Nahostkonflikt:"Im Moment werden wir ungern gehört und gerne dämonisiert"

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Der 44-jährige Abt Nikodemus Schnabel lebt fast sein halbes Leben in Israel. (Foto: Brucker Forum)

Der Jerusalemer Abt Nikodemus Schnabel spricht in einem Online-Vortrag über den Krieg in Israel. Sorge bereitet ihm die starke Polarisierung des Diskurses.

Von Til Antonie Wiesbeck, Fürstenfeldbruck

"Wir können nicht verstehen, was der 7. Oktober für die kollektive Psyche jüdischer Israelis bedeutet", stellt Abt Nikodemus Schnabel zu Beginn seines Online-Vortrags zur aktuellen Situation in Israel klar. Der 44-Jährige lebt schon fast sein halbes Leben lang im jüdischen Staat - seiner "Wahlheimat", wie er es nennt. Seit diesem Jahr leitet er die Benediktiner-Abtei Dormitio auf dem Zionsberg in Jerusalem. Nun hat er vor knapp 200 Zuhörerinnen und Zuhörern über seine Erfahrungen und die aktuelle politische Situation gesprochen. Die Veranstaltung hat das Brucker Forum zusammen mit den katholischen Bildungswerken in Rosenheim, Miesbach und Ebersberg organisiert. Markus Roth, Geschäftsführer des Bildungswerks Rosenheim, moderiert den Abend.

Der Anschlag, bei dem Terroristen der Hamas am 7. Oktober in Israel nach israelischen Angaben etwa 1400 Menschen, darunter viele Zivilisten, brutal ermordet und mindestens 230 als Geiseln in den Gazastreifen entführt haben, habe das Land an seiner "Achillesverse" getroffen - seiner Sicherheit: "Israel gibt es, damit den Enkeln nicht passiert, was ihren Großeltern angetan wurde", betont Nikodemus und fügt hinzu: "Die Lehre für uns Deutsche aus der Shoah ist: Nie mehr Auschwitz, nie mehr Täter sein. Für Israelis ist sie: Nie mehr Auschwitz, nie mehr Opfer sein." Dass ihre Sicherheit für jüdische Israelis nicht verhandelbar sei, könne er daher nachvollziehen.

Der Abt bekommt Anfeindungen aus Deutschland

Sorge bereite ihm aber die starke Polarisierung des Diskurses in Folge des Konflikts, bei dem laut des der Hamas unterstehenden Gesundheitsministeriums auch mehr als 8000 Menschen im Gazastreifen getötet wurden. Unabhängig verifizieren lassen sich diese Zahlen aktuell nicht. So bekomme er aus Deutschland dieser Tage immer wieder vorwurfsvolle Anfragen, warum er sein Profilbild auf X nicht in eine Israel- oder Palästinafahne umgewandelt habe. Auf eine solche "Schwarz-Weiß-Positionierung" habe Nikodemus keine Lust. "Wir als Mönche sind weder Pro-Israel noch Pro-Palästina, sondern Pro-Mensch", sagt er dazu, betont während seines Vortrags allerdings immer wieder auch, dass er kein Militär- oder Sicherheitsexperte sei.

Früher habe er für diese Aussage Anerkennung bekommen. Das habe sich mit dem Krieg geändert: "Für diese Aussage kriege ich momentan Hass". Jetzt werde erwartet, Farbe zu bekennen und zu zeigen, dass man "auf der richtigen Seite der Geschichte" steht. Auch der israelische Diskurs habe sich verschärft. Abt Nikodemus kritisiert in diesem Zusammenhang "Dehumanisierungsprozesse", wie sie in Folge des Terroranschlags zu beobachten gewesen seien. Als Beispiel nennt er den israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant, der die Terroristen der Hamas als Tiere in Menschengestalt bezeichnet hat.

Die Religion müsse laut Nikodemus in diesem Konflikt eine konstruktive Rolle einnehmen. Eine ihrer Aufgaben sei es, derartigen Aussagen zu widersprechen: "Mensch ist Mensch. Wir sind erstmal alle als Abbild Gottes geschaffen. Sogar der Feind, sogar der Mörder, hat eine unverlierbare Menschenwürde." Das Problem seien die "Hooligans der Religion". Die Hamas sei nicht der Islam, sondern seine Perversion. Politik im Nahen Osten gebe sich "einen religiösen Anstrich", säkular zu beantwortende Fragen wie Ressourcenverteilung und Sicherheitsarchitektur würden "auf Gott abgeschoben". Nikodemus kritisiert in diesem Zusammenhang auch rechtsradikale jüdische Siedler in Israel. Doch spätestens bei der Frage, wie es nach Ende des Kriegs weitergehen soll, seien die Lehren der abrahamitischen Religionen zur Versöhnung unverzichtbar.

"Im Moment werden wir ungern gehört und gerne dämonisiert"

"Im Moment werden wir ungern gehört und gerne dämonisiert - als Hamas-Versteher und Antisemiten, oder als Islamhasser", beklagt Nikodemus. Dennoch habe er Hoffnung: Er sehe nicht, dass die Hamas es geschafft habe, ganz Palästina hinter sich zu vereinen. Viele Palästinenser seien entsetzt über deren "Zivilisationsbruch". Ebenso hätte sich in Israel mit der Notstandsregierung "die Tonart hin zu mehr Besonnenheit und Rationalität" verändert. "Ich hoffe, dass aus dem Schock in der Region ein Nachdenken über eine neue Zukunft für alle Menschen wird", so der Abt. Dazu seien Empathie und "Raum für Grautöne" wichtig.

Die Gäste, unter denen nach Angaben des Brucker Forums auch mindestens 26 Leute aus dem Landkreis sind, zeigen viel davon. Zwar gibt es einen Versuch, die Veranstaltung zu torpedieren: Am Anfang seines Vortrags wird der Abt wiederholt von einem hyänenartigen Lachen unterbrochen, woraufhin der Warteraum schließlich geschlossen werden muss, weil sich die verantwortliche Person stets unter neuem Namen einloggt. Die anderen Anwesenden drücken aber ihre Wertschätzung für den Abt und seine "differenzierte Sichtweise" aus und geben an, für ihn zu beten.

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