SZ-Adventskalender:Voller Lebensfreude

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Tina O. arbeitet in der Wäscherei einer Behinderten-Werkstatt. Sie spielt Fußball in einer Inklusionsmannschaft und wünscht sich einen Besuch in einem Freizeitpark

Von Gerhard Eisenkolb, Olching

Tina O. ist eine perfekte Gastgeberin. Sie schenkt Kaffee in Tassen mit Marienkäfern ein - und Marienkäfer sind immerhin Glücksbringer. Dazu gibt es frischen Schokoladenkuchen, den ihr Freund Daniel gebacken hat. Serviert wird der Kuchen auf einem Teller mit bunten Teddybären, die alle einen Namen habe, einer der größten heißt Samantha. Gebacken hat ihr Freund David den Kuchen von sich aus, freiwillig, ohne dass sie es ihm hätte anschaffen müssen, wie sie sagt. Tina trägt ein dunkelblaues, legeres Nickijäckchen mit großen weißen Sternen. Da ihre Einzimmerwohnung unterm Dach winzig ist, sitzt sie während des Gesprächs auf der Bettkante. Der blauweiße Bettbezug ist ein Fanartikel von Schalke 04.

Die Wahl der Bettwäsche ist kein Zufall, schließlich ist die 25-jährige Olchingerin Fußballfan. Und wer über ihren Lieblingsverein etwas Schlechtes sagt, muss damit rechnen, richtig Ärger zu bekommen. Schließlich ist sie kein Kind mehr, sondern erwachsen - und sie will, dass man respektvoll mit ihr umgeht. Allerdings ist nicht Schalke 04 ihr Lieblingsverein, sondern 1860 München. Deshalb würde sie eigentlich viel lieber unter einem Bettbezug ihres Vereins schlafen. Allerdings gab es den nicht im Sonderangebot, sondern nur solche von Schalke, den Bayern oder Dortmund. Vor die Wahl gestellt, ganz auf Fußball-Bettwäsche zu verzichten, oder zu nehmen, was sie sich von ihrem vom Mund Abgesparten noch leisten konnte, entschied sich Tina O., die von sich sagt, eine "eingeschleifte Blaue" zu sein, für das kleinere Übel. Das war eben Schalke 04. Dieser Verein hat zumindest das Blau mit den Sechzigern gemeinsam.

Die 25-Jährige ist stolz auf ihr eigenes kleines Einkommen, das mit Sozialhilfe aufgebessert wird. Seit drei Jahren arbeitet sie in der Wäscherei der Caritas-Werkstatt in Pasing. Dort macht sie bis auf das Einschalten der Maschinen alles. Sie sortiert die saubere Wäsche in Kästen ein und verpackt sie auch. Ihre "Lieblingsarbeit" ist jedoch das Pressen von Kitteln. Nur darf dabei nichts passieren, vor allem muss sie aufpassen, dass die Kittel richtig liegen und ja keine Falten bekommen. Kleine Fältchen gibt es trotzdem immer wieder, was ihre Chefs und vor allem deren Kunden nicht gerne sehen. Es gibt Momente, in denen selbst die Lieblingsarbeit so stressig werden kann, dass Tina krank wird.

Die Olchingerin ist selbstbewusst und lebhaft. Sie plaudert gerne und kann ihre Lebenssituation gut erklären. Zudem wirkt sie so lebenslustig, dass man sich nicht vorstellen kann, wie sehr sie ihre Arbeit mit Acht-Stunden-Tagen gelegentlich belastet. Aber immer dann, wenn schwierige Themen angesprochen werden, spitzt die zierliche junge Frau den Mund. Da sie ein heiterer Mensch ist, lacht sie jedoch meistens. In solchen Momenten schaut sie ihr Gegenüber verschmitzt von unten über den oberen Brillenrand an. Ein bestimmtes: "Ich versteh' doch", ist zu hören, wenn man nachfragt, um Missverständnisse auszuschließen.

Als aus ihr herausplatzt, dass sie etwas Weihnachtsgeld bekommen hat, wirkt Tina O. besonders heiter und unbeschwert. Vielleicht leistet sie sich mit ihrem Freund davon an Weihnachten etwas Besonderes wie einen Restaurantbesuch. Oder sie dekoriert die Wohnung mit einer Lichterkette und etwas Kunstschnee aus der Sprühdose. Einen Christbaum kann sie nicht aufstellen, den würde Hauskatze "Micky" im Handumdrehen ableeren. Micky legte sie sich zu, als sie ihre Eltern verließ, zu denen sie kaum noch Kontakt hat, in die erste eigene Wohnung nach Olching zog und dort das Alleinsein nicht aushielt.

