SZ-Interview zu den Schulen im Lockdown:"Wir fühlen uns in der Schwebe gelassen"

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Iris Gotzig, Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Kreisgruppe Fürstenfeldbruck. (Foto: Leonhard Simon)

Iris Gotzig ist die neue Fürstenfeldbrucker Kreisvorsitzende des BLLV. Sie liebt ihren Beruf trotz aller Widrigkeiten. Die Grundschullehrerin erklärt, welche Probleme der Unterricht in Pandemie-Zeiten mit sich bringt und wie man das Lehramt attraktiver machen kann

Interview von Ingrid Hügenell

Kürzlich ist Iris Gotzig, 36, zur neuen Kreisvorsitzenden des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, kurz BLLV, gewählt worden. Zuvor war sie im Landkreis Vorsitzende des Jungen BLLV. Gotzig sattelte nach einer Logopädie-Ausbildung auf das Grundschullehramt um, mit dem Hauptfach Deutsch. 2014 wurde sie Lehramtsanwärterin, 2016 Beamtin auf Probe, seit September 2018 ist sie Beamtin auf Lebenszeit. Sie unterrichtet und lebt in Maisach. Ursprünglich kommt sie aus Franken,aus dem Markt Bibart im Landkreis Neustadt an der Aisch, Mittelfranken. Zum Antritt der ersten Planstelle mit Aussicht auf Verbeamtung musste sie nach Oberbayern wechseln. Denn nur hier wurde ihr eine Planstelle angeboten. Oberbayern hat die größten Schülerzahlen und folglich den größten Lehrerbedarf.

SZ: Die Corona-Pandemie erschwert den Schulunterricht enorm. Wie erleben Sie das und wie kommen Sie damit zurecht?

Iris Gotzig: Durch die Pandemie musste der Unterricht in diesem Schuljahr bereits auf ganz unterschiedliche Weise durchgeführt werden: Wir hatten Präsenzunterricht, Wechselunterricht und nun Lernen auf Distanz. Zweifellos ist Lernen auf Distanz für alle Beteiligten die größte Herausforderung - für Schüler, Eltern und uns Lehrkräfte! Nun versuchen wir Lehrer, Unterrichtsinhalte anders, vor allem digital und möglichst selbsterklärend aufzuarbeiten, damit die Schülerinnen und Schüler zu Hause die Aufgaben möglichst selbständig bearbeiten können. Viele benötigen dennoch Hilfe. Für mich ist es nun ein völlig anderes Arbeiten - ich arbeite viel am PC, versuche die Kinder über unsere digitale Pinnwand, E- Mail, Chat und Telefon zu erreichen. Das ist sehr arbeitsintensiv und kostet viel Kraft, und doch kann ich den Lernfortschritt nicht so begleiten und verfolgen, wie wenn ich die Kinder jeden Tag in der Klasse vor mir habe.

Welche Unterstützung bekommen Sie von der Politik?

Sie haben bestimmt schon von der Fortbildungsoffensive zur Digitalisierung gehört. Es werden online über eine Plattform verschiedene Module, zum Beispiel zur Mediendidaktik, bereitgestellt, die man nach und nach im Selbststudium durchläuft. Hier geht es uns ein bisschen wie unseren Schülern: Eine richtige Fortbildung vor Ort durch einen kompetenten Kursleiter, in der man auch verschiedene Dinge gleich ausprobieren kann, ersetzt das natürlich nicht. Das wäre aber dringend nötig gewesen, um die neuen Anforderungen bewältigen zu können. So ist es auch immer wieder ein Selbst -Ausprobieren und -einarbeiten in neue Apps und Programme; auch der Austausch mit den Kolleginnen kann gewinnbringend sein.

Welche Unterstützung würden Sie sich zusätzlich wünschen?

Wünschen würde ich mir vor allem eine verbesserte Kommunikation, in der wichtige Informationen frühzeitig an die Schulleitungen und uns Lehrkräfte weitergegeben werden und so eine bessere Unterrichtsplanung möglich ist. Wir fühlen uns oft in der Schwebe gelassen. Eher durch die Presse informiert zu werden als über den Dienstweg, empfinden vermutlich alle Lehrkräfte als problematisch.

Worunter leiden die Kinder auf der einen Seite und die Lehrerinnen und Lehrer auf der anderen Seite am meisten?

Die Kinder spüren sehr wohl, dass wir uns in einer Ausnahmesituation befinden. Sie vermissen ihre Schulkameraden und Freunde, ja sogar die Hintergrundgeräusche einer Klasse! In Videokonferenzen berichten die Kinder auch, dass sie ihre Lehrerin vermissen und sich manchmal schwerer motivieren können - ohne direktes Lob und Anerkennung. Wir Lehrer fühlen uns vor allem durch die vielen zusätzlichen und veränderten Aufgaben belastet und von dem Gefühl, ständig unter Druck zu sein. Die Planungsunsicherheit, die erwartete ständige Erreichbarkeit und die Fortbildung im Umgang mit digitalen Medien belasten mich und andere Lehrkräfte sehr. So ist es umso schwieriger, überhaupt noch Freizeit zu haben und sich Ruhepausen zu verschaffen.

Immer wieder hört man die Befürchtung, viele Kinder würden durch die Corona-Maßnahmen nicht richtig lesen und schreiben lernen. Wie realistisch ist diese Befürchtung? Und wie kann man gegensteuern?

Ganz besonders schwierig ist die Situation natürlich für unsere Erst- und Zweitklässler, die ja noch im Schriftspracherwerb sind, oder für Kinder, die wenig Unterstützung durch die Eltern oder Deutsch als Zweitsprache haben. Wir können momentan nur, so gut es geht, den Schülerinnen und Schülern vielfältige Lernangebote an die Hand geben, wie etwa Schwungübungen, Lernvideos, Tipps zur Stifthaltung oder Aufgaben zur Lesemotivation wie den Lesepass und Antolin. Im Präsenzunterricht können wir beobachten und eingreifen, wenn Kinder besondere Förderung brauchen. Als Lösungsansatz gab es ja bereits in diesem Schuljahr die sogenannten Brückenangebote, besondere Förderstunden für Kinder mit Lernlücken, die auch dringend fortgesetzt werden müssten. Leider fehlt aber durch den derzeitigen Lehrermangel grundsätzlich für alle weiteren Möglichkeiten das Fachpersonal.

Vor ziemlich genau einem Jahr haben Grundschullehrer wegen einer neuen Regelung zur Teilzeitarbeit protestiert. Was hat sich seither getan?

Die angekündigten Maßnahmen wurden bereits in diesem Schuljahr umgesetzt, das heißt Teilzeitbeschäftigte müssen nun mindestens 21 Stunden arbeiten und die erste Altersgruppe der 50 bis 56-Jährigen arbeitet jetzt eine Stunde mehr, die dann auf einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben wird. Meist ist es ein zusätzlicher Fachunterricht, vielleicht sogar an einer anderen Schule. Das belastet die Kolleginnen und Kollegen in diesem schwierigen Schuljahr ganz besonders.

Wie macht sich der Lehrermangel in der derzeitigen Situation bemerkbar?

Krankheitsausfälle können immer schwerer durch die mobile Reserve kompensiert werden. Durch das umfangreiche Hygiene-Konzept, das jede Schule erstellen musste, können Klassen auch nicht mehr auf andere aufgeteilt oder gemeinsam geführt werden. Das setzt uns Lehrkräfte unter Druck, ja nicht krank zu werden, und bringt die Schulleitungen in Planungsnot. Zur Sicherung der Unterrichtsversorgung werden nun sogenannte Teamlehrkräfte, Personen mit anderem abgeschlossenen Hochschulstudium oder Lehramtsstudierende höherer Semester herangezogen. Das kann keine zufriedenstellende Lösung sein und belastet zudem noch die Kolleginnen und Kollegen, die den Teamlehrkräften vor Ort Hilfestellung leisten müssen.

Sie haben voriges Jahr berichtet, dass viele junge Lehrer schon bald wieder aus dem Beruf aussteigen. Wie hat sich diese Situation entwickelt?

In Oberbayern haben im September einige fertige Lehrerinnen und Lehrer ihren Dienst nach dem Referendariat nicht angetreten. Es waren bereits mehr als im Jahr zuvor.

Wie könnte man das verbessern?

Der Schlüssel liegt aus meiner Sicht bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Attraktivität des Berufes. Wenn die Vielzahl der Aufgaben massiv steigt, braucht es dafür auch Anrechnungsstunden zum Beispiel für die Klassenleitung oder das Unterrichten von Inklusionskindern. Die Bezahlung muss unbedingt den anderen Lehrämtern angepasst werden. Der Lehrberuf sollte nicht nur etwas für Idealisten sein, sondern ein Beruf, der mit einer guten Ausbildung zu bewältigen, attraktiv ist und Freude macht.

Warum haben Sie sich entschieden, Grundschullehrerin zu werden? Macht Ihnen der Beruf trotz allem Spaß?

Mir hat es schon immer Freude gemacht, mit Kindern zu arbeiten. Nach der Arbeit in meinem Erstberuf als Logopädin wollte ich gerne noch studieren - da war Grundschullehramt naheliegend. Mir macht die unschlagbare Ehrlichkeit der Kinder und das Begleiten von Lernfortschritten viel Freude. Es wird auf jeden Fall nie langweilig, weil die Kinder so lebendig und aufrichtig sind!

Seit wann gehören Sie dem BLLV an und warum diesem Verband?

Ich bin bereits im Studium dem Verband beigetreten. Es gab professionelle Infoveranstaltungen an der Uni, gute Hilfestellungen in der Vorbereitung auf das Staatsexamen wurden zur Verfügung gestellt. Der BLLV ist der größte Lehrerverband in Bayern und kann daher auch die Interessen der einzelnen Fachgruppen am besten vertreten. Die Rechtsabteilung bietet einen professionellen und zuverlässigen Service den Mitgliedern gegenüber an.

Was ist Ihr Antrieb für Ihr Engagement für den BLLV? Was kann der BLLV für die Lehrer tun?

Ich finde es gerade in diesen Zeiten wichtig, dass man sich gemeinsam für seine Ziele einsetzt und durch den BLLV eine Stimme bekommt, die auch politisches Gewicht hat. In so einem großen Verband finden sich viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer wieder, die tolle Ideen entwickeln und auch kritisch ihre Mitglieder vertreten. Es macht Freude, dort mitzuarbeiten, ein Teil des Teams zu sein und etwas gemeinsam zu bewegen.

© SZ vom 01.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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