SZ-Adventskalender:Das Leben allein meistern

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Julia Asal (links) und Michael Wittmann (zweiter von links) mit Alexander Huber und Gabi Abwander beim Kickerspielen in der Wohnung im Hausmeisterhaus. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Junge Leute wollen gerne selbständig sein. "Wohnen mit Perspektive" hilft Menschen mit Behinderung, das zu lernen.

Von Ingrid Hügenell

Julia Asal wollte, wie die meisten jungen Menschen, gerne selbständig sein. Die junge Frau ist allerdings geistig behindert, was den Schritt heraus aus dem Elternhaus für sie ungleich schwerer macht als für andere junge Leute. Doch im Landkreis Fürstenfeldbruck gibt es eine Einrichtung, die jungen Menschen mit Behinderung genau dabei hilft: Die gemeinnützige GmbH "Wohnen mit Perspektive" (WmP) unter dem Dach der Stiftung Kinderhilfe Fürstenfeldbruck. Die Stiftung setzt sich seit ihrer Gründung 1969 für Inklusion ein und meint damit die "Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesamten Lebensspektrum".

Für größere Einkäufe mit den Klienten, aber auch für Ausflüge und als Dienstwagen für die Betreuer, die bisher ihre privaten Pkw nutzen, wünscht sich die Einrichtung vom Adventskalender für gute Werke der S üddeutschen Zeitung Unterstützung beim Kauf eines Autos. "Wir würden dadurch erheblich an Flexibilität gewinnen", sagt Alexander Huber, Leiter von WmP.

Das Projekt "Wohnen mit Perspektive" unterhält vier Wohnanlagen für Menschen mit Behinderung in Fürstenfeldbruck und Olching, eine weitere speziell für Senioren und unterstützt zudem im ambulant begleiteten Wohnen junge Menschen mit Behinderung, die zwar eine eigene Wohnung haben, aber noch Hilfe benötigen. 78 Männer und Frauen leben in den Wohngruppen, zehn in eigenen Wohnungen, in denen sie aber weiter betreut werden. Die Bewohner arbeiten, sofern sie nicht schon in Rente sind, in Behindertenwerkstätten oder besuchen eine Förderstätte.

"Ich wollte ausziehen und habe gehört, dass es hier Zimmer gibt", erzählt Julia Asal. "Wow, das ist cool", habe sie gedacht, als es geklappt hatte und sie ins Hausmeisterhaus an der Lützowstraße von WmP einziehen konnte. Das Hausmeisterhaus heißt so, weil dort früher tatsächlich ein Hausmeister lebte. Es liegt neben der alten Offiziersvilla an der Lützowstraße, die das erste Gebäude war, in das 1984 Klienten von "Wohnen mit Perspektive" einzogen. Darum herum entstanden weitere Häuser, in denen Wohngruppen von jeweils etwa zehn Menschen untergebracht sind, die wie große Familien miteinander leben.

Das Hausmeisterhaus wurde renoviert, und Julia Asal kann in einer kleinen Wohngemeinschaft üben, wie man einen eigenen Haushalt führt. Eigentlich ist es eine Dreier- WG, im Moment ist der dritte Platz jedoch frei.

Beim Leben ohne ständige Betreuung bekommen die junge Frau und ihr 26 Jahre alter Mitbewohner und Freund Michael Wittmann weiter Unterstützung. Sie lernen, neben der Arbeit Waschen und Putzen, Einkaufen, Kochen und auch die sinnvolle Gestaltung der Freizeit auf die Reihe zu bekommen. Geübt wird auch der Start in den Tag: aufstehen, waschen, anziehen, frühstücken und rechtzeitig zur Arbeit aufbrechen. Julia Asal arbeitet in der Küche der Caritas-Werkstatt in Fürstenfeldbruck. Kochen mache ihr deshalb wenig Probleme, das Einkaufen schon eher, erzählt sie.

Sie hat Angst, an der Kasse festzustellen, dass sie zu wenig Geld dabei hat, denn das ist ihr schon mal passiert. "Aber du hast die Situation gut gemeistert", sagt Veronika Gebhart, die Sozialpädagogin, die die kleine WG betreut. Jetzt nimmt Asal vor allem Scheine statt Münzgeld mit zum Einkaufen, damit kann sie besser umgehen. Gebhardt und ihre Schützlinge besprechen, wer welche Ziele hat und wie man sie erreichen kann. Julia Asal etwa möchte sich gesünder ernähren, mit weniger Süßigkeiten. Besprochen werden auch Pläne für die Freizeit, wobei es auch darum geht, dass sich die jungen Leute nicht überfordern und auch mal Ruhephasen einplanen. Dann muss auch schon mal jemand ein Hobby aufgeben, weil es sonst zu viel würde. Julia Asal hat bisher mit viel Spaß im Inklusionschor Oh Happy Day der Caritas gesungen, wird das aber wohl aufhören und stattdessen wieder therapeutisches Reiten beginnen. Das mache ihr viel Spaß, helfe ihr aber auch, selbstbewusster zu werden und Verantwortung zu übernehmen, erklärt Huber. Dafür wünscht sich die junge Frau vom Adventskalender Reitstiefel und einen Helm. "Das kann gerne auch gebraucht sein", sagt sie. Die Stunden selbst kann sie von ihrem Taschengeld bezahlen.

"Es war schon eine Umstellung", sagt sie über die erste Zeit ohne ihre Eltern. "Ich habe mit einem Auge gelacht und mit einem geweint." Jetzt gehe es besser, sagt sie: "Ich würde nicht zurück wollen." Das steht auch nicht an. Vielmehr wird Julia Asal vermutlich in nicht allzu ferner Zukunft noch selbständiger leben können. Die Wohngemeinschaft im Hausmeisterhaus bietet zeitlich befristetes Wohntraining, zwei bis fünf Jahre können die jungen Leute dort leben. Julia Asal ist seit Juni 2017 dort, und ihre Betreuerin meint, dass sie vielleicht schon in eineinhalb Jahren bereit ist für den nächsten Schritt: In eine eigene Wohnung zu ziehen.

Wäscheklammern mit den Namen zeigen an, wer gerade welche Aufgabe in der Wohnung zu erfüllen hat. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Auch dafür gibt es bei Wohnen mit Perspektive Angebote. Die ersten drei Bewohner des Hausmeisterhauses lebten schon alleine, berichtet Huber. Ein junger Mann sei in eine inklusive Wohngemeinschaft mit zwei nicht behinderten jungen Männern gezogen. "Das ist eine schöne Sache, dass sich das so ergeben hat", sagt Huber. Zwei junge Frauen leben als WG in einer eigenen kleinen Wohnung und werden ambulant betreut. Schwierig ist es, Vermieter zu finden, die ihre Wohnung relativ günstig den Klienten von Wohnen mit Perspektive überlassen.

Im ambulant begleiteten Wohnen gibt es auch die Möglichkeit, ganz alleine zu leben. Das möchte Julia aber nicht. "Ich brauche eine Umarmung und jemanden zum Reden, wenn ich heimkomme", sagt sie. Beides bekommt sie von Veronika Gebhart ebenso wie von der pädagogischen Helferin Gabi Abwander, der "Ersatzmami" - und natürlich von Michael Wittmann, ihrem Mitbewohner und Freund.

Michael Wittmann ist ein sehr großer, ruhiger junger Mann, der erst nach einiger Zeit erzählt, dass er 2015 bei den Special Olympics in Los Angeles mit seinem nicht behinderten Bruder Thomas im Unified Doppel die Goldmedaille gewonnen hat - und im Einzel Silber holte. Auch bei den nationalen Spielen heuer in Kiel war er wieder erfolgreich.

Der Special-Olympiasieger arbeitet im normalen Leben bei einer heilpädagogischen Einrichtung in Unterschleißheim im Garten- und Landschaftsbau. An Arbeitstagen verlässt er um 6.30 Uhr das Haus. Anderthalb Stunden dauert sein Arbeitsweg mit Bus und S-Bahn - einfach. Es kommt ihm dabei zugute, dass er gerne Bus fährt und sehr gerne an der frischen Luft arbeitet. In seiner Freizeit macht Wittmann natürlich viel Sport, neben Tennis Schwimmen und Fitness, aber in der WG anpacken muss auch er. An der Küchentür hängt ein Plan mit täglichen und wöchentlichen Haushaltspflichten, Wäscheklammern mit den Namen der beiden zeigen, wer gerade das Bad putzen, die Treppe fegen oder sich um die Spülmaschine kümmern muss.

Die Wände zeigen auch, was die jungen Leute sonst gerne tun: Sie haben diverse Kinoprogramme aufgehängt, denn vor allem Michael geht gerne ins Kino. Julia malt sehr sorgfältig und in schönen Farben komplizierte Mandalas und Dschungelbilder aus Malbüchern für Erwachsene aus. Überhaupt ist die junge Frau sehr kreativ, sie hat auch ein vierteiliges Bild gestaltet, das einen Baum in den vier Jahreszeiten zeigt. Es hängt im Wohnzimmer der WG. Julia ist auch bekennender Helene-Fischer-Fan, wie ein großes Poster in ihrem Zimmer zeigt. Stolz zeigen sie eine Zeitung, die im Projekt entsteht und von den Bewohnern selbst mitgestaltet wird. Sie erscheint viermal pro Jahr und hat immer einen thematischen Schwerpunkt. In der aktuellen Ausgabe geht es um Mülltrennung.

Julia und Michael sind zufrieden in ihrer Wohnung im Hausmeisterhaus. Einen Weihnachtswunsch haben sie noch: Sie hätten gerne einen dritten Mitbewohner für ihre Wohngemeinschaft.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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