Im Haus 10:Wie Kunst im Atelier entsteht

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Materialien für die Arbeit: am Arbeitsplatz von Annette Wilkes, einer Teilnehmerin der Projektwoche im Haus 10. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Bei einer Werkwoche der Olchinger Künstler in Fürstenfeldbruck kann das Publikum kreative Prozesse mitverfolgen.

Von Enna Kelch, Fürstenfeldbruck

Um kurz vor zehn ist die große Tür der Kulturwerkstatt in Haus 10 schon weit geöffnet. Während sich die frische Sommerluft allmählich in den strahlend weißen Atelierräumen ausdehnt, schimmert das warme Sonnenlicht durch Kunstwerke aus sanftem Pergament. Ein Blick in den Raum offenbart, dass an diesem Ort eine Vielzahl kreativer Köpfe aufeinandertreffen. Im Veranstaltungsforum Fürstenfeld findet die vierte Werkwoche der Olchinger Künstler und Künstlerinnen statt. Mit dabei sind Karlheinz Frey, Evi Grundner, Waltraud Kosak-Gonzalez, Klaus Kühnlein, Hermine Schmid, Ola Schmidt, Margot Vogl, Annette Wilkes und Niclas Willam-Singer.

Fadenkunst von Karlheinz Frey. (Foto: Enna Kelch)

An diesem Vormittag ist bereits ein Sammelsurium an Werken zu bewundern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf einer großen Leinwand aus Karton gleitet ein schillernd roter Heißluftballon durch den hellblauen Himmel. Ein von Bild Waltraud Kosak-Gonzalez. Eine Ecke weiter steht ein Werk von Karlheinz Frey auf einer Staffelei, das durch das Aneinanderreihen verschiedenartiger Garne und deren Fixierung mit Nägeln auf schwarzem Untergrund kreiert wurde. Bis Sonntag, 20. August, leben sich neun Kunstschaffende hier kreativ aus. Und das nicht als geschlossene Gesellschaft, sondern mit geöffneten Türen für Besucher und Besucherinnen, die den Künstlern gerne beim Schaffensprozess zusehen wollen.

Eine Bilderserie von Niclas Willam-Singer, dem Organisator der Werkwoche. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Kunst muss raustreten, man muss die Menschen einladen: Kommt rein, schaut uns über die Schulter und fragt nach", sagt Organisator Niclas Willam-Singer. Dem ehemaligen Pfarrer ist es sehr wichtig, dass Interessierte die Menschen hinter der Kunst kennenlernen können. Deswegen öffnet er die Werkwoche nicht nur für jeden, der gerne eine Woche lang in Gemeinschaft künstlerisch gestalten möchte, sondern auch für Menschen, die dabei gerne zuschauen. Dabei würden viele anregende Gespräche entstehen, von denen Besucher und Künstler profitieren könnten.

Kunst in Form von Kleidern ist das Werk von Hermine Schmid. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Die Woche ist ein Luxus. Man kann locker und ohne Druck arbeiten", sagt Hermine Schmid, die sich als "die Kleider-Frau" vorstellt. Die 77-Jährige ist nicht zum ersten Mal dabei. Dieses Jahr erschafft sie Kunst in Form von Kleidern. Zwei ihrer Kreationen sind eine Symbiose aus Blumen und Blättern, die sie in ihrem Garten gesammelt hat, und zweilagigem Pergamentpapier, fixiert mit Tapetenkleister. "Meine Kleider zeigen die Schönheit der Natur und wie sich der Mensch damit schmücken kann", verrät die Künstlerin. Schmid ist keine studierte Künstlerin, sie mache es aus Intuition. Im Ruhestand reaktivierte sie ihre Liebe zur Kunst. Geschneidert hat sie schon immer gerne, daraus wuchs ihre Leidenschaft, Mode und Kunst zusammenzubringen.

"Ambitionierte Amateure"

"Wir sind alle ambitionierte Amateure", lacht Willam-Singer. Eine ganze Woche zusammen zu sein, bedeutet für den Leiter der Künstlergruppe im Förderverein Kultur Olching auch gemeinsam zu lernen. "Wenn ich nicht weiterkomme, frage ich die anderen nach ihrer Meinung. Manche kommen auch von selbst auf mich zu, wenn ihnen etwas zu meinen Kunstwerken einfällt."

"Frauen und Natur" ist das Thema von Evi Grundner. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Ola ist immer meine Farbberaterin, wenn ich nicht weiß, in welcher Farbe der Hintergrund sein soll", erzählt Künstlerin Evi Grundner, während sie in den Nebenraum zu den Skulpturen ihrer Kollegin Ola Schmidt hinüberschaut. Vor ihr liegt zwischen unzähligen Acrylfarben eine kleine Leinwand, auf der das Gesicht einer Frau mit Haaren aus farbintensiven Flammen abgebildet ist. Grundners Bilder fallen in der Werkwoche unter das Thema "Frauen und Natur".

