Bildung:"Du sitzt dann drei Monate da und lernst 5000 Powerpoint-Folien"

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Verzweifeltes Plädoyer: "Es lebe die Wissenschaft", ruft Schauspielerin Vanesa Duzel. (Foto: Katharina Holzhey)

Die Fürstenfeldbruckerin Katharina Holzhey hat einen Film über die steigende Belastung von Studierenden gedreht - und möchte damit zur Debatte über Sinn und Unsinn des bestehenden Systems anregen.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

"Ich habe zu viele Leute gesehen, die weinend aus dem Prüfungssaal gegangen sind", erzählt die 25-jährige Katharina Holzhey. Die gebürtige Fürstenfeldbruckerin studiert aktuell an der Universität in Tübingen Psychologie. Dort hat sie den Eindruck gewonnen, dass das Studium viele Studierende an ihre psychischen und physischen Grenzen bringt - und darüber hinaus. "Ich trage meine Aggression inzwischen eher nach außen als in mich selbst", sagt Holzhey. Deshalb hat sie nun mit Kommilitonen, allesamt Laien, einen Film über die Situation und die Belastung in ihrem Studium gedreht, um einen Einblick in den studentischen Alltag zu geben. "Fachbereich O" ist am Donnerstag, 30. November, und Sonntag, 3. Dezember, an der Neuen Bühne Bruck zu sehen.

Holzhey bringt dabei genug Erfahrung in allen nötigen Bereichen mit, um dem Film sowohl inhaltlich als auch handwerklich das nötige Fundament zu geben. Vor ihrem Umzug nach Tübingen hat sie in München ein Philosophiestudium abgeschlossen, wo sie bis heute gemeinsam mit einem ehemaligen Kommilitonen eine Lehrveranstaltung in Philosophie für Pädagogen pro Semester anbietet. Und auch Bühnen- und Filmerfahrung hat die 25-Jährige bereits reichlich gesammelt. Als Gründerin und Leiterin des Fürstenfeldbrucker Nachwuchsensembles Theater 4 hat sie mehrere gesellschaftskritische Stücke auf die Bühne gebracht. Für diese Arbeit hat das Ensemble 2021 den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung erhalten. Im selben Jahr ist zudem der erste Film der Gruppe, "Cement of the Universe", erschienen, der im Brucker Lichtspielhaus seine Premiere feiern durfte und der der Frage nachgeht, was junge Menschen anfällig für radikale Ideologien macht.

Angesichts des Prüfungsstoffs sind die Studierenden mit ihren Nerven am Ende. (Foto: Katharina Holzhey)

Nun also ein Film über die Belastung des durch den Bologna-Prozess deutlich verdichteten und verschulten Studiums. "Ich habe festgestellt, dass es vielen meiner Freunde und mir mit diesem Studium nicht gut geht. Da ist dieser Leistungsdruck, bei dem man das Gefühl bekommt, dass irgendwelche Leute, die nicht in der Lehre sind, sich einen Lehrplan ausdenken, der dann einen extrem hohen Workload hat", sagt Holzhey. Das führe dazu, dass man sich nicht mehr mit den relevanten Themen auseinandersetzen könne, sondern nur noch prüfungsspezifisch auswendig lernt. "Du sitzt dann drei Monate da und lernst 5000 Powerpoint-Folien, die Inhalte vermitteln, mit denen du dich nicht richtig beschäftigen kannst, weil du so viel reinlernen musst und dann kommen nochmal 1000 bis 2000 Buchseiten dazu, die du detailliert auswendig lernst. Und das meistens in den Semesterferien. Diese Aggression, die da mitschwingt, den Akt, den du dir selbst antust, das ist die Stimmung, die der Film schaffen soll." Etwa die Hälfte der Studierenden in ihrem Umfeld gingen wegen der Belastung durch die Universität zur Therapie. "Ich weiß natürlich nicht, ob das repräsentativ ist. Aber für mich ist damit ein Level erreicht, bei dem ich sagen muss, es ist nicht ok, so wie es läuft".

Für das inhaltliche Gerüst hat sich Holzhey bei Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" bedient. Dieses ergänzt sie mit eigenen Szenen. Auch Wedekinds Klassiker beschreibt das Leid junger Menschen, die am gesellschaftlichen Leistungsdruck zerbrechen. In "Fachbereich O" geht es um Moritz und seine Ängste davor, durch die Prüfungen zu fallen und dadurch sein weiteres Leben kaputtzumachen. Ob die Geschichte ebenso dramatisch endet wie bei Wedekind, verrät Holzhey vorab nicht.

Seltener Moment der Freude: Moritz (Bennet Weber) hat eine Prüfung bestanden. (Foto: Katharina Holzhey)

Gedreht hat sie den kompletten Film im psychologischen Institut in Tübingen. "Das war die Idee und Herausforderung, die ich mir gesetzt habe. Normalerweise will man, wenn man einen Film dreht, gigantische Bilder einfangen. Ich habe versucht, dieses Gefühl des Eingesperrtseins auch durch die Räumlichkeit mitzuerzählen." Um ihre Geschichte authentisch erzählen zu können, hat sich Holzhey 13 Psychologiestudierende als Ensemble gesucht, die meisten mit wenig bis keiner Schauspielerfahrung. Dabei sei es schon eine große Herausforderung gewesen - und das unterstreicht das, was der Film zeigen will - überhaupt Termine zu finden, an denen gemeinsam gedreht werden konnte. Und so haben sich die Dreharbeiten und die Produktion, die Holzhey allein gestemmt hat, über fast ein ganzes Jahr gezogen. "Oft hatte auch ich einfach keine Zeit, weil ich lernen musste, damit hat das alles länger gedauert als geplant".

Mit dem Film hofft sie nun, auch bei Menschen außerhalb der studentischen Blase ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen. "Viele Leute haben ja Kinder, die studieren, oder haben selbst studiert. Ich würde gerne zeigen, dass die Universität heute ganz andere Herausforderungen mit sich bringt als vor 40 Jahren. Damals war das Studium noch mit viel größeren Freiheiten verbunden. Ich hoffe mit dem Film ein Gespräch darüber anzustoßen, dass möglicherweise das System selbst blöd ist, das oft als alternativlos daher kommt, und nicht wir Studierenden selbst".

"Fachbereich O", Donnerstag, 30. November, und Sonntag, 3. Dezember, jeweils 20 Uhr, an der Neuen Bühne Bruck. Eintritt acht, ermäßigt fünf Euro. Reservierung unter theater4@gmx.de . Weitere Informationen unter www.Theater5.de .

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