Konzert:Scharfsinn im Stubenmusi-Stil

Lesezeit: 2 min

Die Wellbappn kommentieren frech und musikalisch die Welt

Von Jörg Konrad, Olching

Die Wellbappn, das ist ein generationsübergreifendes Projekt mit einem generationsübergreifenden Programm. Wo gibt es das noch - außer im Hause Well? Wo wird sich derart ernsthaft-konzentriert mit den wirklich wichtigen Themen des täglichen Miteinanders auseinandergesetzt, ohne dass der Humor - hinlänglich auch als Spott bekannt - vergessen wird? Und den Rahmen für manch scharfsinnige Analyse gibt traditionelle Stubenmusi in urbayrischem Stil! Wie solch ein Phänomen tatsächlich klingt, wissen all jene, die am vorigen Freitag den Auftritt von Hans Well & Co. im Olchinger Kom erlebten. Die Glücklichen.

Aber was ist Hans Well? Ein Komiker? Ein Musiker? Ein Dichter? Oder eher ein anarchischer Systemkritiker? Hans Well, der 9. Spross der Well-Dynastie aus der Gemarkung Willprechtszell im Landkreis Aichach-Friedberg ist vor allem eines: Er selbst. Ein authentischer Zeitgenosse, geradeheraus im Denken, genial im Spielen, mit Gespür für Sprache und ausgestattet mit jeder Menge Humor. Auf die Frage, wen oder was er mit seiner Bühnenarbeit erreichen will, antwortete er dem Portal Kult-Komplott vor zwei Jahren: Menschen, die sich mit gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen auseinandersetzten. Daran hat sich, zumindest bis Freitag, aber auch nichts geändert.

Die Wellbappn, in Hochdeutsch so viel wie "vorlautes Mundwerk", sind seine Plattform, die ihrem Namen alle Ehre machen. Das spürt man schon am Anfang. Wenn auch in abgespeckter Besetzung mit Tabea Well, Sebastian Gröller (statt Jonas Well) und Hans, ihm selbst. Hier werden inhaltlich keine Allgemeinplätze aufbereitet. Statt eines unverbindlichen "Hallo Olching" gibt es Gstanzl, die sich eingehend mit der Politik vor Ort beschäftigen. Das schafft Nähe und Glaubwürdigkeit. Hier wird kein Publikum bedient und schon gar nicht abgefertigt. Und im Laufe des Abends geht's dann weiter. Von der Lokal- zur Landespolitik und weiter bergauf zur Bundes- und Weltpolitik, bis auf den Gipfel der Scheinheiligkeit. Die Wellbappn beschreiben (und kommentieren) musikalisch die Welt, in der wir leben - auf ihre Art, versteht sich. Da wird Johann Sebastian Bachs "Toccata" einer Geschichte über brennende Flüchtlingsunterkünfte in der Provinz unterlegt und in einer modernen Fassung von Johann Wolfgang von Goethes "Erlkönig" wird die Zeitnot anhand einer rasanten Autofahrt in den Kindergarten des Jüngsten deutlich. Kultur im hier und jetzt, frech wie provokant.

Die heilige Dreifaltigkeit der Politik (Seehofer/Söder/Aigner) wird derbleckt - manchmal derb, aber nie unter der Gürtellinie, sondern immer aus der betonierten und begradigten Komfortzone der verschandelten Natur heraus. Aus der Sicht der Sehenden und Betroffenen. Ganz anders als jene formschnittigen Entertainer in den werbungsgesättigten Medien, die sich als Außenseiter und Lästermäuler gerieren und doch zum System gehören, um am Ende nur larmoyant und piefig einzuknicken und beleidigt um Gnade zu flehen. Musikalisch waren die drei ebenso unnachahmlich wie virtuos. Tabea an Fidel, Akkordeon, Schlagwerk, Bastian mit Tuba, Trompete, Bass. Kein Instrument scheint den Wells zu schwierig, dem Hans schon gleich gar nicht. Singen können sie alle. Ob profan oder sakral, ob textsicher oder nicht. Es ist eine Lust, den Dreien zu lauschen - mit "Refräh" oder ohne.

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: