecken gut", sagt Naor.

Im Film kommen außerdem Menschen zu Wort, die damals als Kinder oder Jugendliche die Gefangenen auf ihrem Zug durch die Dörfer sahen. Sie berichten von Versuchen, den Verhungernden Brot oder Kartoffeln zu reichen, von einigen wenigen, denen die Flucht gelang. Nach der Vorführung erzählt eine Bruckerin, aus dem obersten Stockwerk eines Hauses in der Schöngeisinger Straße habe jemand Brot geworfen, bis die Wachen mit Gewehrkolben gegen die Haustüre schlugen. Die meisten Anwohner hätten aber ihre Fenster verriegelt - wegschauen bis zum Schluss. "Wenn die über uns herfallen", habe es im Dorf geheißen beim Durchzug der lebenden Leichen, berichtet ein Zeitzeuge im Film.

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