Wie andere junge Menschen auch hat Tina O. viele Herzenswünsche. Da sie Tiere liebt - sie hatte schon mal einen Hasen und auch einen Hund -, würde sie viel lieber mit Kleintieren arbeiten als in der Wäscherei. Am liebsten in einem Tierpark. Ihr größter Herzenswunsch ist zurzeit jedoch ein zweitägiger Besuch eines Freizeitparks mit ihrem Freund. Mit David lebt sie zurzeit auf Probe zusammen, würde aber gerne mit ihm auf Dauer eine größere Wohnung teilen. Er arbeitet ebenfalls in der geschützten Werkstatt in Pasing. Nur nicht in der Wäscherei, sondern in der Gärtnerei. Der Adventskalender will den beiden den Wunsch, einen Freizeitpark zu besuchen, erfüllen. Die Wäschereiarbeiterin müsste nämlich sehr lange sparen, um sich den Ausflug in den Europapark nach Rust leisten zu können. Zudem wachen ihre gesetzliche Betreuerin und die Sozialpädagogin Beatrice Wigh von der Brucker Caritas darüber, dass die junge Frau mit den 80 Euro sparsam umgeht, mit denen sie eine Woche lang ihren Lebensunterhalt bestreiten muss. Auch wenn sie inzwischen gelernt hat, vieles selbst zu organisieren, wie beispielsweise Arztbesuche, wird jede größere Ausgabe mit den beiden Betreuerinnen ausführlich besprochen und dabei das Für und Wider abgewogen.

Im vergangenen Jahr bekam die junge Frau zu Weihnachten über einen Wunschbaum ein Fußballtrikot der Sechziger, ohne Aufdruck eines Spielernamens, weil das, wie sie sagt, billiger war. Sie hat eben gelernt, Kompromisse einzugehen. Auf die Weihnachtstage freut sie sich, weil sie wieder ein Geschenk bekommen wird. Das Trikot vom letzten Jahr trägt sie, wenn sie mit der Inklusionsfußballmannschaft beim 1. SC Gröbenzell trainiert. Mit ihrem Verein fährt sie demnächst in ein Trainingslager nach Basel, bei dem ihre Mannschaft auch an einem Turnier teilnimmt.

Als sie das erzählt, strahlt sie vor Vorfreude übers ganze Gesicht. In ihrer Mannschaft spielt sie eigentlich als Verteidigerin. Wenn sie gebraucht wird, stellt sie sich aber auch ins Tor oder sie übernimmt eine andere Aufgabe - ohne zu murren. Zudem macht sie bei den Ministranten der katholischen Pfarrkirche Olching mit, aber nicht an den beiden Weihnachtsfeiertagen, da hat sie in der Wäscherei Dienst. Dort laufen die Waschmaschinen an sieben Tagen in der Woche.

Immer wieder unterbricht die junge Frau das Gespräch, weil sie sich Sorgen um ihren Freund macht. Weil Daniel Zahnschmerzen hat, hat sie für ihn einen Zahnarzttermin vereinbart. Nun will sie vermeiden, dass er in der Werkstatt Ärger bekommt, weil er vergessen hat, sich krank zu melden. "Man sorgt gemeinsam", beteuert sie. Und sie hat Mühe, den Einwand von Beatrice Wigh anzunehmen, dass Daniel doch für sich selbst verantwortlich sei.

Einmal in der Woche trifft sich die Sozialarbeiterin mit Tina O. in deren Wohnung. Dann wird alles besprochen, was ansteht, die Arbeit, die Beziehung zu ihrem Freund, Frust und Freizeitbeschäftigungen. Aber auch welche Erledigungen anstehen und wo Hilfe gebraucht wird. Größere Besorgungen und den Einkauf von Kleidung erledigt Tina gemeinsam mit ihrer Caritas-Betreuerin. Mit Unterstützung der Caritas brachte das Jahr 2013 die größten Veränderungen. Die Helfer vermittelten ihr den Arbeitsplatz, halfen bei der Wohnungssuche, brachten sie beim Fußballverein und bei den Ministranten unter. Die Olchingerin hat seither viel angepackt und gelernt, obwohl sie aufgrund einer Lernbehinderung auf Hilfe angewiesen bleibt. Den Journalisten verabschiedet die junge Frau mit einem Tipp. Sie sagt: "Schreiben Sie das, was am schönsten war."

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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