Tassilo:Jugendbewegung auf der Bühne

Das junge Theater 4 inszeniert kluge politische Stücke und ist eine wichtige Stimme im Diskurs

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Junge Themen, aufgeschrieben und auf die Bühne gebracht von jungen Menschen, verständlich für jedermann - damit hat sich das Fürstenfeldbrucker Theater 4 in den vergangenen Jahren schnell einen Namen in der lokalen Szene erarbeitet. Für diese Arbeit ist das Theater 4 nun für den Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung nominiert.

"Nach dem letzten Stück hat mir jemand erzählt, dass bei ihnen in der Familie jetzt mehr über bestimmte Themen wie etwa Ernährung gestritten wird. Das ist doch das Höchste, was man als Theater erreichen kann", sagt die 22-jährige Regisseurin Katharina Holzhey. Oder einfach nur "die Kathi", wie sie alle, mit denen man aus dem Ensemble spricht, nennen. Das letzte Stück, das war "Sagen wir jetzt nichts", die einzige Inszenierung, die im Landkreis im vergangenen Juli in der kurzen Lockdown-Lockerungsphase zu sehen war. Geschrieben haben es Regisseurin und Ensemble gemeinsam. Klug und temporeich wird darin die Systemfrage gestellt, es wird über Klimaschutz, Arbeit, Ausbeutung und Ernährung diskutiert. Aber auch darüber, mit welchem Recht man als junger Mensch eigentlich die Gesellschaftsform der Elterngeneration hinterfragen darf, von der man selbst profitiert. Politisches Theater im besten Sinne, ohne der Verlockung zu erliegen, zur Propaganda zu werden.

Gegründet wurde das Theater 4 vor zwei Jahren, als junger Ableger des etablierten Brucker Theater 5, das im Jahr 2012 für seine Arbeit mit dem Tassilo-Preis ausgezeichnet worden ist. "Kathi hat ihr erstes Stück in der Schule gezeigt und ich habe mir gleich gedacht, Mensch, das wäre doch super, wenn sie Lust hat, bei uns etwas zu probieren. Als ich sie gefragt habe, hat sie mir gesagt, dass sie schon ein Stück hat, das sie gerne machen würde", erinnert sich Matthias Weber, Leiter des Theater 5. Schnell war die Idee geboren, dass Holzhey nicht nur einmal ein Stück inszeniert, sondern gleich ein ganzes Nachwuchstheater aufbaut. "Mir liegt der Nachwuchs sehr am Herzen und es toll zu sehen, was die da machen", sagt Weber.

Etwa die erste Inszenierung, die das Theater 4 im Jahr 2019 gezeigt hat, "Kokon". Sie erzählt die Geschichte eines Mädchens, das aus Angst davor, verletzt zu werden Kontakte kaum zulassen kann und versucht, sich Stück für Stück aus diesem Schutzpanzer zu befreien. Geschrieben hat das Stück Regisseurin Holzhey selbst. Warum das Theater 4 keine Fremdtexte inszeniert? "Ich würde mich nicht so richtig rantrauen einen Text zu interpretieren, der nicht meiner ist. Andererseits habe ich Stücke in der Schublade, die ich geschrieben habe. Wenn ich sie nicht inszeniere, dann macht es ja keiner. Es ist also einerseits Ehrfurcht und andererseits ein pragmatischer Umgang mit dem Eigenen", sagt Holzhey.

Klare Hierarchien gibt es im Theater 4 nicht, Holzhey lässt ihren Schauspielern viel Raum für eigene Ideen. Etwas, das Ensemblemitglied Tim Golling schätzt. Wir können viel selbst in unsere Rolle reinlegen. Sie so gestalten, wie wir sprechen würden, das ist sehr angenehm und macht das spielen leichter. Und ich glaube, die schöne Zeit, die wir gemeinsam haben, überträgt sich dann auch auf die Bühne."

Theaterleiter Matthias Weber mischt sich in den künstlerischen Prozess des Nachwuchsensembles nicht ein. "Das war sowohl der Wunsch des Ensembles als auch meiner. Ich weiß ja, dass sie keine Ideen haben, die nicht aufführbar sind. Wenn sie mich um Rat fragen, gebe ich natürlich meinen Senf dazu." Ab einem gewissen Zeitpunkt sitze er dann auch bei den Proben dabei und gebe aus seiner Erfahrung als "langjähriger, gelernter Laie", Hilfestellung. "Mit der Erfahrung sieht man vielleicht Dinge, die einem am Anfang nicht so auffallen. Aber wenn ich etwas sage, dann ist das kein Muss."

Da das Theater angesichts der aktuellen Pandemielage weder Proben kann noch eine Aussicht darauf hat, wann es wieder auf der Bühne stehen darf, arbeitet Holzhey aktuell mit dem Ensemble an einem Filmprojekt. Auch darin soll es wieder um ein hochaktuelles, politisches Thema gehen, das viele junge Menschen betrifft. "Die letzten Jahre meiner eigenen Schulzeit habe ich als orientierungslose Zeit erlebt, mit wenig Gefühlen von Halt und Sicherheit. Ich habe danach gesucht, wer ich bin. Ich glaube, dass diese Lebensphase die Gefahr birgt, sich in Sicherheit vorgaukelnden Ideologien zu verlieren", sagt Holzhey.

Dass das Theater 4 an eine Mischung aus emanzipativer Jugendbewegung und Fridays-For-Future-Aktivsten erinnert, ist kein Zufall. Mehre Mitglieder sind politisch engagiert. Die großen Unterschiede aber sind, dass das Ensemble nicht laut und kämpferisch voran prescht, sondern Diskursräume öffnet, die eigenen Positionen genauso kritisch hinterfragt, wie die Zustände, die ihnen missfallen. Es bietet keine scheinbar einfachen Lösungen, die Welt zu retten, sondern gibt zu, dass es ratlos ist und mehr Fragen hat als Antworten. Das Theater ist wie eine Brücke über die gesellschaftlichen Gräben, die in den letzten Jahren entstanden sind und die heute weiter voneinander entfernt scheinen als je zuvor.

Wer selbst einen Kandidaten für den Tassilo Preis vorschlagen möchte, kann dies bis zum 30. April per Mail an tassilo@sz.de tun.

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