Konzert:Das Leid und die Kraft und die Zuversicht

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Tommie Harris und R&B Caravan vermitteln in Fürstenfeld Blues in seinen authentische Strömungen

Von Jörg Konrad, Fürstenfeldbruck

Als Tommie Harris 1960 von seinem Militärstützpunkt in Korea kommend nach Mississippi heimkehrte, wurde er in einem Bus von zwei Polizisten aufgefordert, sich nach hinten zu setzen, weil die vorderen Plätze für Weiße bestimmt waren. Gerade hatte der Soldat noch geglaubt, sein Heimatland in Ostasien zu verteidigen - nun war er, zu Hause, wieder Bürger zweiter Klasse. Es ist eine dieser typischen Geschichten, wie man sie besonders im Blues und seinem Umfeld findet. Es sind meist tragische Begebenheiten, aus denen diese Musik schöpft, die aber auch immer eine Art Ventil für den täglich erlebten Rassismus, für Ungerechtigkeiten und Enttäuschungen darstellt. Zugleich ist der Blues aber auch die Quelle für Kraft und Zuversicht, um dieses schmerzvolle Leid zu ertragen. Und noch etwas vermag der Blues, wie Tommie Harris vor einer Zeit dem Magazin Blues News anvertraute: "Ich kann anderen Leuten eine Freude bereiten, weil sie während der Show für einen Moment ihren Alltagssorgen entfliehen können." Diese Freude hatten auch die Zuhörer seines Konzerts und der Band R&B Caravan in Fürstenfeld. Harris, 83, und seine Musiker erreichten ihr Publikum und manövriertes es hörbar aus dem Alltag, indem sie den Blues als aktives "Lebenselixier" von der Bühne in den Saal transportierten.

Was die sechs Musiker vermittelten, war inhaltlich nicht unbedingt einer dieser archaischen Blues-Strömungen, mit seiner rauen wie spröden Stilistik. Ihre Musik war stärker im Umfeld des Blues angelegt, mehr in den Seitenstraßen des Swing, am Schmelztiegel des Soul, am brodelnden Zentrum des Boogie Woogie. Man könnte das, was gespielt wurde, auch als eine Art Zeitreise verstehen. Hinein mitten in die Fünfzigerjahre, als sich aus eben jenen musikalischen Beigaben wie Swing, Boogie Woogie, Blues und Jazz der Rock'n Roll entwickelte, eine Art Vorbeben, aus dem dann ein paar Jahre später die damals sogenannte Beatmusik entstand.

Tommie Harris und seine famos aufspielenden R&B Caravan bewegen sich genau in diesem Schnittpunkt. Und fast jeder innerhalb der Band steht mit seinem Instrument und seinem Können für einen bestimmten Teil dieser Tradition. Andreas Sobczyk am Klavier ist der swingende Perfektionist, sowohl begleitend, als auch in den solistischen Teilstrecken und selbst in der Balladenkunst im Duo mit Sänger Harrison nimmt er Stimmungen passend auf und setzt genau mitreisende Impulse. Im Gitarristen Kai Strauss hat die Band einen exzellenten Techniker und einen Instrumentalisten, der genau weiß, wann wie viel und was zu spielen ist. Er beherrscht die Kunst der Zurückhaltung, weiß aber auch genau, wann er ordentlich in die Saiten greifen muss.

Tom Müller steht mit seinen Saxophon-Chorussen eindeutig für den Jazzanteil innerhalb der Band. Sein derber Sound, seine geschmeidigen Überleitungen, seine überraschenden Wendungen geben der Musik einen gewissen Drive, eine herausfordernde Attitüde.

Dani Gugolz am Bass und Schlagzeuger Peter Müller halten dieses Konglomerat aus Stilen, Haltungen und Ansprüchen mit Spielfreude und nuanciert zusammen. Ein Sicherheit gebendes Rhythmusgespann.

Bleibt noch der Star des Abends, Tommie Harris. Er ist hörbar im Blues verwurzelt. Hier kann er seine Erfahrungen, seine Reife und seine Leidenschaft ausspielen. Er weiß genau, was einen packenden Bluessong ausmacht, wie man ihn vorträgt. Schnörkellos seine Stimme, die sowohl dem Schmerz als auch innerer Freude Ausdruck verleihen. Er bringt die Inhalte auf den atmosphärischen Punkt, macht die Geschichte hinter der Geschichte hörbar und bringt immer das über die Bühne, was das wichtigste für jeden Musiker weltweit ist: Authentizität.

© SZ vom 03.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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