Für die demente Mutter keinen Pflegeplatz gefunden:"Man fühlt sich im Stich gelassen"

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Die Geste wirkt, als wolle die Mutter ihren unbedingten Durchhaltewillen bekräftigen. Letztlich ermöglicht es ihr die Tochter auch, bis zuletzt zu Hause zu bleiben. (Foto: Gerhardt/privat)

80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut. Eine Frau berichtet, was das bedeutet.

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

In der Pflege zu arbeiten, ist kräftezehrend. Es bedeutet Schichtbetrieb. Für Sabine Gerhardt freilich waren diese Schichten nicht nach acht oder neun Stunden zu Ende. Weil sie für ihre Mutter vergeblich einen geeigneten Pflegeplatz zumindest für ein paar Tage oder Wochen gesucht hatte, kümmerte sie sich bis zuletzt beinahe rund um die Uhr zu Hause um die Seniorin - und erzog "nebenher" ja auch noch ihre heute 14 Jahre alte Tochter. Für sie war es zwar selbstverständlich, die Mutter nicht im Stich zu lassen.

Aber auch ein halbes Jahr nach dem Tod der 79-Jährigen im Juli ist der 54 Jahre alten Frau aus Fürstenfeldbruck anzumerken, was sie dafür Tag für Tag und ohne Urlaub leisten musste. Es ist ein Schicksal, das vor allem viele Frauen teilen. Etwa 80 Prozent der pflegebedürftigen Senioren werden zu Hause von ihren Familien gepflegt. Gerhardt hätte sich eine bessere finanzielle Unterstützung gewünscht sowie zumindest befristete Angebote - und eine Wertschätzung der Gesellschaft für die Pflegearbeit von Angehörigen.

Der Vater stirbt 2016 an Krebs, nachdem sich seine Frau und seine Tochter zuvor um ihn gekümmert haben. Wegen des starken Tremors konnte er nicht mehr selbständig essen. 2019 ist dann auch die zunehmend unter Demenz leidenden Mutter auf Hilfe angewiesen. Die alleinerziehende Tochter arbeitet damals noch halbtags. Mittags kommt Essen auf Rädern, abends übernimmt sie. Ins Pflegeheim will die Mutter nicht.

Als die Pandemie den Landkreis erreicht und die Lockdowns den Alltag zunehmend behindern, holt die Tochter ihre Mutter zu sich in die Zweizimmerwohnung. Einmal am Tag schaut ein Pflegedienst fürs Duschen vorbei. Es ist eine schwierige Zeit. Erst fünf Monate bevor die Mutter stirbt, wird ihr Pflegestufe fünf zugestanden, was wichtig für die finanzielle Unterstützung ist. Aber auch mit den 900 Euro kommt man nicht weit. Essen, Windeln und vieles mehr kosten viel Geld. Von der Pflegearbeit rund um die Uhr ganz zu schweigen. Auch Mutter und Kind müssen ja über die Runden kommen. Für einen entsprechenden Platz würde ein Pflegeheim wegen der hohen Personalkosten um die 4000 Euro berechnen.

Es gibt keine Verpflichtung zur Pflege der Angehörigen um jeden Preis: Als die Tochter am Ende ist, weist ein Arzt die Mutter ins Klinikum ein. (Foto: Leonhard Simon)

Irgendwann geht Gerhardt die Kraft aus. 2020 sucht sie erstmals für die Zeit einer sechswöchigen Reha einen Pflegeheimplatz für die Mutter. Aber in den Heimen, in denen sie anfragt, wird ihr schnell deutlich gemacht, dass sie "null Chance" hat. Denn Pflegestufe fünf bedeutet auch sehr viel Arbeit. Und in den Heimen fehlt es an Fachkräften für diese Arbeit. In Fürstenfeldbruck, in Eichenau und bis nach Augsburg versucht sie es. Vergeblich. Deprimierend. "Man fühlt sich im Stich gelassen" - auch von der Rentenkasse und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Aus der Reha wird also auch erstmal nichts.

Im Sommer ist Sabine Gerhardt völlig ausgelaugt. "Ich konnte einfach nicht mehr", sagt sie. Der ganze Druck hat ihr spürbar zugesetzt. Sie braucht zumindest mal eine Woche Auszeit. Doch wieder ist kein Kurzzeitpflegeplatz zu finden. Ihr sei ziemlich unverblümt klargemacht worden: "Nur wenn ich sterbe, bekommt meine Mutter einen Platz." Sie ist fassungslos, als sie das hört. Ein Arzt widerspricht dann aber dieser Darstellung - und weist die Mutter kurzerhand ins Krankenhaus ein. Es gebe keine Verpflichtung zur Pflege um jeden Preis und zulasten der eigenen psychischen wie physischen Gesundheit. Das habe auch eine Ärztin bei der Aufnahme im Krankenhaus bestätigt. Erstmals seit Jahren hat Gerhardt ein paar Tage frei, kann aus dem Haus gehen, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass in der Zeit etwas passiert.

Die Frage nach der Menschlichkeit

In all den Monaten und Jahren, in denen sie sich um ihre Eltern gekümmert hat, wurde für sie immer deutlicher, dass im Pflegesystem "die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt". Sicher, sie selbst sei da "hineingewachsen", habe sich ja auch gerne um die eigene Mutter gekümmert und sie nicht einfach "ins Heim abschieben" wollen. Vor allem wurde sie unterstützt von Tochter und Freunden, wenn sie mal Einkaufen war. Ein Nachbar half sogar die letzten Monate jeden Abend, die Mutter vom Toiletten-Stuhl ins Bett zu heben. Viele Angehörige und auch Fachkräfte aber arbeiteten sich auf und kämen an ihre Grenze - während die Pflege für andere nicht mehr als ein lohnendes Geschäftsmodell sei. Mit den Alten sei es ähnlich wie mit den Kindern, sagt Sabine Gerhardt: "Die Schwächsten fallen hinten runter".

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Viele Heime können keine Senioren mehr aufnehmen, obwohl sie freie Zimmer haben. Denn es fehlt an Fachpersonal. Das liegt nicht nur an der Bezahlung.

Von Stefan Salger

In große Not gerät vor gut einem Jahr auch eine Frau aus Maisach. In der Wohnung ihres pflegebedürftigen Vaters gibt es kurz vor den Weihnachtsfeiertagen einen Wasserschaden. Nun muss alles sehr schnell gehen. Oder besser: müsste. Denn letztlich dauert es einen Monat, bis der 85-Jährige umziehen kann. Freie Kurzzeitplätze findet die Tochter gar nicht, weder im Landkreis noch im Münchner Westen. Unbefristete Pflegeplätze zu finden, erweist sich gleichfalls als schwierig. In Olching, Puchheim und Germering gibt es Absagen. Teils gäbe es freie Zimmer. Die aber könnten wegen fehlenden Personals nicht belegt werden, heißt es. In einem weiteren Germeringer Pflegeheim wird die Tochter schließlich doch noch fündig. "Ich hatte Glück", sagt sie.

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