München:Tiere als Landschaftspfleger

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An der Lindauer Autobahn, an der Ausfahrt Wörthsee, weiden Schafe die naturnahen Flächen ab. (Foto: Autobahn GmbH/oh)

Entlang der Autobahnen rund um München wachsen seit zehn Jahren artenreiche Wildwiesen

Von Ingrid Hügenell, München

Entlang der Autobahnen rund um München, auf Böschungen und Randstreifen, wachsen schon seit einigen Jahren wunderbare Wildblumenwiesen. Sie sind von der Autobahn GmbH Südbayern vor allem dort angelegt worden, wo neu gebaut wurde. Das fällt vielen Autofahrern auf. Manche wundern sich, warum der Bewuchs so schütter wirkt, und fragen bei der Autobahn GmbH nach. Andere melden sich, weil ihrer Ansicht nach die Flächen zu viel gemäht werden. Oder zu wenig.

Besonders fällt es den Leuten auf, wenn die Rinder nicht zu sehen sind, die entlang der A 8 zwischen München und Augsburg in einem Beweidungsprojekt den Bewuchs kurz halten, berichtet Bernd Müssig, Abteilungsleiter für Landschaftspflege und Umweltschutz der Autobahn-GmbH.

"Die Reaktionen werden häufiger", sagt der Landschaftsökologe. Er erklärt dann, was seine Abteilung da tut. "Im Grundsatz versuchen wir seit vielen Jahren, Magerstandorte herzustellen", sagt Müssig. Je weniger Nährstoffe ein Boden enthält, um so größer ist dort die Artenvielfalt, sowohl der Pflanzen als auch der Tiere. Die methodische Vorarbeit der Autobahn-Ökologen sei auch in das Projekt an den Bundes- und Staatsstraßen eingeflossen, sagt Müssig: "Man kann schon sagen, dass wir das entwickelt haben."

Müssig treibt das Insektensterben um, er weiß, wie wichtig naturnahe Flächen und deren Vernetzung für die Tiere sind. Die Flächen seien sorgfältig ausgesucht worden, anhand von Luftbildern, und so, dass sie Kontakt zueinander haben. "Nicht jede Fläche ist geeignet." Wenn neue Wiesen angesät werden, wird gebietseigenes Saatgut verwendet. Selbstverständlich verwende man weder Pestizide noch Dünger, sagt Müssig. "Es wäre widersinnig, dafür Geld auszugeben."

Zum ökologischen Pflegekonzept gehört auch die Beweidung, mit Schafen vor allem. Sie kann man unter anderem am Autobahnring München, der A 99, immer wieder sehen, aber auch an der A 96 Richtung Lindau. Die Autobahn GmbH hat Verträge mit mehreren Wanderschäfern. Zuweilen werden auch Esel eingesetzt, und bei Mühldorf am Inn grasen sogar Wasserbüffel auf einer Öko-Fläche, wie Josef Seebacher, Pressesprecher der Autobahn GmbH, berichtet.

Am bekanntesten dürften die schottischen Hochlandrinder sein, die seit zehn Jahren an der A 8 zwischen München und Augsburg eingesetzt werden. Das sind die Tiere, die manche Autofahrer so vermissten, dass sie sich nach ihnen erkundigten. Weil die Autobahn-Pfleger zwischenzeitlich mit einem neuen Tierhalter einen Vertrag machten, waren die knuffigen kleinen Rinder eine Weile nicht im Einsatz.

Dass das Konzept aufgeht, kann man vom Frühling bis in den Herbst hinein beobachten, wenn auf den Böschungen und anderen Straßennebenflächen nacheinander Wildblumen wie Margeriten, Wiesenmalve, Labkraut und Königskerze aufblühen. Sie bieten Wildbienen Nahrung, auch Schmetterlingen, Käfern und Schwebfliegen. An Blättern und Stängeln nagen Raupen, wenn sie im Herbst stehen bleiben, können Insekten an und in ihnen überwintern. "Die Flächen haben sich recht gut entwickelt", sagt Müssig zufrieden, neue Wildpflanzen siedeln sich nun von selbst an. Ausgerechnet entlang der Schnellstraßen, über die täglich Tausende Autos und Lastwagen donnern, kann man nun die Wiesen sehen, die in der intensiven Landwirtschaft keinen Platz mehr haben.

Die Landschaftspflege an den Autobahnen lässt sich die bundeseigene Autobahn GmbH einiges kosten. "Die Natur braucht mehr Ressourcen als die Straßenplanung", sagt Seebacher. 17 Leute seien bei der Niederlassung Südbayern nur dafür zuständig, allerdings sind nicht alle Planstellen auch besetzt. "Wir werten auch gezielt Flächen auf, etwa ehemalige Truppenübungsplätze."

Außerdem kümmert sich die Autobahn um Sonderstandorte mit ganz besonderen Lebensgemeinschaften - Flächen, die von Natur aus sandig sind, zum Beispiel, wie sie in Bayern nur selten vorkommen. "Richtung Regensburg gibt es sogar eine Binnendüne", sagt Müssig. Oder um Orchideenwiesen. Die Pflege dort wird so angepasst, dass die besonderen Arten erhalten bleiben.

Immer wieder gelte es nachzusteuern. Dazu gehöre unter anderem der Kampf gegen invasive Arten wie den Japan-Knöterich, erklärt der Landschaftsökologe. Denn die breiten sich gerne entlang von Autobahnen aus und müssen in Schach gehalten werden, weil sie sonst die eben erst zurückgekehrten, wertvollen heimischen Arten verdrängen.

© SZ vom 07.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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