Fürstenfeldbruck:Überzeugungsarbeit mit Müsliriegel und Bioapfel

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Den Fuß in der Tür: Andreas Lohde kümmert sich darum, dass den Pendlern die S-Bahn nicht vor der Nase wegfährt. Bei der Gelegenheit gibt's Müsliriegel und Flyer. (Foto: Stefan Salger)

Endspurt für die beiden Oberbürgermeisterkandidaten, die auf Bahnsteig und Grünem Markt Wählerinnen und Wählern ganz handfeste Argumente mit auf den Weg geben.

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Es ist kurz vor sieben Uhr. Über den Geschwister-Scholl-Platz hasten am Donnerstagmorgen ein paar Menschen Richtung S-Bahn, ihre Atemluft kondensiert zu kleinen weißen Wolken. Neben dem AEZ sitzt ein Mann mit einem runden Bambushut und bearbeitet die Saiten seiner Gitarre. Null Grad. Leben am Gefrierpunkt. An Gleis drei aber ist Andreas Lohde längst auf Betriebstemperatur. Seit fast einer Stunde steht der 50-Jährige am Bahnsteig, warm eingepackt, mit grauem Wollschal, und stellt sich den Pendlern vor, die mit der S-Bahn Richtung München fahren wollen: als Kandidat der CSU, der am Sonntag bei der Stichwahl zum neuen Oberbürgermeister gewählt werden will. Manche meinen ja, dass Politiker nur in der warmen Stube sitzen und über die Köpfe der Menschen hinweg Entscheidungen treffen. Aber zur Politik, und gerade zur Lokalpolitik, gehört auch diese Seite, die man sich erarbeiten muss. Für die man auch unter dem Mantel noch ein richtig dickes Fell braucht. Die Ochsentour. Klinkenputzen. Oder am Bahnsteig stehen, wo man schon mal links liegen gelassen und mit Verachtung gestraft oder schräg angesehen wird. Unkalkulierbares Abenteuer mit einer Mission: "Guten Morgen, darf ich Ihnen eine Erinnerung an die Stichwahl mitgeben?"

Voller Einsatz an Gleis drei (von links): Andreas Lohde mit den CSU-Stadtratskollegen Hans Schilling und Jeanne-Marie Sindani. (Foto: Stefan Salger)

Wohltuend, dass sich manche Passanten nicht nur CSU-Flyer und Müsliriegel mit auf den Weg in Schule, Uni oder Arbeit geben lassen, sondern, sofern die nächste S-Bahn erst in ein paar Minuten kommt, sich Zeit nehmen für ein kurzes Gespräch. Da ist die Frau, die stehen bleibt und fast schon ihr Herz ausschüttet. Sie hadert nicht mit Lohde, sondern mit der ganzen Demokratie. Zu kurzatmiges Denken in Wahlperioden! Ist so was nicht ein Auslaufmodell? Aber was wäre denn die Alternative, fragt Lohde, als die Frau schon in die S-Bahn gestiegen ist. Rhetorische Frage. Theoretische Frage. Irgendwie originell, dass der Chef des CSU-Ortsverbands gerade ganz praxisnah den Kontakt zu möglichen Wählern sucht und die Theorie an diesem kühlen Tag erst um fünf nach acht im Unterricht abhandeln wollte: erste Schulstunde in der Fach- und Berufsoberschule - Religionsunterricht. Es wird um Anthropologie gehen. Was macht den Menschen aus? Eine elementare Frage. Nicht nur für Lehrer. Auch für Politiker. Lohde lacht.

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Er wirkt überraschend entspannt angesichts eines durchaus kräftezehrenden Wahlkampfprogramms. Seine Stadtratskollegin Jeanne-Marie Sindani und Stadtrat Hans Schilling unterstützen ihn beim Einsatz am S-Bahnhof Buchenau. Lohde weiß ihr Engagement zu schätzen, zumal seine Unterstützer wegen des von den Stadtratswahlen getrennten Termins selbst gar nicht profitieren können und entsprechenden Idealismus mitbringen müssen.

