SZ-Adventskalender:Trotzdem leben

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Nach einem schweren Schicksalsschlag bestimmt nicht nur die Diabetes, sondern auch die Depression den Alltag von Charlotte Holzapfel

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Dieser eine Tag vor 18 Jahren hat für Charlotte Holzapfel alles verändert. Mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Kindern wollten sie einfach mal raus, gemeinsam Zeit an der Nordsee verbringen. So, wie sie es schon häufig gemacht haben, wenn die Verpflichtungen im Familienbetrieb und der hektische Alltag es zugelassen haben. "Sie sind vorausgefahren, ich wollte mit dem Hund nachkommen", sagt Holzapfel, die eigentlich anders heißt, ihren echten Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte. Die Frau, Mitte 50, schluckt schwer, hält inne, setzt dann wieder an: "Dann ist der Unfall passiert." Ihr Mann und die Kinder waren auf der Autobahn unterwegs, "in einem robusten Auto, aber gegen den Lkw hatten sie keine Chance". Ihr Mann, die beiden Kinder, vier und acht Jahre alt, waren sofort tot. Charlotte Holzapfel fiel in ein tiefes schwarzes Loch. Und dieser Fall dauert bis heute an.

Noch immer leidet sie unter wiederkehrenden und schwersten Depressionen und Ängsten, ihren Job kann sie schon lange nicht mehr ausüben. Mittlerweile bezieht Charlotte Holzapfel eine Erwerbsminderungsrente. Zum Überleben reicht das Geld gerade so. Neben den finanziellen Sorgen plagt sie gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit auch wieder eine schwere depressive Episode. Derzeit wartet sie auf die Aufnahme in eine stationäre Therapie, die ihr Werkzeuge an die Hand geben soll, besser mit dem großen Trauma in ihrem Leben umzugehen. Doch die Depression ist nicht die einzige gesundheitliche Einschränkung, mit der die Frau leben muss. Zusätzlich leidet Charlotte Holzapfel unter Diabetes und ist auf die regelmäßige Gabe von Insulin angewiesen.

Das Medikament muss gekühlt werden. Der 20 Jahre alte Kühlschrank der Frau ist allerdings nicht zuverlässig. Holzapfel sagt, eine Energieberaterin vom Sozialamt habe ihr erklärt, dass das Gerät Temperaturschwankungen aufweise. Auch der Stromverbrauch, und damit die laufenden Kosten, seien hoch. Der Adventskalender möchte Holzapfel nun bei der Anschaffung eines zuverlässigen und energiesparenden Kühlschranks unterstützen. Kaputt sind auch der Herd und die Waschmaschine der Frau. Lediglich eine der Kochplatten funktioniert noch. Darauf Essen zuzubereiten, kostet Charlotte Holzapfel Kraft und Nerven. Die Waschmaschine ist undicht. Auch hier möchte der Adventskalender bei der Finanzierung neuer Geräte helfen.

Die Anschaffung der beiden Geräte würde der leidgeplagten Landkreisbewohnerin viel bedeuten. "Es wären ein paar große Sorgen weniger", sagt die Frau. Auch ihre psychischen Probleme will sie jetzt mit der stationären Behandlung, vor allem durch Gesprächstherapie wieder besser in den Griff bekommen. Medikamentös behandeln lassen könne sie ihre Depression nicht. Denn ihr Blutzuckerspiegel sei trotz des Insulins extrem hohen Schwankungen unterworfen. Die Antidepressiva hätten eine dämpfende Wirkung, sagt Holzapfel. "Ich wäre dann nicht mehr sensibel genug um eine plötzliche Änderung im Blutzuckerspiegel schnell genug zu bemerken.

Schon einmal, vor einigen Jahren, als sie in einer Klinik war, ist ihr das passiert. Zu spät hatte sie bemerkt, dass sie stark unterzuckert war. "Ich kam nicht mehr aus dem Bett", sagt sie. In einer solchen Situation herrscht im Kopf der Frau Ausnahmezustand. "Es ist als würde mein Gehirn nicht mehr funktionieren. Ich bin dann nicht in der Lage, mich zu bewegen oder mich zu konzentrieren", sagt sie.

Mittlerweile weiß Charlotte Holzapfel gut, worauf sie bei ihrer Diabetes achten muss. Was ihr dann noch fehlen würde, wäre ein kleiner Nebenverdienst. "Ich habe erfahren, dass ich bis zu 200 Euro im Monat dazu verdienen darf", sagt sie. Sie sei zwar sehr stark eingeschränkt, körperliche Arbeit könne sie wegen ihrer Diabetes und der daraus resultierenden Langzeitschäden, den Sehbeschwerden und den Nervenschmerzen, nicht leisten. Aber vielleicht, so ihre Hoffnung, gibt es irgendwo in der Umgebung ein nachhaltiges, kleines Unternehmen das soziale Verantwortung übernimmt und sich vorstellen könnte, sie stundenweise zu beschäftigen. "Ich will etwas Sinnvolles tun", sagt sie. Die Arbeit wäre für sie, die schon so lange zurückgezogen und ohne großes soziales Netz lebt, wieder ein erster Schritt nach draußen. Was ihr passiert ist, wird sie immer begleiten, das weiß Charlotte Holzapfel. Jetzt will sie endlich lernen, trotzdem damit leben zu können.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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