Migration:Sozialarbeiter wollen Kürzung nicht hinnehmen

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Lehnt Kürzungen ab: Jane Mbeba, Respekt-Coach aus München, beim Aktionstag des Jungendmigrationsdienstes. (Foto: Johannes Simon)

Der Jugendmigrationsdienst in Fürstenfeldbruck sieht seine Arbeit in Gefahr. Denn im Entwurf des Bundeshaushalts ist weniger Fördergeld vorgesehen.

Von Enna Kelch, Fürstenfeldbruck

"Mein Expartner hat gedroht, mich und die Kinder umzubringen", schreibt eine junge Frau aus Eritrea, gerade mal 22 Jahre alt. "Die Ausländerbehörde hat mir die Arbeitserlaubnis entzogen, weil ich keinen Pass habe", klagt ein 24-jähriger Mann aus Sierra Leone. Anfragen oder Hilferufe wie diese erreichen den Jugendmigrationsdienst (JMD) regelmäßig. Um jungen Menschen mit Migrationshintergrund in jeder Lebenslage zu helfen, werden an 500 Standorten bundesweit Beratung, Bildungs- und Freizeitangebote zur Verfügung gestellt. Seit rund 19 Jahren gibt es den JMD im Landkreis Fürstenfeldbruck. Um die neuen Räumlichkeiten an der Viehmarktstraße gebührend einzuweihen, wurde der diesjährige Aktionstag des Jugendmigrationsdienstes München und Umgebung im Herzen Brucks veranstaltet.

Die Förderung soll um ein Drittel reduziert werden

Die Veranstalter nutzten die Gelegenheit und sprachen nicht nur über ihre Arbeit, sondern auch über die Notlage des JMD. Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das Jahr 2024 sehe finanzielle Kürzungen von einem Drittel der Mittel vor. Das Fördervolumen aller Träger solle von 98,8 Millionen Euro auf 63,8 Millionen Euro reduziert werden. "Das ist ein politischer Skandal, und das darf in unseren Augen nicht so stehen bleiben", sagt Katrin Rauscher, Bereichsleitung Migration, einem Publikum mit der Bundestagsabgeordneten Beate Walter-Rosenheimer (Grüne), Oberbürgermeister Christian Götz, Vertretern des Jobcenters, der Ehrenamtskoordination, Kooperationspartner und Klienten des Jugendmigrationsdienstes. Weil die Arbeit wichtig für den sozialen Frieden in der Gesellschaft sei, fordern alle Verbände eine Aufstockung auf mindestens 78 Millionen Euro. "Die Konsequenz sind nicht nur Programmkürzungen, sondern es fallen auch Arbeitsplätze weg. Und noch dramatischer ist, was dann mit unseren Klienten passiert," betont Rauscher.

Ein wesentlicher Bestandteil der Sozialarbeit ist Beratung. (Foto: Johannes Simon)

Mamadou Sanussy Barry hat den Dienst des JMD einst in Anspruch genommen. Seit 2018 steht er mit der Sozialpädagogin Helga Kispál vom JMD Fürstenfeldbruck in Kontakt. Sich nach der Schule weiterzubilden, sei ihm erst nicht möglich gewesen. "Ich hatte keinen Anspruch darauf, hier in Deutschland eine Ausbildung zu machen", erzählt der 23-Jährige. Mithilfe Beratung, anwaltlicher Hilfe und Unterstützung beim Schreiben von Bewerbungen war es Barry möglich, eine Ausbildung in der Pflege zu machen. "Dank ihr hat sich viel geändert", sagt er.

