Mitten in Maisach:Im Angesicht des Wattestäbchens

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"Drum prüfe, wer sich ewig bindet" - geht es darum im Maisacher Rathaus? (Foto: Günther Reger)

Im Maisacher Rathaus stehen Brautpaare unverhofft an einer geheimnisvollen Weggabelung.

Kolumne von Stefan Salger, Maisach

Die Welt scheint zunehmend aus den Fugen zu geraten, Zentrifugalkräfte lassen Ost und West auseinanderdriften. Kein schönes Thema, deshalb wollen wir die Gedanken zumindest für ein paar Augenblicke schweifen lassen und uns ganz bewusst der menschlichen Anziehungskraft widmen. Blicken wir zurück aufs Jahr 1799. Da nimmt die Französische Revolution ihr Ende und die Hoffnung auf Frieden ist groß. Vor allem aber ersinnt Friedrich Schiller "Das Lied von der Glocke". Dort findet sich die Analogie vom Gießen der Glocke und dem besagten Zwischenmenschlichen. Der Bogen wird gespannt von der Hochzeitsglocke zum Ja-Wort. Bei aller Romantik mahnt Schiller freilich, einen kühlen Kopf zu bewahren: "Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang". Devise: Zusammenrücken ist ja schön und gut. Aber das will bedacht sein - also bitte prüfen!

In Maisach hat man den Rat beherzigt. Die Gemeinde denkt voraus und bewahrt ihre Bürger vor Kurzschlusshandlungen. Wir begeben uns auf Spurensuche zum neuen Gemeindebau schräg gegenüber dem Rathaus und stehen damit an dieser Weggabelung. Links geht's zur "Trauung", wie dem Schild zu entnehmen ist. Aber zunächst wird einem offenbar der rechte Pfad ans Herz gelegt, um auf Nummer sicher zu gehen. Auf dem Wegweiser steht in schönster Prosa "Test". Das muss nun wirklich jede Gefühlswallung im Keim ersticken. Werden hier Liebespaare auf die Probe gestellt? Müssen sie alberne Übungen absolvieren, wie man sie von feuchtfröhlichen Hochzeitsfeiern kennt? Müssen beide lustige Quizfragen beantworten, um zu beweisen, dass sie sich schon gut genug kennen? Vor allem aber: Kann man bei diesem Test durchfallen wie in der theoretischen Multiple-Choice-Fahrschulprüfung? Schweren Herzens geht es also weiter.

Nie dürften Liebespaare erleichterter über ein "negatives" Ergebnis sein und darüber, auf eine vermummte Mitarbeiterin des Schnelltestzentrums getroffen zu sein, als dort in Maisach. Und so wird an der rechten Abzweigung letztlich nur der Weg nach links ins gemeinsame Glück geebnet. Ganz ohne Reue. Und auch nur, wenn es im Angesicht des Wattestäbchens heißt: Ja, ich will.

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