Im Westen ist die Beteiligung niedrig gewesen

Schilling blättert im Geiste den Terminkalender durch. Heute wird die CSU noch auf dem Grünen Markt vertreten sein, dann vor der Sparkasse, am Freitag vor dem AEZ, am Samstag auf dem Bauernmarkt. Und am Sonntag Wahlparty im Rathaus, dann sind die Würfel gefallen und es muss sich zeigen, was man noch bewirkt hat. Die Wahl könnte knapp werden, deshalb sollen vor allem die Bürgerinnen und Bürger motiviert werden, die vor zwei Wochen gar nicht erst zur Wahl gegangen sind. Im Brucker Westen lag die Wahlbeteiligung besonders niedrig. "Keine Zeit", sagt ein junger Mann und läuft eilig weiter. "Ich habe schon gewählt", wiegelt eine Frau kurz und knapp ab. "Meine Stimme hast du schon", sagt ein anderer.

Der Müsliriegel ist ein gutes Argument, wie man die Leute in ihrem Trott kurz bis zum Stillstand abbremsen kann. Das Kärtchen, auf dem Unterstützer den CSU-Kandidaten empfehlen, gibt's dann dazu im Doppelpack. Man trifft auch Bekannte. "Hallo Andreas", sagt eine Frau, "viel Glück am Sonntag." Richtig dankbar sind die Menschen, wenn sie Politiker als Türöffner wahrnehmen. Ganz im Wortsinn: Punkte sammelt Lohde, wenn er den linken Fuß im braunen Lederschuh noch schnell in die S-Bahntür stellt, so dass Leuten, die auf den letzten Drücker heraneilen, der Zug nicht vor der Nase wegfährt. Für ein Gespräch bleibt dann natürlich keine Zeit. Aber die Fahrgäste lassen sich dann auf jeden Fall noch schnell den Doppelpack in die Hand drücken. "Ach Gott, ist das lieb", sagt eine Frau.

Bleibt mehr Zeit, dann geht es auch an diesem Morgen noch um die Verkehrsbelastung in der Innenstadt, Tempo 20 auf der Schöngeisinger Straße, um verbleibende Lücken in der Busanbindung, manchmal auch um die klamme Finanzlage. So war das auch die letzten Tage, als Lohde im Brucker Westen an den Türen klingelte. So etwas kostet Überwindung, ist manchmal aber unterhaltsam: Da sind die beiden Mädchen, die im Vorgarten auf dem Trampolin springen. "Da ist ein fremder Mann", hört Lohde die eine sagen. "Den kenn' ich von den Plakaten", erwidert die andere. Und einmal wird er an einer Haustür fast schon mit familiärer Wärme begrüßt. Wie sich herausstellt, ist es das Elternhaus einer früheren Freundin von Lohdes Bruder. "Alte Geschichten", sagt Lohde, während er einem eiligen Passanten den Doppelpack in die Hand drückt.

Christian Götz von der BBV auf dem Grünen Markt. Dort stehen die Stände von BBV und CSU nur ein paar Meter auseinander. (Foto: Stefan Salger)

Anderer Ort, andere Zeit, andere Temperatur, gleiches Thema - gut zwei Stunden später auf dem südlichen Viehmarktplatz. Das Thermometer hat die Dreigradmarke erklommen, die Sonne scheint. Auf dem Grünen Markt werden an den Ständen frische Lebensmittel angeboten. Käse, Fisch, Eier, Wurst. Sauerkraut vom Fass. Spreewaldgurken. Vieles ist Bio und aus der Region. So auch die gelben Rüben und die Äpfel, die auf dem Bistrotisch der Brucker Bürgervereinigung bereitliegen und die hier im übertragenen Sinne die Rolle der Türöffner übernehmen. Zwischen den Buden schlägt hier das Herz der Stadt. Wenn man Nichtwähler motivieren und Anhänger bestärken will - wenn nicht hier, wo dann? BBV und CSU haben auf die Frage eine sehr ähnliche Antwort gefunden. Ihre Infostände mit Aufstellern stehen nur fünf Meter auseinander. Bei der CSU gibt es diesmal Nudeln vom Biohof des CSU-Stadtrats Markus Britzelmair, die BBV hält dagegen mit Obst und Gemüse der Gärtnerei Klement aus Egenhofen. Ein bisschen ist es wie auf dem Bahnsteig - ein ständiges Kommen und Gehen. Mittendrin der BBV-Oberbürgermeisterkandidat Christian Götz. Gut gelaunt und ziemlich locker in Anbetracht der Stichwahl, die bei den beiden noch im Rennen befindlichen Gruppierungen doch den Puls in die Höhe treiben muss. Seit acht Uhr sprechen die BBV-Stadträtinnen Hermine Kusch und Ulrike Quinten sowie BBV-Vorsitzender Klaus Quinten die Passanten an und verteilen die gesunden Snacks und den Flyer von Götz, etwas später stößt der 53 Jahre alte Kandidat dazu - warm eingepackt mit Kapuzenpulli unter der Jacke.