Die 69-jährige Münchnerin hörte während ihres Berufes mit dem Malen auf. Als sie damals befördert wurde, war für ihr Hobby keine Zeit mehr übrig. Willam-Singer überzeugte sie schließlich, an der Werkwoche der Olchinger Künstler teilzunehmen - ohne Druck und ohne Erwartungen. Seitdem ist sie wieder aktiv kreativ. Auch einige Besucher und Besucherinnen versuchte der Veranstalter bereits für die Kunst zu motivieren: "Ich hoffe, dass ich einige ermuntern konnte, das Malzeug aus dem Keller wieder zu entmotten."

Die Aufmerksamkeit ist nicht gleich

Neben der Präsentation unterschiedlichster Kunstwerke sei für eine Sache kein Platz: Konkurrenz und Futterneid, ist der Organisator überzeugt. Einige Künstler bekämen mehr Aufmerksamkeit von Besuchern, andere weniger. Mal verkauft jemand was und ein anderer nichts. "Unsere Ola wurde dieses Jahr so belagert wie ein Zwetschgenbaum von Wespen", erzählt Niclas Willam-Singer mit Begeisterung in der Stimme.

Ola Schmidts Fotografen-Kunstwerk. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Werke der polnischen Künstlerin Ola Schmidt sind dreidimensional. In der hintersten Ecke der Kulturwerkstatt arbeitet sie an einer Fotografen-Skulptur. Auf einem Skelett aus Draht formte sie aus Knetbeton den Oberkörper eines Mannes, der einen Gegenstand von persönlichem Wert in seinen Händen hält: Schmidts ersten Fotoapparat, den sie damals von ihrer Oma bekam. Die 55-Jährige stellte ihre Kunst bereits in Wien, Lissabon, Florenz und in den USA aus. "Es macht mir so viel Spaß, wenn Menschen mit viel Interesse vorbeikommen", schwärmt sie. Dieses Jahr besuchen durchschnittlich 15 Besucher pro Tag Haus 10, um einen Rundgang durch die Werkstatt zu machen und einen Atemzug von der kreativen Luft zu nehmen. Am Feiertag waren es besonders viele.

Von Frauen und Natur

Auch dieses Jahr gibt es kein gemeinsames Thema. Willam-Singer könnte es sich aber in Zukunft vorstellen. Annette Wilkes aus Germering hat natürlich ein Thema. Sie sitzt konzentriert an einer Bilderreihe von Landschaften, inspiriert von Urlaubsimpressionen. Die ehemalige Architektin bezeichnet sich als "farb-vernarrt" und gestaltet Bilder mit buntem Kolorit. Aus ihrer Berufserfahrung gewann sie einen scharfen Blick für Perspektive.

Annette Wilkes sitzt konzentriert an einer Bilderreihe von Landschaften. (Foto: privat,oh)

Waltraud Kosak-Gonzalez entschied sich für ein anderes Thema. Sie erinnert sich: "Ich lag bei der Massage und mir wurde bewusst, wie frei ich mich fühle." Danach war sie sich sicher: Sie wollte ein Bild über Freiheit malen. Zentrales Symbol ihres Gemäldes ist der Heißluftballon, der friedlich in die Luft steigt. In der Findungsphase nutzte die 60-Jährige die Vorzüge der gemeinschaftlichen Arbeit. "Ich bin rumgegangen und habe die anderen gefragt, was Freiheit für sie bedeutet." Die Antworten ihrer Künstler-Kollegen fasste sie in einem Gedicht zusammen. "Freiheit. Die Freiheit, im Augenblick zu leben, ohne Stress, ohne Druck, ohne müssen zu müssen", lauten die ersten Zeilen der lyrischen Umsetzung ihres Themas, die sie unterhalb des Ballons auf den großen Karton schreiben wird.

Über die Freiheit sinniert Waltraud Kosak-Gonzalez in ihren Bildern. (Foto: privat,oh)

Das Ziel der Werkwoche ist neben gegenseitiger Unterstützung vor allem der gemeinsame Spaß. Die Veranstaltung klingt mit der Präsentation der Ergebnisse an diesem Sonntag, 20. August, aus. Am Wochenende können Besucher jeweils zwischen 10 und 17 Uhr im Innenhof des Veranstaltungsforums vorbeischauen und bei Kaffee oder einem Glas Wein mit den Künstlern und Künstlerinnen plauschen.

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