Helga Kispál, auch bekannt als Gesicht des Jugendmigrationsdienstes Fürstenfeldbruck, ist schon lange leidenschaftlicher Bestandteil des Teams. Obwohl sie mittlerweile schon in Rente sein könnte, arbeitet sie noch. Als Sozialpädagogin bietet sie ihren Klienten eine individuelle Beratung, begleitet sie zum Arbeitsamt, zur Polizei, zur Ausländerbehörde, während der Ausbildung und vermittelt Angebote. "Wenn es irgendwo Probleme gibt, bin ich da", sagt die 66-Jährige und lächelt. Es mache sie besonders stolz, ihre Klienten nach langjähriger Betreuung wiederzusehen. "Egal wo ich hingehe, treffe ich ein bekanntes Gesicht. Bei der Post, im Supermarkt an der Kasse oder auf dem Altstadtfest. Dann denke ich mir: Wow, der hat es geschafft", schwärmt Kispál. Seit 1993 arbeitet sie im Bereich Migration, und es ist noch kein Ende in Sicht. "Ich bin schon immer gerne für Jugendliche dagewesen, auch weil ich selber weiß, was Migration bedeutet." Als Kispál damals aus Ungarn nach Deutschland kam, musste sie kämpfen. Vor allem ihr Nachname machte es ihr schwer, erzählt sie. Deswegen wisse sie, wie wichtig ein Ansprechpartner sei.

Respekt-Coach-Programm soll gestrichen werden

Damit auch Schülerinnen und Schüler schon im jungen Alter diesen Ansprechpartner haben, bietet der Jugendmigrationsdienst ein eigenes Präventionsprogramm an. Die sogenannten "Respekt-Coaches" sollen mit unterschiedlicher Methodik die demokratischen Werte junger Menschen sowie Respekt, Toleranz und den Abbau von Vorurteilen an Schulen fördern. Das könnte bald ein Ende haben, denn wenn das Fördergeld gekürzt wird, soll das Programm eingestellt werden. Benedikt Steinbach, Respekt-Coach in Fürstenfeldbruck, erwartet dramatische Konsequenzen: "An den meisten Schulen gibt es viel zu wenige Lehrer, und die sind sowas von überlastet. Sie haben nicht genug Ressourcen, um unsere Arbeit auffangen zu können."

Respekt-Coach Benedikt Steinbach (Mitte) mit Eriola und Muhamed schauen sich die Fotoausstellung an. (Foto: Johannes Simon)

Er schreibt dem Projekt eine große Relevanz zu: "Extremistische Einstellungen werden immer präsenter und das Vertrauen in die Demokratie nimmt ab. Dagegen muss etwas getan werden", sagt der 31-Jährige. Seit zwei Jahren bietet er Workshops und Projekte sowie Gruppenangebote an der Mittel- und Berufsschule an. Steinbach gründete ein Schülerparlament als Modellprojekt, indem die Schüler und Schülerinnen die Möglichkeit bekommen sollen, ihre eigenen Interessen umzusetzen. Das Ergebnis: An der Mittelschule haben die Schüler mittlerweile einen Zugang zum Wlan, bekommen wöchentlich eine Obst- und Gemüsekiste geliefert und durften Geräte und Spielsachen für die Pausen bestellen. Die 15-jährige Dooa Wazan ist Teil der Schülermitverantwortung (SMV). "Die Projekte sind wichtig für die Schüler. Sie machen Spaß und wir können uns dadurch in der Schule wohler fühlen", sagt sie über die gemeinsamen Aktionen mit dem Respekt-Coach.

Schüler interviewen eine Dragqueen

"Alle sagen, dass das Programm so gut läuft und jetzt wollen sie es streichen." Jane Mbeba, Respekt-Coach in München, kann es nicht fassen. Sie ist sich über die Wirksamkeit des Programms in Schulen sicher. An ein Projekt erinnert sie sich besonders gerne. Als Mbeba mit den Schülern über Vorteile gesprochen hat, seien viele queerfeindliche Äußerungen gefallen. Die Kinder durften sich eine Person aussuchen, die sie interviewen durften. Zu Besuch kam eine Dragqueen. "Ich habe gemerkt, wie diese eine Begegnung schon die Denkweise verändert hat", berichtet die 36-Jährige.

Info-Material beim Aktionstag der Jungendmigrationsdienstes. (Foto: Johannes Simon)

Damit Projekte dieser Art weiterhin umgesetzt werden können, hat der Jugendmigrationsdienst eine Petition gestartet. Durch den Appell an die politisch Verantwortlichen lehnen sich die Mitarbeitenden weiterhin gegen die finanziellen Kürzungen auf.

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