BBV-Vorsitzender Klaus Quinten (rechts daneben Stadträtin Ulrike Quinten) unterstützen Götz am Stand auf dem südlichen Viehmarktplatz und suchen das Gespräch mit Passanten. (Foto: Stefan Salger)

Seit Ende Januar ist die BBV regelmäßig mit Ständen auf dem Grünen Markt vertreten, zudem natürlich im Westen, vor dem AEZ und am Rathaus. Vereinzelt geht es in den Gesprächen um Themen wie das fehlende Tierheim oder die gefällten Bäume am Viehmarktplatz. Und ziemlich regelmäßig um Klimaschutz und um den vielen Autoverkehr. Götz ist mit dem Lastenrad da, abgesehen von dem Aufsteller mit seinem Konterfei soll alles möglichst plastikfrei und nachhaltig sein - man will mit gutem Beispiel vorangehen. "Meine Unterstützung habt ihr", sagt ein Mann, der kurz stehen bleibt. "Herr Götz, ich zähl' auf Sie." Denn es sei höchste Zeit, dass im Rathaus endlich was vorangehe. Rückenwind gibt es auch von einer Frau, die nebenan eingekauft hat: "Ich drück' euch die Daumen." Postwendend gibt es einen Apfel als Wegzehrung.

Dem BBV-Vorsitzenden haben die Wahlkämpfe früher mehr Spaß gemacht

Aufs Klinkenputzen habe er bewusst verzichtet, erklärt Götz. So etwas erscheine ihm zu aufdringlich. Stattdessen persönliche Kontakte an Infoständen und das Angebot, ihm per E-Mail Fragen zu stellen. "Manche waren sehr überrascht, dass sie darauf sehr schnell eine Antwort bekommen haben." Anhänger der CSU lassen sich kaum überzeugen, aber bei Leuten, die ihre Stimme gar nicht erst abgeben wollen, könne man schon was bewirken Da ist der Mann am Rathaus, der erst einmal über zu wenig Parkplätze in der Stadt schimpfte und über die Politik. Als man ins Gespräch kommt und die eigenen Pläne skizziert, da habe sich der Mann aber beruhigt und gesagt, nun ja, vielleicht werde er ja doch am Sonntag zur Wahl gehen. Vielleicht. Immerhin. Und beim Starkbierfest im Marthabräusaal äußern sich ein paar junge Leute ähnlich und machen Selfies mit dem recht nahbaren BBV-Kandidaten.

Klaus Quinten, 75, freut sich ja auch über so was. Aber eigentlich, findet er, waren die Wahlkämpfe früher spannender. Als die BBV noch keine echte Chance hatte und ohne große Rücksicht auf Verluste die Platzhirsche von der CSU aufs Korn nehmen konnte. Es ist etwas sachlicher geworden, zumal hier die Fraktionsvorsitzenden der stärksten und der zweitstärksten Fraktion gegeneinander antreten. Sie wollen und müssen auch nach der Wahl miteinander klarkommen. Gegen 9.30 Uhr nutzt Lohde eine Freistunde, um an den CSU-Stand auf dem Viehmarktplatz zu kommen. Da stehen also die beiden Kandidaten auf dem Grünen Markt. Fast Schulter an Schulter. Einer von beiden wird bald designierter Oberbürgermeister von Fürstenfeldbruck sein. Am Sonntag, wenn um 18 Uhr die Wahllokale schließen.

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