Bürgermeister Erwin Fraunhofer, 55, ist nicht recht überzeugt von der Idee, das Archiv der Gemeinde Jesenwang herzuzeigen. Da gebe es nichts zu sehen, sagt er, und was es zu sehen gebe, sei in Schränken unter verstaubten Planen verstaut. Dann willigt er doch ein in einen Besuch im Rathaus der Gemeinde, das gerade umgebaut wird, und schließlich sagt er: "Das passt ja eigentlich sehr gut zu unserem Jubiläumsjahr." Als "Oasinwanc" wurde der Ort erstmals im Jahr 773 urkundlich erwähnt. Heuer wird deshalb das 1250-jährige Bestehen gefeiert. Der Beginn war das Neujahrsschießen am 1. Januar, als von 14 Uhr an die Böller krachten.
Das Archiv ist tatsächlich schwer zugänglich, ein Teil der Akten ist auf den Dachboden des Rathauses ausgelagert, eben in die Schränke unter den Planen. Bis Mitte Dezember wurde das Gebäude an der Kirchstraße 12 umgebaut. Am 21. Dezember fand die erste Gemeinderatssitzung im neuen Sitzungssaal statt, von 10. Januar an fungiert das Rathaus wieder als Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger. Die meiste Verwaltungsarbeit wird freilich in Mammendorf erledigt, Jesenwang gehört wie sieben weitere Gemeinden zur dortigen Verwaltungsgemeinschaft. Dort lagern auch die meisten der Akten, die noch im Gebrauch sind, wie Fraunhofer erklärt.
Auf dem Dachboden, in einem separaten, abgesperrten Raum, findet sich dann doch einiges, was ziemlich spannend ist. Um hineinzugelangen, muss der Bürgermeister den Bauhofleiter Josef Hörhager herbeirufen. Denn das Schloss zu dem Raum wurde kürzlich ausgewechselt, Fraunhofer hat den neuen Schlüssel noch nicht. Das Archiv rangiert offenkundig auf der Prioritätenliste des vielbeschäftigten ehrenamtlichen Bürgermeisters gerade ziemlich weit unten.
Noch im Januar wird sich das ändern, wenn ein ehrenamtlicher Archivar tätig wird: Dominik Kaiser, den die Jesenwanger von der Theaterbühne kennen, wo er im aktuellen Stück den Bürgermeister Franz-Josef Dimplmayr spielt. Der Journalist und Ägyptologe soll alles sichten und sich in Absprache mit Fraunhofer und dem Kreisarchivar Stefan Pfannes um Akten, Unterlagen, Tafeln und weitere Gegenstände kümmern, etwa um eine geschnitzte Herz-Jesu-Figur, von der Fraunhofer weiß, dass sie früher in einem Klassenzimmer hing. Pfannes wisse auch, was man aufheben müsse und wegwerfen könne, sagt Fraunhofer.
Eigentlich ist er schon wieder auf dem Sprung, er hat einen Termin in Mammendorf. Die Dachbodenfunde interessieren ihn dann aber doch. Es handelt sich vor allem um einige große Tafeln in schweren, teils verzierten Holzrahmen, die Hörhager, der auch dem Gemeinderat angehört, nach und nach hervorzieht. Beide erinnern sich daran, dass mindestens eine der Tafeln früher im Gasthof zur Post hing. Zwei Tafeln zeigen Fotos der jungen Männer aus Jesenwang, die in den beiden Weltkriegen ihr Leben ließen. Eine weitere Tafel des Veteranen- und Kriegervereins listet die Teilnehmer am Ersten Weltkrieg auf und die Schlachten, an denen sie "ruhmreich" beteiligt waren.
Eine weitere aus dem Jahr 1962 ist eine fast komplette Chronik von Jesenwang samt den ersten Anfängen in der Frühgeschichte. Je näher die Zeit vor 61 Jahren rückt, in der sie aufgezeichnet wurde, umso sparsamer wird der Text. Die Zeit des Nationalsozialismus wird überhaupt nicht erwähnt, nur, dass Jesenwang sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem "gewerbereichen Ort" entwickelt habe. An den Seiten sind die wichtigsten Anwesen samt ihrem Gründungsdatum aufgeführt.
Die Gegend, in der der heutige Ort liegt, war schon in der mittleren Steinzeit besiedelt, die vor etwa 10 000 Jahren begann. Auch aus der Jungsteinzeit, aus der Hallstattzeit und der späten Eisenzeit gibt es Funde, allerdings nicht im Archiv. Heute ist Jesenwang eine selbständige, aber ziemlich kleine Gemeinde mit etwa 1650 Einwohnern.
Wo die Tafeln ihren Platz finden werden, wird der neue Archivar Kaiser mit Kreisarchivar Pfannes und dem Bürgermeister entscheiden. Dass man sie nicht unkommentiert einfach aufhängen kann, ist dem Bürgermeister klar. Die Akten wandern nach einer Sichtung vom Dachboden in ordentliche Schränke ins Archiv. Im Erdgeschoss des Rathauses ist ein Raum mit einer Lüftungsanlage dafür eingerichtet worden. Er diente früher als Wohnung für die Lehrer der Volksschule Jesenwang.
Das große Zimmer daneben, den neuen Sitzungssaal für den Gemeinderat, kennt Fraunhofer gut: Er ist dort einige Jahre unterrichtet worden. "Und nun sitze ich da vorne auf der Bürgermeisterbank", sinniert er. Das Haus an der Kirchstraße 12 hat einige Nutzungsänderungen hinter sich. Erbaut wurde es als Schulhaus in den Jahren 1906/07, als Georg Schellmann Bürgermeister war, und diesen Zweck erfüllte es auch lange. Fraunhofer ist dort 1973 eingeschult worden.
Dann wurde die Grundschule neu gebaut, in die alte Schule zogen ein Kindergarten ins Obergeschoss und das Rathaus sowie eine Wohnung ins Erdgeschoß. Doch es gab nur einen Raum für die Gemeinde, keinen separaten Besprechungsraum, und barrierefrei war das Ganze auch nicht. Kindergarten und Krippe sind seit 2018 in einem eigenen Haus untergebracht, so wurde der jetzige Umbau möglich.
Im ersten Stock sind dabei zwei Wohnungen entstanden. Und unterm Dach bekommen die Vereine des Dorfs Platz für die Unterlagen, "die jetzt bei den Vorständen im Keller sind", wie Fraunhofer sagt.
Erhalten geblieben ist beim Umbau die alte Treppe und im neuen Foyer der Kamin, als Schmuck. Einen Schmuck hat auch der neue Sitzungssaal erhalten: Das Jesenwanger Wappen mit dem goldenen Mond mit Gesicht, gekreuztem Schwert und Willibaldstab auf rotem Grund wurde auf eine der Wände gemalt. Das Wappen erinnert an den Bischof Willibald und daran, dass das Kloster Fürstenfeld Jesenwangs Grundherrschaft war. Es ist nicht ganz so alt wie die Gemeinde selbst - erst seit 1972 wird es geführt.