Verkehrsgeschichte:Mit Dampf und Müll in die Moderne

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Zu einem Bahnhof gehört ein Lokal: Die "Flugstation Puchheim" um 1910 auf einer Ansichtskarte. (Foto: Archiv d' Buachhamer)

Puchheim feiert 125 Jahre Bahnstation. Die Eisenbahn hat auch mit den Abfallzügen aus München zur Entwicklung der Kommune beigetragen.

Von Peter Bierl, Puchheim

Die Moderne beginnt in Puchheim mit der Eisenbahn. Seit 1873 fuhren Dampflokomotiven und ihre Waggons durch das Moor im Westen des Altdorfes, dessen Bewohner aber jahrelang bloß hinterherschauen konnten. Puchheim erhielt erst 1896 eine Haltestelle, die zwei Jahre später zur Station aufgewertet wurde, samt Bahnhofsgebäude. Dieses Haus steht schon lange nicht mehr, aber die Stadt Puchheim feiert in diesem Jahr 125 Jahre Bahnstation mit einer Gala und einer Ausstellung im Kulturzentrum Puc, die die Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs und des Vereins d'Buachhamer erstellt haben.

Puchheim war jahrhundertelang ein bescheidenes Dorf an der wichtigen Straße von München nach Augsburg gewesen, stabil mit etwa 35 Anwesen. Im April 1869 beschloss die bayerische Abgeordnetenkammer ein Gesetz, das 22 neue Bahnlinien festlegte, um das Netz im Königreich auszubauen - aus wirtschaftlichen und militärischen Gründen. Darunter war eine Strecke über Buchloe und Memmingen bis zur württembergischen Grenze, um die Strecke zum Bodensee abzukürzen, der damals bloß über Augsburg mit der Bahn erreichbar war. Diese Trasse galt mit einer Summe von 13 Millionen Gulden als das teuerste Projekt des Gesamtpakets. Als der Bau im selben Jahr begann, hatte Puchheim ungefähr 300 Einwohner.

Wenig Brücken und kaum Steigungen

Die Strecke sollte aus Kostengründen möglichst schnurgerade verlaufen, die Nähe zu Ortschaften war zweitrangig, große Steigungen sollten vermieden und möglichst wenige Brücken und Dämmen gebaut werden. Bei Fürstenfeldbruck musste allerdings die Amper überquert und der Engelsberg angeschnitten werden, immerhin 36 Meter hoch. An Bahnstationen im Landkreis waren bloß Fürstenfeldbruck, Grafrath und Türkenfeld vorgesehen. In Grafrath rechnete man mit einem hohen Fahrgastaufkommen, wegen der Wallfahrt zur Rassokirche und Reisenden zum Ammersee, die von dort mit dem Dampfer fuhren. In Aubing sahen die Planer eigene Magazine für Torf vor, der in der Umgebung gestochen wurde. Puchheim blieb wie Alling und Emmering ausgespart.

Während die Bahnarbeiter noch die Gleise verlegten, ließen sich in Puchheim die ersten Siedler im Moos nieder, dazu kamen Torfstecher. 1873 war die Strecke fertig, aber erst mit der Einführung der Vorortzüge zwischen München und Buchloe wurde Puchheim zum 1. Mai 1896 Haltestelle. Die Aufwertung zur Bahnstation für Vorortzüge und Personenzüge erfolgte zum 1. Juli 1898. Nach dem Bau des Bahnhofsgebäudes 1899 wurde Puchheim zur vollen Station mit Frachtverkehr und Ganzbetrieb zum 1. Mai 1900 erhoben. Dazu kam noch eine Bahnhofsrestauration für Fahrgäste und Einheimische, in der manches Fest gefeiert wurde.

Von München aus kamen Güterzüge mit den sogenannten Harritsch-Karren zur Puchheimer Hausmullfabrik. In den Karren befand sich der Hausmüll aus München, der in Puchheim angeliefert, sortiert und weiterverarbeitet wurde. (Foto: Stadtarchiv Puchheim)

Zum Hintergrund gehörte, dass die Landeshauptstadt München ein ambitioniertes Großprojekt für die Abfallbeseitigung verwirklichte. Am Puchheimer Bahnhof wurde fortan Münchner Müll ausgeladen, der in der Stadt mit sogenannten Harritschwagen eingesammelt wurde. Vier Harritschen passten damals auf einen Waggon. In Puchheim wurde der Abfall sortiert, teilweise recycelt und der Rest auf die Feldbahn umgeladen und südlich der Gleise deponiert. Jede halbe Stunde fuhr ein Müllzug, eine Schmalspurbahn mit vielen Loren, mit Getöse hinaus in die Planie, wo ein großes Gelände vier bis sechs Meter hoch aufgefüllt wurde. Die Müllmenge, die von München angeliefert wurde, wuchs schnell und gewaltig. Bereits 1898 handelte es sich um 60.000 Kubikmeter, vor dem Zweiten Weltkrieg (1938) waren es schon 347.000 Kubikmeter. Für die Anlieferung waren 1930 mehr als 28.000 Eisenbahnwaggons nötig. Im Sommer trafen pro Tag zwei, im Winter drei Züge an, insgesamt wurden 1930 in Puchheim 698 Abfallzüge abgefertigt.

Eine Ansichtskarte zeigt das Flugfeld von Puchheim und die Bahnstation. Zehntausende Besucher kamen zu den Flugvorführungen - hauptsächlich mit der Bahn. (Foto: Stadtarchiv Puchheim)

1910 erlebte der Personenverkehr einen Boom, als das Flugfeld nördlich der Gleise eröffnet wurde. Die Flugschauen dort erwiesen sich als Publikumsmagneten, die an Wochenenden Zehntausende Besuchern anlockten. Am 23. November 1913 wurden etwa 50.000 Personen mit 94 Zügen nach Puchheim und wieder zurückbefördert. Die Bahn setzte mittags und abends beinahe im Zehn-Minuten-Takt Sonderzüge ein und griff auf die Gleisanlagen der Hausmullfabrik zurück, um dort Züge abzustellen.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges endete diese Epoche, die nächsten Jahre wurden Tausende russische und französische Kriegsgefangene mit der Bahn nach Puchheim transportiert. Die ersten 700 französischen Soldaten kamen im Oktober 1914 an. Das Flugfeld wurde zu einem großen Lager.

Die Kriegsgefangenen werden um das Jahr 1915 auf dieser Propaganda-Postkarte dargestellt (Foto: Stadtarchiv Puchheim)

Die Hausmullfabrik, das Flugfeld und das Kriegsgefangenenlager waren die drei Faktoren, die das Wachstum des neuen Ortsteils Puchheim-Bahnhof auslösten. Um 1900 lebten im Umfeld der Hausmullfabrik und des Bahnhofs 168 Einwohner in 17 Häusern. Beiderseits der Bahn wuchs die Siedlung bis 1935 auf rund 1.200 Einwohner heran. Während des Zweiten Weltkrieges entstanden Notunterkünfte für ausgebombte und nach Evakuierungen in Sicherheit gebrachte Menschen.

1946 hatte sich die Einwohnerzahl bereits auf mehr als 2.400 Personen verdoppelt und stieg bis 1960 langsam auf rund 3.500 Bewohner. Ende der Sechzigerjahre folgte ein regelrechter Boom, in dessen Zusammenhang auch das Planieviertel entstand. Der Betrieb der Hausmullfabrik und der Deponie war bereits 1949 eingestellt worden.

Bei einer Kundgebung zum 1. Mai, aufgenommen zwischen 1939 und 1942, ist die Bahnhofsrestaurant zu sehen und im Hintergrund die Kegelbahn. (Foto: Stadtarchiv Puchheim)

Allmählich bürgerte sich für die Siedlung beiderseits der Gleise die Bezeichnung "Puchheim-Bahnhof" ein. 1952 wurde der Name erstmals in das amtliche Ortsverzeichnis von Bayern aufgenommen. Aus Anlass einer Neuauflage des Verzeichnisses beschloss der Gemeinderat Puchheim am 1. April 1958 einstimmig, "die Bezeichnung des Gemeindeteils Puchheim-Bahnhof wie bisher weiterhin beizubehalten".

Ludwig Hoiß ist der Fotograf dieser Aufnahme des Bahnhofs Puchheim. Das Foto stammt aus dem Archiv der Buachhamer. (Foto: Archiv d'Buachhamer)

Für den nächsten Meilenstein in der Geschichte der Bahnstation und der Kommune sorgten die Olympischen Spiele in München. Sie bescherten den Puchheimern 1972 die S-Bahn und dadurch eine wesentlich bessere Anbindung nach München. Allerdings wurde das alte Bahnhofsgebäude 1971 abgerissen und durch einen ziemlich nüchternen Zweckbau ersetzt, der noch heute steht. Die Gleise für den Güterverkehr sind längst verschwunden.

Das Foto des Bahnübergang an der Allinger Straße macht 1980 das Verkehrsaufkommen in Puchheim deutlich. (Foto: Stadtarchiv Puchheim)

Dass die Bundesrepublik auf Kosten des Schienenverkehrs zum Autoland geworden war, spürten die Puchheimer an länger werdenden Fahrzeugschlangen, die sich an den Bahnschranken mitten im Ort stauten. Der Übergang wurde im Frühjahr 1984 geschlossen, seitdem gibt es eine dort Fußgängerunterführung. Autofahrer müssen die Umgehungsstraße für den Weg zwischen dem Norden und Süden der Stadt nutzen.

Nach dem Bau des neuen Bahnhofsgebäudes wird das alte abgerissen. (Foto: Stadtarchiv Puchheim)

Ein anderes Ärgernis ist geblieben: Der Puchheimer Bahnhof ist bis heute nicht barrierefrei. Der Mittelbahnsteig hat keinen Lift und nicht einmal vernünftige Rampen. Wann und wie sich das ändern soll, ist völlig unklar, weil sich der viergleisige Ausbau der Bahnlinie immer weiter verzögert - die Eröffnung hatte der damalige bayerische Verkehrsminister Otto Wiesheu (CSU) einst für 2009 angekündigt -, und über Provisorien und Varianten der Barrierefreiheit gestritten wird. Aber wenn Senioren- und Behindertenbeirat weiter engagiert dafür kämpfen, könnte es bis zum nächsten Jubiläum noch was werden.

Die S-Bahnlinie S 4 hält in Puchheim. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Ausstellung "125 Jahre Bahnhof Puchheim" ist im Kulturzentrum Puc, Oskar-Maria-Graf-Straße 2, vom 17. Mai bis 9. Juni zu sehen, am Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 8 bis 12 Uhr, am Dienstag von 14 bis 16 Uhr sowie Donnerstag, Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 14 bis 18 Uhr.

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